Die SPD nimmt Fahrt auf

  08 Juni 2020    Gelesen: 997
Die SPD nimmt Fahrt auf

Keine Abwrackprämie für die Autokonzerne, aber Corona-Unterstützung für bedürftige Familien und Hilfe für Kommunen: Die SPD kann punkten mit dem Konjunkturprogramm und konzentriert sich gerade auf Politik statt auf interne Intrige. Das müssen jetzt nur noch die Wähler merken.

Das spektakulärste am Corona-Konjunkturpaket ist das, was nicht beschlossen wurde: die Abwrackprämie. Erstmals seit gefühlt Jahrzehnten hat sich die mächtige und auch wichtige deutsche Autoindustrie bei einer sie betreffenden politischen Entscheidung nicht automatisch durchgesetzt. Durchgesetzt hat sich stattdessen: Saskia Esken.

Esken, seit Dezember vergangenen Jahres Co-Vorsitzende der SPD, hat auf der politischen Bühne bislang wenig Zuspruch bekommen, am allerwenigsten in ihrer Partei. Vermögenssteuer wieder einführen? Gutverdienenden die Rentenbeiträge erhöhen? Vorschläge noch aus Zeiten vor Corona, die ohne jede Reaktion von Kollegen verpufften. Intern galt die Parteichefin, die sich bislang weder bereit zeigte, anlasslos gute Laune auszustrahlen noch die für das Überleben in der Partei so wichtigen Netzwerke zu knüpfen, als nahezu isoliert.

Eskens Vorschlag in der Krise, die Unterstützung für die Wirtschaft auch durch eine Vermögensabgabe zu finanzieren, wurde umgehend von der ersten Reihe beerdigt - Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil stellte heraus, dass eine derartige Abgabe auch den Mittelstand belasten würde, der gleichzeitig unter der Wirtschaftskrise mit am stärksten leide. Schwamm drüber.

Keine To-Do-Liste mehr von der Auto-Lobby

Und schon wieder deutete sich dieselbe Falle an, in die die SPD - im RTL/ntv Trendbarometer derzeit bei 16 Prozent - nun schon einige Male getappt ist: das Spitzenpersonal, das man sich selbst gewählt hat, im Anschluss daran auch selbst zu demontieren. Etwas, das bei den Wählerinnen und Wählern in den vergangenen Jahren erkennbare Ermüdungserscheinungen verursacht hat.

Doch dann stand Esken plötzlich in der Öffentlichkeit da als diejenige, die vielleicht am klarsten und vor allem erfolgreich in den Verhandlungen über das Konjunkturprogramm dafür gekämpft hatte, dass es offenbar ab jetzt nicht mehr reicht, Volkswagen-Chef zu sein, um bei der Bundesregierung eine To-Do-Liste abgeben zu können. Schon gar nicht ohne die erklärte Bereitschaft, sich auch selbst zu bewegen, als Konzern und als Branche.

Für die Ablehnung der Abwrackprämie gab es durchaus Kritik. "Wenn man die Konjunktur anfachen will, muss man nicht gleichzeitig auch noch Klimapolitik betreiben, das ist ein Widerspruch in sich", sagt der Politologe Jürgen Falter von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Gespräch mit ntv.de. Vernichtend jedoch war die Reaktion von Gewerkschaften und Betriebsräten. "Stinksauer" seien der Daimler-Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht und Kollegen anderer Autohersteller und Zulieferbetriebe. Er sehe eine Rationalisierungswelle heranrollen, "die massiv an die Arbeitsplätze herangeht". Die SPD-Spitze habe es nicht verstanden.

"Diese Entscheidung wird der Partei vielleicht etwas schaden bei der Metallarbeiterklientel und der Maschinenbauerklientel. Dafür erfreut es die Studienräte, die SPD wählen", sagt Parteienforscher Falter dazu. Und an anderer Stelle würden Arbeiterinteressen auch wieder bedient, vor allem bei den 25 Milliarden Euro Unterstützung für Selbständige und mittelständische Betriebe. "Die sichern dann auch den Arbeitsplatz des dortigen Metallarbeiters", so Falter zu ntv.de.

