Unter den Opfern sind auch Täter

  24 Juli 2020    Gelesen: 462
Unter den Opfern sind auch Täter

Wir müssen lernen, dass es auch antisemitische Schwarze und rassistische Juden gibt. Das ändert aber nichts an dem Leid und Unrecht, das diese Minderheiten erfahren.

Können Schwarze gleichzeitig unter Rassismus leiden und Antisemiten sein? In den USA ist darüber eine Diskussion entbrannt. Sie begann mit dem Instagram-Post eines schwarzen Football-Spielers: Am 6. Juli veröffentlichte DeSean Jackson, Mitglied der Philadelphia Eagles, eine abfotografierte Seite eines Buchs. Markiert war ein Zitat, das angeblich von Adolf Hitler stammt. Die Juden wüssten, dass Schwarze "die wahren Kinder Israels" seien. Um dieses Geheimnis zu bewahren, erpressten die Juden Amerika.

Alles daran ist Unfug: Weder hat Hitler so etwas je gesagt noch "erpressen" die Juden die USA. Seitdem werden weitere Äußerungen von schwarzen Prominenten publik. Der US-Moderator Nick Cannon wurde entlassen, weil er in einem Podcast fabuliert hatte, die Schwarzen seien "die wahren Hebräer". Cannon begründete das so: Die Schwarzen seien das echte "semitische Volk" - deshalb könne man als Schwarzer "nicht antisemitisch sein".

Schwarze werden in den USA seit Jahrzehnten auf beispiellose Art und Weise diskriminiert. Millionen Menschen wachsen nicht nur mit dem Gefühl auf, weniger wert zu sein. Sie haben bei jeder Polizeikontrolle Angst, teils müssen sie um ihr Leben fürchten. Aber dass ihnen Unrecht widerfährt, heißt nicht, dass sie nicht auch anderen Unrecht tun können.

Unordnung überfordert uns
Es ist nicht leicht, diese Ambivalenz auszusprechen und auszuhalten. Es gibt Schwarze, die Vorurteile gegen Juden haben. Andersherum hegen manche Juden Ressentiments gegen Muslime.

Warum fällt es uns so schwer, diese Komplexität anzuerkennen? Auch Medien tragen dazu bei. Geschichten lassen sich am besten erzählen, wenn es einen Helden gibt und einen Bösewicht. Das gilt erst recht für soziale Medien. Oft geht es darum, klare Meinungen zu vertreten. Plattformen wie Twitter sind selten Orte der Differenzierung. Fast niemand lässt andere Sichtweisen zu oder gesteht Fehler ein. Unordnung überfordert uns. Also ordnen wir die Welt in Gut und Böse. Aber so ist sie nicht.

spiegel


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