Staatlicher Zugriff auf Bestandsdaten muss begrenzt werden

  17 Juli 2020    Gelesen: 478
Staatlicher Zugriff auf Bestandsdaten muss begrenzt werden

Im Kampf gegen Straftäter und Terroristen dürfen Behörden Daten von Handy- und Internetnutzern abfragen. Karlsruher Richter erklärten nach einer Klage von Datenschützern nun einige der Regelungen für verfassungswidrig.

Die staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf persönliche Daten von Handy- und Internetnutzern zur Strafverfolgung und Terrorabwehr gehen zu weit. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Regelungen zur sogenannten Bestandsdatenauskunft für verfassungswidrig erklärt, teilte das Gericht in Karlsruhe am Freitag mit. Sie können aber bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber unter gewissen, vom Gericht vorgegebenen Maßgaben weiter angewendet werden.

Polizei, Bundeskriminalamt und Nachrichtendienste dürfen für ihre Arbeit die "festen" Bestandsdaten abfragen. Dazu gehören zum Beispiel auch der Name und das Geburtsdatum, nicht aber einzelne Verbindungen - solche Daten heißen in der Fachsprache Verkehrsdaten.

Die Behörden nutzen die Auskünfte, um Verbrechen aufzuklären oder Terroranschläge zu verhindern. Zum Teil läuft die Abfrage zentral und automatisiert über die Bundesnetzagentur. Andere Daten fragen die Ermittler einzeln bei Telefongesellschaften und Providern ab, aber zum Beispiel auch bei Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Hotels. Diese manuelle Bestandsdatenauskunft verletze das informationelle Selbstbestimmungsrecht und das Telekommunikationsgeheimnis der Inhaber von Telefon- und Internetanschlüssen, heißt es in der Begründung des Karlsruher Beschlusses. Die Eingriffsschwelle sei nicht verhältnismäßig geregelt.

Die Erteilung der Auskunft über Benutzerdaten sei zwar grundsätzlich zulässig, heißt es weiter. Der Gesetzgeber müsse aber sowohl für die Übermittlung der Bestandsdaten durch die Telekommunikationsunternehmen als auch beim Abruf durch die Bundesbehörden jeweils verhältnismäßige Rechtsgrundlagen schaffen. Diese Voraussetzungen erfülle die Regelung im Telekommunikationsgesetz (TKG) überwiegend nicht.

Paragraf 113 Abs. 1 Satz 1 TKG öffne "das manuelle Auskunftsverfahren sehr weit", indem er "Auskünfte allgemein zum Zweck der Gefahrenabwehr, zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sowie zur Erfüllung nachrichtendienstlicher Aufgaben erlaubt und dabei keine ihre Reichweite näher begrenzenden Eingriffsschwellen enthält", heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts.

Die Regelung kann aber "zur Abwehr einer konkreten Gefahr im Sinne der polizeilichen Generalklausel" weiter verwendet werden, oder auch "bezogen auf die Nachrichtendienste zur Aufklärung einer bestimmten, nachrichtendienstlich beobachtungsbedürftigen Aktion oder Gruppierung", wenn dies "im Einzelfall geboten ist". Zur Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten darf sie weiter angewendet werden, "wenn zumindest ein Anfangsverdacht vorliegt".

Verfassungsbeschwerde des Europapolitikers Patrick Breyer
Das Verfassungsgericht hatte die Praxis der Bestandsdatenauskunft 2012 an sich weitgehend bestätigt. Angesichts der zunehmenden Bedeutung elektronischer Kommunikationsmittel seien die Behörden "auf eine möglichst unkomplizierte Möglichkeit angewiesen, Telekommunikationsnummern individuell zuordnen zu können", entschieden die Richter damals. Die Regelungen im Telekommunikationsgesetz gingen ihnen aber in einigen Punkten auch zu weit, es musste nachgebessert werden.

Nun hat das Gericht über zwei Verfassungsbeschwerden gegen diese überarbeiteten Vorschriften entschieden. Eine davon war 2013 von dem heutigen Piraten-Europapolitiker Patrick Breyer eingereicht worden, eine weitere von seiner früheren Parteikollegin Katharina Nocun. Breyer hatte zusammen mit seinem Bruder auch schon die erste Karlsruher Entscheidung erstritten.

Die Kläger kritisierten, Polizei und Geheimdienste könnten nun sogar leichter und in noch größerem Umfang Daten einsehen. Die Abfrage von Passwörtern zu E-Mail-Postfächern - sofern diese unverschlüsselt gespeichert werden - oder von Handy-Pins müsste zwar jetzt ein Richter genehmigen, das könne aber oft umgangen werden. Über die genutzte IP-Adresse sei jeder Internetnutzer jederzeit namentlich identifizierbar. Mit der Klage wollten sie erreichen, dass der Staat Kommunikationsdaten nur bei schweren Straftaten und nicht schon bei Bagatelldelikten nutzen darf.

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte sieht die Auskünfte bei Ordnungswidrigkeiten und nur abstrakten Gefahren kritisch und hatte sich für strengere Regeln eingesetzt. (Az. 1 BvR 1873/13 u.a.)

spiegel


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