Erfolg im Krisenmanagement, aber nicht in den Umfragen

Ein Schaden, der sich für die SPD also in Grenzen halten könnte, gegenüber zwei starken Effekten. Zum einen als Symbol: Wir lassen uns von der Autolobby nichts vorschreiben. Zum anderen als Beleg dafür, dass die Sozialdemokraten diesmal vielleicht noch eben die Kurve kriegen, bevor sie nach Andrea Nahles auch die nächste Frau an der Spitze so lange bekämpfen, bis der Platz wieder vakant ist. Und auf Effekte muss die Partei setzen, denn das bisherige erfolgreiche Krisenmanagement innerhalb der Großen Koalition bringt ihr kaum Erfolge in den Umfragen.

Sicher, die 12 Prozent vom Januar haben die Sozialdemokraten wohl dauerhaft überwunden, aber nur die CDU profitiert in der Corona-Krise überdeutlich von ihrer Regierungstätigkeit und liegt im Trendbarometer die dritte Woche in Folge bei 40 Prozent. So könnte es ganz angebracht sein, neben Aushängeschild Olaf Scholz als Finanzminister doch noch die Parteivorsitzenden weiter nach vorn zu stellen, um öffentlichkeitswirksame Entscheidungen auch mit der gesamten Partei zu verbinden.

Bemerkenswert, dass der im Wettbewerb um den Chefposten unterlegene Scholz sich offenbar sehr schnell dazu entschlossen hatte, die in der Partei so leidenschaftlich betriebene üble Nachrede nicht mitzumachen. Er attestierte Esken und ihrem Co-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans eine konstruktive Haltung, und die von vielen beobachtete Isolation ist aus Scholz' Sicht auch gar nicht so stark ausgeprägt. Kluge, mäßigende Töne vom Vizekanzler, der auch sehr scharfzüngig sein kann.

Scholz kann endlich Geld ausgeben

Scholz steht seine neue Rolle als Finanzminister, der auch Geld ausgibt, anstatt es permanent nur zurückzuhalten, merklich gut. Zum einen, weil die Tatsache, dass er nun Geld ausgeben kann, ja auch einiges damit zu tun hat, dass er es vorher zurückhielt. Und wohl kaum jemand würde bestreiten, dass Scholz' stoisches Beharren auf der schwarzen Null - unter anderem auch gegen weitreichende Investitionsforderungen seiner Parteikollegen Esken und Walter-Borjans - Deutschland in der völlig unerwarteten pandemiebedingten Wirtschaftskrise nun durchaus zupass kommt.

Zum anderen könnte Scholz' aktive Rolle bei der Finanzierung der Corona-Hilfen und als erfolgreicher Krisenmanager denjenigen Teil der SPD versöhnen, der ihn in der Vergangenheit als die Verkörperung der Großen Koalition, als Vertreter des Parteien-Establishments und Anti-Erneuerer abgelehnt hat. Und dieser Effekt wiederum könnte dazu führen, dass Scholz im kommenden Herbst mit breiter Unterstützung zum SPD-Kanzlerkandidaten gekürt wird.

Nicht nur, weil er hinter Kanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder der aktuell drittbeliebteste deutsche Politiker ist - in einer Top-Ten-Riege, in der außer Arbeitsminister Hubertus Heil derzeit kein weiterer SPD-Politiker vorkommt. Die Sozialdemokraten könnten Scholz womöglich langsam glauben, was er schon im Rennen um den Parteivorsitz immer wieder vergebens erklärte: dass er ein "truly", ein wirklicher Sozialdemokrat sei.

Es gibt also das Potential in der SPD, über die 16 Prozent Zustimmung in Umfragen hinauszukommen. Eine Voraussetzung dafür ist aber, dass Ministerriege, Fraktion und Parteichefs dauerhaft an einem Strang ziehen. Für die SPD eine echte Herausforderung.

Quelle: ntv.de


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