Israels Regierungschef auf der Anklagebank

  24 Mai 2020    Gelesen: 943
Israels Regierungschef auf der Anklagebank

Zigarren, Schmuck und rosa Champagner: Der Hang Benjamin Netanjahus und seiner Frau zum Luxus ist kein Geheimnis. Jetzt wird Israels Regierungschef der Prozess gemacht. Es geht um hochpreisige Geschenke und den Vorwurf der illegalen Einflussnahme auf Medien.

Zum ersten Mal in Israels Geschichte steht ein amtierender Ministerpräsident vor Gericht. Zum Auftakt des Aufsehen erregenden Korruptionsprozesses muss Benjamin Netanjahu am heutigen Sonntagnachmittag persönlich vor den drei Richtern des Jerusalemer Bezirksgerichts erscheinen. Am ersten Prozesstag soll zunächst die Anklageschrift verlesen werden. Es geht um drei Fälle. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 70-jährigen Netanjahu Betrug, Untreue und Bestechlichkeit vor.

Mit ihm sind weitere Personen angeklagt. Drei Kronzeugen - ehemalige enge Mitarbeiter - sollen gegen Netanjahu aussagen. Der Regierungschef streitet alle Vorwürfe ab. Netanjahu ist Israels am längsten amtierender Ministerpräsident. Er war erst vergangenen Sonntag erneut vereidigt worden. Seine fünfte Amtszeit ist wegen des Korruptionsprozesses äußerst umstritten. Kritiker befürchten, er könne versuchen, eine Verurteilung durch eine systematische Schwächung des Justizsystems und über Gesetzesänderungen zu verhindern.

Zurücktreten müsste Netanjahu erst im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung. Bis dahin könnten aber mehrere Jahre vergehen. Sollte er wegen Bestechlichkeit verurteilt werden, drohen Netanjahu bis zu zehn Jahre Haft. Im Falle einer Verurteilung wegen Betrugs und Untreue wäre die Höchststrafe drei Jahre Gefängnis.

Ein Bild mit Symbolkraft

Der Juraprofessor Juval Schani vom Israelischen Demokratie-Institut (IDI) sagt zu Netanjahus Anklage: "Es ist wirklich ein noch nie dagewesener Fall in Israel, dass ein amtierender Regierungschef vor Gericht steht." Das Bild Netanjahus vor Gericht werde starke Symbolkraft haben, glaubt er. Zwar seien schon Haftstrafen gegen Ex-Regierungschef Ehud Olmert und den früheren Präsidenten Mosche Katzav verhängt worden, aber diese hätten ihr Amt jeweils noch vor der Anklage niedergelegt. "Nun haben wir diese außergewöhnliche Situation, in der Netanjahu sich weigert zurückzutreten und die Wählerschaft sich damit abgefunden hat, dass ihm der Prozess gemacht wird, während er regiert", sagt Schani.

Der Ministerpräsident wird verdächtigt, als Kommunikationsminister dem Telekom-Riesen Bezeq Vergünstigungen gewährt zu haben. Mit dem Mehrheitsaktionär Schaul Elovitsch hat Netanjahu laut der Anklage eine Korruptionsbeziehung von "Geben und Nehmen" geführt und diesem Profite in Höhe von 1,8 Milliarden Schekel (473 Millionen Euro) ermöglicht. Im Gegenzug soll das zum Konzern gehörende Medium "Walla" positiv über Netanjahu berichtet haben. In diesem Fall geht der Generalstaatsanwalt von Bestechlichkeit sowie von Betrug und Untreue aus.

"Es geht nicht nur um Einflussnahme in der Berichterstattung, sondern um komplette redaktionelle Kontrolle der Webseite durch Netanjahu und seine Leute", sagt Amir Fuchs vom Israelischen Demokratie-Institut. Sie hätten bis ins Detail entschieden, "welcher Post erscheinen soll, welche Bilder". Es gehe "nicht nur um positive Berichterstattung, sondern um absolute Kontrolle" der zweitwichtigsten Nachrichtenseite des Landes.

Außerdem wird Netanjahu verdächtigt, von befreundeten Milliardären Luxusgeschenke im Wert von umgerechnet rund 184.000 Euro angenommen zu haben - Schmuck, Zigarren und rosa Champagner. Zudem soll er dem kritischen Zeitungsverleger Arnon Moses angeboten haben, im Gegenzug für positive Berichterstattung dessen Konkurrenzblatt zu schwächen. Er soll auch negative Berichterstattung über politische Rivalen bestellt haben.

Prozess beschädigt Glaubwürdigkeit

Zu Netanjahus Kampf vor Gericht während seiner Amtszeit sagt Schani: "Es ist grundsätzlich höchst problematisch, wenn der Chef der Exekutive ein Angeklagter ist, der sehr aggressiv kämpft, um die Behörden zu schwächen, die ihn strafrechtlich verfolgen." Alle Entscheidungen Netanjahus als Regierungschef könnten nun in zweifelhaftem Licht erscheinen. "Wenn wir jetzt etwa einen Krieg haben, ist das wegen einer echten Bedrohung, oder weil er die öffentliche Meinung ablenken will?"

Netanjahu führe gegenwärtig einen gefährlichen "Kreuzzug gegen das Justizsystem", sagt Schani. Seine Verteidigung werde Netanjahu neben seinem Amt als Regierungschef viel Zeit kosten, meint der Juraprofessor. "Und es gibt auch den psychologischen Aspekt - eine Anklage bedeutet großen Stress." Neben dem Prozess muss sich Netanjahu auch mit der Bewältigung der Corona-Krise befassen. Zudem könnten Annexionspläne im besetzten Westjordanland zu größeren politischen Spannungen mit den Palästinensern und Israels Nachbarn führen.

Netanjahu nennt Anklage "lächerlich"

Gestützt auf seine neue Elefantenregierung mit einer Mehrheit von 73 der 120 Abgeordneten im Parlament, gibt Netanjahu sich kämpferisch. Der 70-Jährige weist alle Vorwürfe gegen sich vehement zurück. Vor der ersten Sitzung seiner neuen Regierung sagte er: "Ich glaube nicht, dass von diesen lächerlichen Anschuldigungen ein Stein auf dem anderen bleiben wird." Den Prozess beschrieb er als "Witz".

Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit hatte im November "schweren Herzens" mitgeteilt, Netanjahu solle wegen Betrugs und Untreue sowie Bestechlichkeit angeklagt werden. Gegen ihn gab es seitdem mehrfach Morddrohungen. Im Verfahren gegen Netanjahu sollen zahlreiche Zeugen befragt werden, darunter auch der US-Milliardär Sheldon Adelson, der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses (WJC), Ron Lauder, der Hollywood-Produzent Arnon Milchan und der australische Unternehmer James Packer. Auch Springer-Chef Mathias Döpfner erscheint in der Anklageschrift als einer von mehr als 300 Zeugen.

Als Oppositionsführer hatte Netanjahu 2008 den damaligen Regierungschef Ehud Olmert zum Rücktritt gedrängt, als dieser unter Korruptionsverdacht stand. Die Korruptionsvorwürfe hatten damals Olmerts politische Karriere beendet. Nach einer Verurteilung trat Olmert im Februar 2016 eine 19-monatige Haftstrafe an; er kam allerdings drei Monate früher wieder auf freien Fuß.

Quelle: ntv.de, ino/dpa


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