Der "südafrikanische Weg" scheint zu wirken

  01 Mai 2020    Gelesen: 347
  Der "südafrikanische Weg" scheint zu wirken

Es brodelt in der Bevölkerung. Die südafrikanische Regierung versucht mit drastischen Einschränkungen der persönlichen Freiheiten, gegen das Coronavirus anzukommen. Doch die derzeitigen Zahlen scheinen der Politik recht zu geben. Und es gibt Aussicht auf Lockerungen.

Das Lob kommt von hoher Stelle. "Auf dem afrikanischen Kontinent geschieht viel Innovatives", sagt Michael Ryan, Direktor des Notfallprogramms der Weltgesundheitsorganisation. "Besonders Südafrikas Ansatz Covid-19 unter Kontrolle zu bekommen ist bemerkenswert, einiges gar wegweisend." Am Ende eines 5-wöchigen, extrem strengen Lockdowns stößt die Äußerung am Kap von Afrika auf dankbare Ohren.

Denn Präsident Cyril Ramaphosa und mit ihm sein besonnener Gesundheitsminister Zweli Mkhize muten Südafrika derzeit viel zu. Es brodelt in der Bevölkerung. Hunger in den Armenvierteln, Existenzängste in den Betrieben der für die ohnehin schwer angeschlagene Wirtschaft so wichtigen Mittelschicht, und substanzielle Bedenken über die Wahrung von Grundrechten. Die Stimmung droht zu kippen.

Doch der "südafrikanische Weg" wirkt - zumindest was die Coronavirus-Infektionszahlen angeht. Knapp 200.000 Tests, 5350 Infektionsfälle und eine Sterberate von 1,3 Prozent. Eine Bilanz, die nur Wenige erwartet hätten, als Anfang März der erste Infektionsfall in Südafrika diagnostiziert wurde. "Wir sind zuversichtlich, dass wir den ersten Sturm gut überstanden haben", sagt Minister Mkhize während eines Auftrittes bei einer virtuellen WHO-Konferenz.

Mit den Worten "wir können viel voneinander lernen", hatte ihn die Direktorin des Regionalbüros für Afrika, Matshidiso Rebecca Natalie Moeti, eingeladen, wohl auch mit Blick auf die beunruhigenden Nachrichten aus afrikanischen Ländern wie Tansania.

Bisher bleibt die befürchtete Fall-Explosion aus

Premierminister Kassim Majaliwas zögerlicher Umgang mit Vorsichtsmaßnahmen wird besonders von den umliegenden ostafrikanischen Staaten kritisiert. Südafrikas langsam ansteigende Verlaufskurve hingegen kann sich im internationalen Vergleich sehen lassen. Derzeit liegt sie noch unter der Südkoreas. "Unser Ansatz ist proaktiv vorzugehen, damit unser schwaches Gesundheitssystem nicht unter einer Lawine von Covid-19 Fällen begraben wird", erklärt Mkhize.

Südafrika hat sehr früh alle Grenzen geschlossen, den internationalen Flugverkehr für Passagiere eingestellt und während des strengen Lockdowns 60.000 im Schnellverfahren ausgebildete Mitarbeiter zum Screening in die Gemeinden geschickt. Sie klopfen buchstäblich an die Haustüren, besonders in sogenannten Cluster-Regionen, in denen sich Infektionsfälle häufen.

Sechs Millionen Südafrikaner wurden bis Ende April auf Symptome von Covid-19 gescreent, 195.000 derer getestet, rund 5000 davon positiv. "Wir wollen nicht warten bis die Leute in unsere Krankenhäuser kommen", erklärt Minister Mkhize. "Wir finden sie lieber im frühen Stadium der Erkrankung, um sie isolieren und auch besser behandeln zu können." Für positiv getestete Patienten aus eng besiedelten Regionen, in denen eine Isolation zu Hause nicht möglich ist, wurden Bettenzentren eingerichtet.

