Der Klima-Effekt durch Corona verpufft

  10 Juni 2020    Gelesen: 670
 Der Klima-Effekt durch Corona verpufft

Was zum Höhepunkt der weltweiten Lockdowns von manchen als Erholung fürs Weltklima gedeutet wurde, ist schon wieder abgehakt. Jüngste Messungen zeigen: Der Anstieg des Kohlendioxids läuft praktisch ungebremst weiter.

Die Weltwirtschaft am Boden? Corona-Lockdowns als größter Konjunkturkiller der Nachkriegszeit? Viele deuten den tiefen Knick, der sich in der Wachstumskurve dieses ersten Halbjahres der Pandemie abzeichnet, genau so: als tiefen, schwer zu stoppenden Fall ganzer Volkswirtschaften, der Zusammenbruch des Welthandels.

Gleichzeitig rieben sich auf der anderen Seite einige Klimaschützer die Hände: Die Kraftwerke wurden gedrosselt, der Verkehr verringert, was auch atmosphärisch sichtbar wurde: Siebzehn Prozent weniger Kohlendioxid-Emissionen im Schnitt weltweit bis Anfang April – was sich auf Satellitenbildern schon Wochen vorher abzeichnete, hatte eine „Nature“-Studie vor kurzem auch rechnerisch gezeigt. Und all das, so hofften Klimaschützer, sollte dem Weltklima gut bekommen – und emissionstechnisch den Weg in die klimapolitische Zukunft weisen.

Für das ganze Pandemie-Jahr 2020 wurden 3 bis 13 Prozent weniger Emissionen berechnet, sofern wenigstens ein Teil der Pandemie-Einschränkungen bis zu Jahresende aufrecht erhalten bliebe. Die Spanne ist groß. Auf alle Fälle aber, und daran zweifelten auch Ökonomen nicht, sollte die von der Corona-Krise verursachte Emissionsdelle in der Endabrechnung sichtbar werden. Darin könnten sich nun alle getäuscht haben.
Denn in der sogenannten Keeling-Kurve, die Wissenschaftler des Scripps Institute of Oceanography mit den Daten ihrer Kohlendioxid-Messungen auf dem Mouna Loa in Hawaii quasi in Echtzeit erstellen, stehen die Zeichen auf „Alles beim Alten“. 416,76 ppm steht da inzwischen als Durchschnittswert für die vergangenen sieben Tage, das ist immerhin knapp 2 ppm mehr als die 414,8 ppm, die als Höchstwert im vergangenen Jahr gemessen wurden. Und wie gut man den Kurvenverlauf des ersten Halbjahres auch auflöst – eine deutliche Delle ist nicht zu erkennen.

China überschreitet Vor-Corona-Luftverschmutzung

Die Keeling-Kurve zeigt, wenn man so will, den Verlauf des entscheidenden Stoffwechselwerts des Planeten, der dem Fieberanstieg vorangeht: Steigt der Kohlendioxidgehalt in der Luft, was auf dem Mouna Loa seit Jahrzehnten wissenschaftlich höchst zuverlässig gemessen wird, beschleunigt sich auch der globale Klimawandel. Umgekehrt gilt: Sinken die mittleren Werte der Keeling-Kurve, deutet das auf sinkende Emissionen hin. Allerdings muss man, um ein klares Bild über den menschlichen Anteil am Kohlendioxidanstieg zu bekommen, die Kurve dazu glätten. Man muss die Jahreszeiteneffekte zum Beispiel herausnehmen und auch großräumige und langanhaltende Klimaanomalien oder Naturereignisse wie die Klimaanomalie El Niño mitunter oder große Vulkanausbrüche, die viel Kohlendioxid und Aerosole über Wochen freisetzen können.

Ralph Keeling, dessen Vorfahre vor zweiundsechzig Jahren die Station auf Hawaii einst eingerichtet hatte, rechnete ohne die Lockdowns mit einem „regulären“ Anstieg der Kohlendioxidemissionen von 2,8 ppm in den ersten Monaten. Drei Viertel davon also wurden realisiert – trotz der vor allem in einigen Industrieländern deutlichen Einschränkungen. Dafür, dass der Emissionseinbruch tatsächlich nur ein kurzes Strohfeuer bleiben wird, spricht auch die jüngste Entwicklung in China. Im ersten Epizentrum der Seuche, wo die Pandemie-Maßnahmen schon früh zu Kohlendioxid-Emissionsminderungen bis zu 25 Prozent geführt hatten und die Stickoxidmengen ebenso wie Feinstaubbelastungen im März sogar mehr als 35 Prozent gedrückt wurden, sind die Öfen längst wieder hochgefahren.

Schon Ende Mai hatte China die Vor-Corona-Luftverschmutzung wieder erreicht – und mittlerweile sogar klar überschritten, wie das unabhängige Monitoringzentrum „Crea“ meldete. Dass Ende dieses Jahres der Pandemie-Knick in der Klimakurve noch zu sehen sein wird, so gaben die Mouna-Loa-Forscher dem „Guardian“ zu verstehen, geht gegen null: Dazu müssten die Emissionen übers ganze Jahr um 20 bis 30 Prozent sinken. Denn das Kohlendioxid in der Atmosphäre verhält sich in den Kurven wie der Müll auf einem riesigen Abfallberg: Er wächst weiter. Fällt das Häufchen eine Zeitlang ein bisschen weniger aus, ändert das an dem für alle Welt sichtbaren Müllüberschuss überhaupt nichts. Tatsächlich müssten, um die Pariser Klimaziele einer Maximalerwärmung von deutlich unter zwei Grad zu schaffen, von 2020 an global gesehen zwischen 4 und 7 Prozent jährlich weniger Kohlendioxid emittiert werden – Jahr für Jahr.    

FAZ.net


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