Frauke Petry hat Bernd Lucke nicht nur an der Spitze der AfD ersetzt, sie hat auch den Konflikt geerbt, über den er stürzte. Das ist kein Zufall. Die AfD ist eine Partei, die den Protest gegen "das System" schürt, um selbst in das System vorzudringen. Mit der Macht der Straße an die Macht – das ist die paradoxe Strategie.
Während die Parteiführer noch das Establishment bekämpfen, wollen sie schon ein bisschen dazugehören. Sie müssen die Stimmung am Kochen halten, aber sie müssen zugleich dafür sorgen, dass sich die Partei, bei aller Wut, nicht ins totale Abseits manövriert. Neonazistische oder offen antisemitische Auffassungen sind in der AfD tabu. Aber auch "Schüsse auf Flüchtlinge" markieren, wie sich gezeigt hat, gefährliches Terrain.
Eigentlich weiß Frauke Petry das sehr genau. Seit sie sich ihrer Partei als die radikale Alternative empfohlen und Bernd Lucke gestürzt hat, bemüht sie sich, die AfD in ein respektableres Licht zu rücken. Sie kennt die Gefahr: Gerade weil ihr Aufstieg an die Spitze ein katastrophales öffentliches Echo ausgelöst hatte und als unübersehbares Signal eines Rechtsrucks interpretiert worden war, versuchte die neue Vorsitzende von Beginn an gegenzusteuern und darauf zu achten, dass die Partei nicht vollends in die rechte Ecke geriet.
Das war nicht nur kühle strategische Berechnung. Man sollte auch den Konformitätsdruck nicht unterschätzen, der selbst auf den Führungsfiguren einer Partei lastet, die gerne mit ihrer Verachtung gegenüber dem System kokettieren. Gegen die Political Correctness anzutreten gehört zur Political Correctness der AfD. Aber immerzu auf allen Bühnen der Republik die Grenzen des politischen Diskurses auszutesten, ist auch für professionelle Tabubrecher eine Herausforderung.
Manchmal scheint es, als ginge der ritualisierte Protest nicht nur den attackierten Vertretern des Systems, sondern auch den Provokateuren selbst an die Nerven. Ständig im Scheinwerferlicht der Talkshows den Rest der Republik für verrückt zu erklären ist für die Anführer der AfD unbehaglicher, als sie zugeben wollen. Selbst ein Björn Höcke wirkte während seines Auftritts bei Günther Jauch trotz schwarz-rot-goldenen Fähnchens eher wie ein verspannter Höcke-Darsteller, der nur entfernt an den Demagogen vom Erfurter Domplatz erinnerte. Und auch Frauke Petry will es ja nicht bei den Tiraden auf die "Lügenpresse" belassen. Sie feiert gemeinsam mit ihr auf dem Bundespresseball. Politisch ist die Rolle des Outcasts derzeit hoch profitabel, psychisch und auf Dauer eher eine Belastung.
Doch gerade weil sich mit dem Aufstieg der AfD der Anpassungsdruck erhöht, giert die Partei immer wieder nach den scharfen Tönen. Und sie bekommt sie. Das war auch bei Lucke nicht anders. Und doch träumte er, wie jetzt seine Nachfolgerin, von der Macht im System, satt von der immerwährenden Fundamentalopposition.
Auch Petry will regieren, nicht schon nach der Bundestagswahl 2017, aber dann beim nächsten Mal, wie sie offenherzig erklärt. Es wäre, prognostiziert sie stolz, der schnellste Übergang aus der Opposition ins Zentrum, den eine bundesdeutsche Partei je geschafft hätte. Während sich die Basis weiter am Mainstream abarbeitet, ist die vorausschauende Parteichefin schon auf dem Weg dorthin.
Daran zeigt sich, wie groß die Anziehungskraft des Systems ist, das die AfD so erbittert bekämpft. Aber die Anhängerschaft der Partei hat ein ausgeprägtes Gespür für solche Absetzbewegungen. Ihr Misstrauen ist nicht auf das klassische Establishment beschränkt. Wenn ihre eigenen Anführer beginnen, sich mit dem System zu arrangieren, geraten sie selbst ins Visier. Daran ist Lucke gescheitert. Frauke Petry steht das noch bevor.
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