Die Kritik kommt weiter hinten

  28 April 2020    Gelesen: 604
Die Kritik kommt weiter hinten

Selten hat ein EU-Report für soviel Ärger gesorgt wie das jüngste Update zu Falschinformationen in der Coronakrise. Hat die Europäische Union ihren Bericht auf chinesischen Druck hin geschönt?

Normalerweise sind die Berichte, die die EU-Desinformationsbekämpfer ins Internet stellen, eher eine Sache für Feinschmecker. Auf der Webseite euvsdisinfo.eu finden sich regelmäßig neue Trouvaillen aus den sozialen Netzwerken - Unwahrheiten, die zumeist aus dem Ausland über die EU verbreitet werden. Gerade einmal acht Mitarbeiter kümmern sich im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) darum, aus der Flut von Falschmeldungen die schlimmsten herauszufischen und richtig zu stellen.

Der Report allerdings, den die EU-Jäger (offizieller Titel: East StratCom Task Force) am vergangenen Freitag online veröffentlichten, findet weltweit große Aufmerksamkeit. Der Vorwurf steht im Raum, dass die Expertise auf Druck chinesischer Diplomaten verändert und die Kritik an China entschärft worden sei. Darüber berichtete unter anderem die "New York Times".

Dazu kam noch: Die EU hatte zwischenzeitlich sogar bestritten, dass überhaupt ein öffentlicher Report geplant sei - das EAD-Corona-Update mit dem sperrigen Titel "Kurze Einschätzung von Narrativen und Desinformationen bezüglich der Corona-Pandemie" wurde somit endgültig zu einer kleinen Brüsseler Staatsaffäre.

In einer Zeit, in der Russland und eben auch China versuchen, die in der Coronakrise schwierige Lage in EU-Ländern wie Italien für sich ausnutzen, verheddert sich die EU in den Details eines kurzen Internetreports. Von der "Weltpolitikfähigkeit", die der ehemalige Kommissionschef Jean-Claude Juncker eingefordert hatte, ist die Gemeinschaft weiterhin Lichtjahre entfernt, auch das zeigt das Hickhack um das Papier.

Der nun publizierte Bericht spart nicht mit Kritik an chinesischen Versuchen, die Geschichte der Coronakrise neu zu schreiben, und er liefert auch Belege dafür. Unter anderem heißt es darin:

Einige staatlich kontrollierten Kanäle verbreiteten in sozialen Medien weiter die Theorie, dass der Ausbruch in Wuhan mit amerikanischem Militärpersonal zu tun gehabt hätte, "und zeigen so, dass es weiterhin die Absicht gibt, Konfusion über die Herkunft des Virus zu verbreiten".

Zudem gebe es "bedeutende Beweise" auf verdeckte chinesische Operationen in den sozialen Medien. NGOs und europäische Zeitungen hätten unter anderem ein Netzwerk auf Twitter aufgedeckt, das Verbindungen zur chinesischen Regierung habe. Chinesische Staatsmedien würden in sozialen Netzwerken unter Umgehung der Regeln für politische Werbung Anzeigen kaufen, die Chinas Reaktion auf die Coronakrise loben würden. 

Das Papier zitiert Berichte des "Daily Telegraph", wonach diese Anzeigen "Teil einer weltweiten über Facebook, Instagram, Twitter und traditionellen Medien koordinierten Propagandakampagne sind, die versucht, China als globalen Anführer im Kampf gegen Covid-19 darzustellen und Anschuldigungen unterdrücken sollen, wonach China die Krise dadurch schlimmer gemacht habe, indem es den Ausbruch anfangs zu verschleiern versucht hatte".

Vieles davon ist bekannt, die Verfasser des Reports beziehen sich - wie sonst auch - auf öffentlich zugängliche Quellen, nicht auf Geheimdienstmaterial. Doch für ein offizielles EU-Papier ist die geballte Ladung Chinakritik (es geht in dem Report auch um Russland und andere Länder) durchaus ungewöhnlich.

Entsprechend aufgeregt reagierten chinesische Diplomaten auf das Papier - beziehungsweise auf eine erste Version. Aus dieser hatte schon am vergangenen Dienstag die Webseite "Politico" zitiert. Dabei handelte sich um ein regelmäßiges Update, dass im EAD über Desinformation in Coronazeiten erarbeitet und an rund 200 Personen in den EU-Institutionen und den Mitgliedstaaten versandt wird.

Chinesische Diplomaten ließen bei der EU in Peking und Brüssel ausrichten, sie seien wenig erfreut, wenn sie an den Pranger gestellt würden. Sollte der Report jene Inhalte umfassen, "wie es beschrieben wird", wäre dies "sehr schlecht für die Zusammenarbeit", soll ein chinesischer Beamte gedroht haben, wie die Nachrichtenagentur "Reuters" aus einem internen Kabelbericht zitiert.

spiegel


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