Bisher blieb die befürchtete Explosion von Covid-19 Fällen in Südafrika aus. Der extrem strenge Lockdown hat sicherlich geholfen. Auch das Verkaufsverbot von Alkohol. "Wir brauchen eine nüchterne Bevölkerung." Mit diesen Worten hat Gesundheitsminister Mkhize, selbst ein Arzt, die umstrittene Maßnahme immer wieder verteidigt. Obwohl wütende Massen in den vergangenen Wochen immer wieder sogenannte Liquor Shops plünderten und der Schwarzmarkt blüht.

"Besonders unsere Großstädte sind ein Problem"

In den Krankenhäusern ist man dem Minister dankbar. Das Alkoholverbot hat schon jetzt viele Menschenleben gerettet, sagen die Ärzte. Nie standen so viele Betten in den Notaufnahmen leer, die sonst mit Opfern alkoholbegleiteter Gewaltverbrechen an ihre Grenzen stoßen. "Wir sind stolz auf das was wir erreicht haben", sagt Mkhize. "Doch in den kommenden Wochen müssen wir noch mehr leisten." Eine Verlängerung des Lockdowns würde nicht wesentlich mehr erreichen, befand der wissenschaftliche Rat. Deshalb startet ab heute der sogenannte "Lockdown-Light" in Form eines Stufensystems.

Die bisherige Stufe 5 ist die strengste, Stufe 1 ist die Rückkehr zur Normalität. Das System soll regional flexibel eingesetzt werden. "Es gibt verschiedene Ratings für verschiedene Teile unseres Landes", sagt der Minister. Je nach Infektionszahlen, Cluster-Entwicklung und Systemstärke können Maßnahmen in Regionen hoch- oder heruntergestuft werden.

"Besonders unsere Großstädte sind ein Problem", sagt Mkhize. Allen voran das bei deutschen Touristen so beliebte Kapstadt und weite Teile des Westkaps. Die Infektionszahlen dort sind im nationalen Vergleich sehr hoch. Deshalb ist davon auszugehen, dass Kapstadt noch länger unter strengsten Beschränkungen leben muss.

Weniger Entspannung für Bürger als erhofft

Jetzt aber fährt erst einmal ganz Südafrika auf Stufe 4 herunter. Hauptsächlich die extrem angeschlagene Wirtschaft profitiert. Die Produktion soll in einigen Sektoren bis zu 50 Prozent hochgefahren werden, der Export von Agrarprodukten, auch Wein ist wieder erlaubt und in den Läden dürfen wieder mehr Produkte verkauft werden. Bisher waren es nur essenzielle Lebensmittel. Nun gibt es auch Winterkleidung, Schreibwaren und Computerhardware.

Für den Bürger bringt "Stage 4" leider weniger Entspannung als so mancher hier gehofft hatte. Ab sofort gilt von 20 bis 5 Uhr nun auch noch eine Ausgangssperre. Joggen, Laufen und Fahrradfahren an der frischen Luft sind nur zwischen 6 und 9 Uhr morgens erlaubt, also meist vor Sonnenaufgang.

Südafrikas Regierung verteidigt den "risk adjusted", den risikobereinigten Ansatz als notwendig, denn das Schlimmste stehe dem Land noch bevor. "Es gibt keine Entwarnung", sagt Minister Mkhize. Bisher sei lediglich gelungen, den Höhepunkt der Epidemie von Juli auf September zu verschieben. Bis dahin, so hofft die Regierung, wird Südafrika mit viel eigener Kraft und internationaler Hilfe das Gesundheitssystem so aufgestellt haben, dass es Covid-19 standhält. Auf eine Vorhersage, mit wie vielen Infizierten das Land zu rechnen hat, will sich der Minister nicht einlassen. "Das ist mir zu gefährlich", sagt er. "Mit solchen Zahlen kann Schindluder getrieben werden."

Quelle: ntv.de


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