Betäubt und zugedröhnt

  12 Februar 2020    Gelesen: 793
Betäubt und zugedröhnt

In den Vereinigten Staaten sterben mehr Menschen an Schmerzmitteln als bei Verkehrsunfällen. Besonders dramatisch ist die Lage in New Hampshire. Spielt das bei den Wahlen Donald Trump in die Hände?

„Wenn man früher die Leute hier gefragt hätte, ob in ihrem Bekanntenkreis schon einmal jemand wegen Medikamenten- oder Drogenmissbrauchs sein Leben verloren hat, hätte so gut wie niemand die Hand gehoben. Heute tut es fast jeder.“ Timothy McMahan King hält inne und schaut sich um. Das „Restoration Cafe“, ein geschmackvoll eingerichteter Ort im Zentrum von New Hampshires größter Stadt Manchester, ist gut gefüllt, die Gäste unterhalten sich angeregt. Nichts deutet hier darauf hin, dass in dieser Gegend seit Jahren eine Epidemie wütet.

„Nur ein paar Ecken von hier bin ich oft mit anderen Freiwilligen meiner Organisation im Einsatz“, sagt Timothy. „Wir bringen den Menschen frische Nadeln, damit sie sich beim Spritzen der Drogen keine Infektionen oder ansteckenden Krankheiten holen.“ Es hätte übrigens nicht viel gefehlt und er wäre „selbst einer dieser Menschen geworden“, sagt Timothy. „Wie bei so vielen, begann es auch bei mir mit schweren Schmerzmitteln.“ Nach einer Bauchspeicheldrüsenendzündung hatte er diese von seinem Arzt verschrieben bekommen und zu lange zu viel davon genommen. Ganz schnell, erinnert sich der Mitdreißiger, sei er abhängig geworden.

Hundert Mal stärker als Heroin

Jeden Tag sterben mehr als hundertachtzig Amerikaner an einer Überdosis Rauschmittel oder Tabletten, mehr als bei Verkehrsunfällen oder durch Schusswaffen. Die meisten der Überdosis-Todesfälle sind auf den Missbrauch von „Opioiden“ zurückzuführen, synthetischen Substanzen, die eine morphinähnliche Wirkung haben. Dabei handelt es sich sowohl um verschreibungspflichtige Medikamente als auch um illegal hergestellte Mittel. Eines der gefährlichsten Opioide auf dem Markt ist Fentanyl. Viele Dealer beziehen es aus mexikanischen Laboren. Ein Gramm davon wirkt hundert Mal stärker als ein Gramm Heroin.

„Schau dir doch die zugedröhnten Zombies an, die hier durch die Gegend laufen“, sagt eine Kundin in einem Donut-Laden in Manchester. Keine Frage, das Thema bewegt die Menschen in New Hampshire, wo die Zahl der Überdosis-Fälle deutlich über dem amerikanischen Durchschnitt liegt. Die Opfer erleiden einen Atemstillstand und brechen einfach zusammen, manchmal auf `der Straße. „Das geht von einem Moment auf den anderen“, sagt Stan Gusoski, ein älterer Herr, der in der Nähe wohnt. „Bei einem Freund von mir ist es nicht gut geendet. Mehr will ich dazu nicht sagen. Es tut zu weh.“

Warum gerade das eigentlich so idyllische New Hampshire, wo an diesem Dienstag die Vorwahlen der Demokraten stattfinden, zu den am stärksten betroffenen Bundesstaaten in Amerika gehört, ist schwer zu sagen. Manche Fachleute verweisen vor allem auf die geographische Nähe zur Drogenszene von Boston. Andere darauf, dass der Staat eine Niedrigsteueroase ist, in der wenig Geld in öffentliche Entzugs- oder Rehabilitationsinitiativen gesteckt wird. „Live free or die“ (Lebe frei oder stirb) ist das offizielle Staatsmotto. Es steht auf jedem Nummernschild.

Schlagzeilen machte die Opioidkrise in New Hampshire im Sommer 2017, als die „Washington Post“ das Transkript eines Telefonats Donald Trumps mit dem mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto veröffentlichte. In dem Gespräch nannte Trump New Hampshire eine „Drogenhöhle“, in der ihn die Leute aus Verzweiflung gewählt hätten. Die Aufregung war groß – allerdings nicht, weil viele Menschen sich über die Wortwahl des Präsidenten beschwerten, sondern weil viele Einwohner New Hampshires sich endlich ernst genommen fühlten. Trumps Amtsvorgänger Barack Obama und die Demokraten hätten das Thema viel zu lange ignoriert, lautete ein Vorwurf.

„Trump muss dieses Problem lösen, und er wird es lösen“, sagt Stan Gusoski, der Mann, der seinen Freund verloren hat. Zusammen mit Tausenden anderen Menschen steht er in der Kälte vor der Sportarena der Southern New Hampshire University, um später den Live-Auftritt des Präsidenten am Vorabend der Vorwahlen mitzuerleben. „Trump macht die Grenzen dicht, deswegen werden weniger Drogen ins Land kommen“, sagt auch Jim Foley, ein Mann, der ein paar Plätze weiter vorne in der Schlange steht. „Das Wichtigste ist, dass die kriminellen Banden hart bestraft werden.“

faz.net


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