Moskau bloß keinen Vorwand liefern

  20 Auqust 2020    Gelesen: 498
Moskau bloß keinen Vorwand liefern

Die Proteste in Belarus sind für die EU und die deutsche Ratspräsidentschaft unter Angela Merkel eine Herausforderung. Europas Handlungsspielraum ist begrenzt - und die Sorge vor Russlands Intervention groß.

Es ist die Zeit der Telefondiplomatie für die Kanzlerin. Gerade erst hat sie mit Russlands Präsident Wladimir Putin über die angespannte Lage in Belarus gesprochen. Angela Merkel hat auch versucht, den von Massenprotesten und Streiks bedrängten Präsidenten in Belarus, Alexander Lukaschenko, über Telefon zu erreichen. "Leider", sagte sie am Mittwoch in Berlin nach dem EU-Video-Sondergipfel zu Belarus, sei das Gespräch "nicht zustande gekommen" - weswegen sie "zurzeit" auch persönlich keine Vermittlerrolle übernehmen könne, wie sie die belarussische Opposition zuvor ins Spiel gebracht hatte.

Die Krise in Belarus, die nach den Wahlen vor zwei Wochen mit Dauerprotesten und Streiks anhält, ist für die Bundesregierung und die EU eine besondere Herausforderung. Die Beteiligten wissen, dass Moskau die Ereignisse im Nachbarland genau beobachtet. Einen zweiten gewaltsamen Umsturz, wie er 2013/14 in der Ukraine nach Massenprotesten erfolgte und mit dem Exil des damaligen russlandfreundlichen Präsidenten Wiktor Janukowytsch endete, ist nicht im Interesse Moskaus.

Es ist ein Drahtseilakt, den die EU vollzieht. Merkel betonte, dass man auf der Seite der "friedlichen Demonstranten" stünde. Es gebe keinen Zweifel, dass die Wahlen "weder fair noch frei" gewesen seien, "deshalb kann man die Ergebnisse dieser Wahlen auch nicht anerkennen".

Ob sie damit auch die Legitimation des Präsidenten Lukaschenko in Frage stelle, wurde sie in der Pressekonferenz nach der Schalte mit ihren Amtskollegen gefragt. Sie wiederholte ihren Satz von den Wahlen und fügte lakonisch hinzu, man müsse konstatieren, "dennoch ist Herr Lukaschenko noch da". Wenn sie zu einem nationalen Dialog aufrufe, dann "natürlich auch unter der Beteiligung der Leute, die dort Macht haben". Merkel dankte den EU-Partnern Litauen und Polen für ihre Bemühungen in der Krise, in Litauen hat die Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja Aufnahme gefunden.

Merkel weiß, die Einflussmöglichkeiten Europas sind begrenzt. Sicher, die EU, deren Ratspräsidentschaft derzeit Deutschland inne hat, kann politischen Druck ausüben. Sie kann für ihre Werte eintreten. Sie hat sich auch auf Sanktionen verständigt, die in Kürze in Kraft treten sollen.

Nicht gegen die Bevölkerung, wie Merkel hervorhob, sondern gegen jene, die für "Gewalt und Wahlfälschung" verantwortlich seien. Die EU fordert die bedingungslose Freilassung der Inhaftierten sowie einen nationalen Dialog, der von der OSZE begleitet werden könnte. Die Akteure müssten in einem solchen Dialog "frei handeln können", auch die Möglichkeit einer unabhängigen Medienberichterstattung hob Merkel hervor.

Die Sorge vor einer Einmischung Russlands ist groß. Merkel mahnte, es dürfe "keine Einmischung von Außen geben", man wolle eine "unabhängigen Weg" des Landes. Ein "militärisches Eingreifen Russlands", das habe man klar gemacht, würde die "Situation sehr verkomplizieren".

Aber die EU nimmt sich auch selbst in die Pflicht, offenbar mit Blick auf die Erfahrungen, die Moskau einst in der Ukraine den Vorwand gaben, von einer Einmischung der EU zu reden. "Wir werden sehr darauf achten, dass nicht wir für Weißrussland erklären, was dort zu tun ist, sondern dass Weißrussland, die Opposition in Belarus selber das tut", sagte die Kanzlerin. Am Ende müsse Belarus "seinen Weg für sich alleine finden".

Distanz zwischen Moskau und Minsk
An deutlichen Worten hat es die EU seit Lukaschenkos brutalem Vorgehen gegen die Demonstranten nicht mangeln lassen. Bereits am Tag nach der Wahl hatte Außenminister Heiko Maas den Machthaber von Minsk scharf kritisiert, "Gewalt, Einschüchterung und Verhaftungen" angeprangert. Einen Tag später, während eines Besuchs bei seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow, drohte Maas mit neuen Sanktionen, nachdem in der Vergangenheit Strafmaßnahmen zurückgenommen worden waren - etwa weil politische Gefangene frei gekommen waren.

Die Mitgliedstaaten beauftragten den Auswärtigen Dienst der EU, eine Liste von Personen vorzubereiten, die Sanktionen treffen könnten. Lukaschenko selbst sollte aber nicht auf der Liste stehen. Viele EU-Staaten, darunter auch die deutsche Regierung, fürchteten, ihn mit einem solchen Schritt in die Arme Wladimir Putins zu treiben. Lukaschenko war in der Vergangenheit immer wieder auf Distanz zu Moskau gegangen.

Nach der Besetzung der Krim durch Russland hatte der Machthaber von Minsk gesagt, er "werde niemals gegen den Westen kämpfen, um Russland zu gefallen". Scharf kritisierte er den russischen Anspruch auf die ukrainische Halbinsel: "Dann können wir auch in die Zeit Batu Khans zurückgehen. Und dann wird man Kasachstan, der Mongolei und anderen praktisch das gesamte Territorium Russlands und Osteuropas geben müssen."

Im Wahlkampf hatten die Behörden in Belarus die Verhaftung von 32 Mitgliedern der russischen Gruppe "Wagner" bekanntgeben, ihnen wurde eine Verschwörung vorgeworfen, um das Land zu destabilisieren. Lukaschenko forderte von Moskau Aufklärung über die Vorgänge.

All das nährte in der EU die Hoffnung, Lukaschenko wolle seine Unabhängigkeit behalten. Doch seit dem Wahlsonntag hegt man in Berlin und Brüssel immer mehr den Verdacht, dass es sich um ein abgekartetes Spiel zwischen Moskau und Minsk handeln könnte, um die EU zu verunsichern.

Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Omid Nouripour, beantragte nach SPIEGEL-Informationen eine Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses. "Die Bundesregierung muss erklären, welche Strategie sie gegenüber Lukaschenko verfolgen will. So wie bisher geht es nicht weiter", sagte Nouripour dem SPIEGEL.

spiegel


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