Je schneller sich das neue Coronavirus Sars-CoV-2 ausbreitet und je radikaler die Reaktionen zur Eindämmung des Erregers, desto offenkundiger wird eine fatale Lücke in der Maßnahmenkette: Keiner erfasst, wie viele Menschen bereits infiziert waren und mittlerweile von ihren milden Symptomen genesen sind.
Vier von fünf Patienten, statistisch gesehen, überstehen die Covid-19-Krankheit mit leichten Halsschmerzen, trockenem Husten oder mildem Fieber. Viele von ihnen sind nie getestet worden – oder werden inzwischen nicht mehr getestet, weil die Kapazitäten der PCR-Virusnachweis-Tests ausgeschöpft sind. Diese klassischen Tests werden von Laboren durchgeführt, der Nachweis des Coronavirus-Erbguts dauert nur wenige Stunden, doch die Logistik ist nicht unerheblich, weil die Proben in einer Maschine verarbeitet werden müssen.
Ein Problem ist also, dass einerseits derzeit viele Infizierte außerhalb der Kliniken und Praxen ungetestet bleiben und deshalb auch in keiner Statistik auftauchen. Andererseits stößt man mit den herkömmlichen Virennachweisen schon an Grenzen. Dabei wäre es nicht nur für die Abschätzung der Tödlichkeit des Erregers oder dessen wahrer Verbreitung extrem hilfreich zu wissen, wie viele Menschen bereits infiziert sind, sondern auch ganz praktisch: Wer weiß, dass er die Infektion hinter sich hat, die Krankheit also auch ausgeheilt ist, der kann sich auch an der „Virenfront“ nützlich machen – eine Information, die vor allem für den Einsatz des Klinikpersonals oder etwa in der Altenpflege wertvoll werden kann. Zwar steht ein Nachweis aus, dass Genesene das Virus nicht mehr verbreiten können. Zumindest für die ersten Wochen nach einer überstandenen Infektion ist das aber sehr wahrscheinlich.
Genesene könnten helfen
Seit ein paar Tagen ist man durch Laborstudien an Rhesusaffen einigermaßen sicher, dass Menschen, die eine Infektion überstanden haben, auch genügend Antikörper gegen das Virus bilden, um vor einer zweiten Infektion höchstwahrscheinlich geschützt zu sein. Mehr noch: Die als neutralisierende Antikörper bezeichneten Immunglobuline im Blutserum der Genesenen könnten bald, was allerdings derzeit erst in Studien in China geprüft wird, gespendet und als passiver Impfstoff künftig zur Behandlung von Schwerstkranken eingesetzt werden.
Das freilich ist Zukunftsmusik und klinisch noch ungeprüft. Viel näher ist die Forschung inzwischen an den entsprechenden Tests, mit denen sich die Antikörper im Blut nachweisen lassen. Seit Januar werden solche Tests in China, inzwischen auch in vielen anderen Laboren weltweit, entwickelt. Anders als bei den Virentests, mit denen die Erreger direkt durch Rachenabstrich nachgewiesen werden, erfasst der Bluttest die Infektion indirekt: Die Antikörper, die die Anwesenheit des Virus belegen, werden in Minutenschnelle herausgefischt aus dem Blut. Zwei Probleme: Erstens schlägt der Test erst einige Tage nach der Ansteckung an, weil erst dann der Körper mit der Produktion der Viren-Antikörper ausreichend hochfährt. Zweitens ist die Genauigkeit das größte technische Problem.
Antikörpertests reichen nicht aus
Die bisher geprüften Antikörpertests konnten kaum mehr als ein Drittel der Infektionen richtig erfassen, zwei Drittel waren Falschmeldungen. Der Test, der vom Prinzip her ähnlich wie ein Schwangerschafts- oder mancher HIV-Test funktioniert und per Farbumschlag das Ergebnis anzeigen kann, muss sehr gezielt die richtigen Sars-CoV-2-Antikörper erwischen. In dieser Hinsicht verspricht nun ein solches auch als serologisches Assay oder „Elisa“-Test bekanntes Verfahren einen echten Fortschritt: In New York haben es Florian Krammer und Fatima Amanat von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai geschafft, einen sehr viel genaueren Antikörpertest zu entwickeln.
Sie haben mit den Blutproben einiger Dutzend Patienten und gesunden Kontrollpersonen sehr genau unterscheiden können, ob die Sars-CoV-2-Antikörper im Blut sind oder nicht. Sie haben auch gezeigt, dass andere harmlosere Coronaviren, die ebenfalls seit langem als Erkältungsviren unter Menschen kursieren, von dem Test nicht erfasst werden.
Herzstück des Antikörpertests ist ein winziger Proteinabschnitt aus dem „Stachel“ des Sars-CoV-2-Virus, mit dem die Antikörper nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip herausgefischt werden. Der Test schlägt etwa drei Tage nach Beginn der ersten Symptome an. Wie Krammer in seiner noch nicht endgültig begutachteten Publikation in „MedRxiv“ schreibt, könnte dieser Test für ein Screening der Bevölkerung weiterentwickelt und leicht hergestellt werden. Allerdings müsse vor einer Massenproduktion die Genauigkeit des Tests von anderen Labors bestätigt werden.
faz.net
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