Dann zeigt Wey nach Osten. Eng glucken die Häuser von Andermatt um den Kirchturm. Aber außerhalb des Bergdorfs, dort, wo eine Schlucht in das Hochtal mündet, ist eine Baustelle zu sehen. Gelber Kran, nackter Beton, große Baugrube. Vier neue Apartmenthäuser stehen in der Landschaft wie Klötze, die versehentlich neben dem Bach abgesetzt wurden - hier soll Neu-Andermatt entstehen. Ein Projekt, das die Talbewohner einst zum Träumen brachte. Inzwischen ist Ernüchterung eingezogen.
"Wegen der hohen Häuser gibt es jetzt weniger Zug im Dorf", sagt Wey. Durch die enge Schöllenenschlucht pfeift der Wind wie durch eine Düse und weht genau dort in das breite Tal, wo die neuen Häuser mit den Ferienwohnungen stehen. Der Bergführer sagt: "Es hatte schon seinen Grund, warum man die Fläche, auf der jetzt gebaut wird, dem Militär gegeben hat."
Ab 1886 war Andermatt in der Hand der Schweizer Armee. Sie baute das Gotthardmassiv zur Alpenfestung aus, die Losung lautete: Wer den Gotthard hat, hat die Schweiz. Aber nach dem Ende des Kalten Krieges brauchte das Land die Kasernen und Bunker im Hochgebirge nicht mehr. Die Soldaten zogen ab, und das Bergdorf - 1400 Einwohner, 1444 Meter hoch gelegen - wurde unruhig: Wovon sollten sie jetzt leben? Viele Bewohner zogen weg.
Der ägyptische Investor Samih Sawiris machte das Angebot, auf dem Militärgelände im Urserental das größte Luxusresort der Alpen zu bauen. Sechs Hotels, 42 Apartmenthäuser mit 500 Ferienwohnungen. Dazu zwei Dutzend Villen und einen 18-Loch-Golfplatz. Budget: 1,8 Milliarden Franken. Die Bürger stimmten mit 96 Prozent für den Plan, der ein besseres St. Moritz versprach: einen exklusiven Urlaubsort ohne die hässlichen Auswüchse der Spekulanten.
Das Projekt ist Jahre verspätet
Daran, wie der Investor aus dem Morgenland zum Heilsbringer verklärt wurde, erinnert sich Bänz Simmen noch gut. Der Mann mit dem grauen Stoppelbart ist Anfang 50 und bietet historische Führungen an. "Andermatt war wie eine DDR ohne Kommunismus", sagt er. Der Staat sorgte für die Bürger im Dorf neben der Kaserne. "Du musstest nicht gut in irgendetwas sein - du musstest einfach nur da sein." Der Tourismus lief schleppend, "zu Gästen hätte man ja freundlich sein müssen".
Simmen geht die verschneite Dorfstraße entlang und zeigt, wie die Pläne von Neu-Andermatt den alten Ort aus seiner Lethargie geweckt haben. Neue Bars und Geschäfte haben eröffnet. Im Café Toutoune gibt es Falafel, das wäre vor zehn Jahren genauso undenkbar gewesen wie die Boutique Annehouse, die alpinen Lifestyle verkauft. Und die Matterhorn-Gotthard-Bahn investiert 70 Millionen Franken in eine neue Station, derzeit laufen die Vorarbeiten.
Zugleich aber liegt das ganze Projekt Jahre hinter Plan. Das Luxushotel Chedi, Leuchtturm von Neu-Andermatt, ist noch immer das einzige der geplanten sechs Hotels und im Durchschnitt nur zu mageren 30 Prozent gebucht. Erst vier der Apartmenthäuser sind fertig. Und die Verwirklichung des Herzstücks, der "Skiarena", das den Wintertourismus wieder ins Tal holen soll, liegt in weiter Ferne. Im Januar erst wurde der erste von zehn neuen Seilbahnen eröffnet.
"Vielen geht es nicht schnell genug", sagt auch Bänz Simmen über die Stimmung im Dorf. "Manche haben noch nicht verstanden, dass Sawiris keine Ersatzorganisation des Staates ist." Am Anfang war die Opposition gegen den Investor verschwindend klein. "Jetzt ist sie breiter geworden. Die Entwicklung des Projekts ist in einer sensiblen Phase, 2016 wird ein ganz wichtiges Jahr." Simmen hofft, dass sein Dorf die Chance nutzt. Und anknüpft an den florierenden Tourismus des 19. Jahrhunderts, als die Schöllenenschlucht für englische Gäste bengalisch beleuchtet wurde.
Die Großbaustelle am Alpenhauptkamm ist für Andermatt eine Chance, aber auch ein Risiko. Was passiert, wenn dem Investor Sawiris nach Banken- und Frankenkrise und bei dem schlechten Geschäft in der Heimat Ägypten der Dampf ausgeht? Zumal sein Unternehmen Andermatt Swiss Alps AG (ASA) seit 2013 Verluste von gut 40 Millionen Euro schrieb. Skeptiker fragen, ob Golfspieler im rauen Hochgebirge abschlagen wollen, wo es doch am Mittelmeer mehr als genug Plätze gibt. Und wie viele Gäste sich im Chedi ein Doppelzimmer für 600 Euro leisten wollen.
Im April wird weitergebaut
Doch bisher hält Samih Sawiris Andermatt die Treue - Verluste hält er bei solchen Entwicklungsprojekten für normal. "Den Point of no Return haben wir schon längst überschritten", sagt auch Franz-Xaver Simmen, "wir haben bereits 560 Millionen Franken in das Projekt investiert." Simmen ist Geschäftsführer der Andermatt Swiss Alps AG. Sein Schreibtisch steht in einem ehemaligen Nonnenkloster der Kantonshauptstadt Altdorf. Er stammt aus der Gegend, ist 40 Jahre alt, mit dem Gästeführer Bänz Simmen nicht direkt verwandt.
"Im Moment wirken die vier Apartmenthäuser wie Pilze, die man am falschen Ort gesetzt hat", sagt er. Aber im April würde endlich weitergebaut, "dann werden dort acht Kräne stehen". Bis Weihnachten soll der Rohbau des zweiten Hotels fertig sein, der erste neue Lift nahm bereits den Betrieb auf. Bald sollen weitere Lifte das Skigebiet von Andermatt mit den Pisten von Sedrun verbinden.
Das ganze Resort werde autofrei, sagt Simmen, der Verkehr verschwinde in einer riesigen Tiefgarage unter der Anlage. Er verspricht, keine Investitionsruinen ins Gebirge zu setzen. Sondern erst dann das nächste Apartmenthaus zu bauen, wenn in den bisherigen Häusern 60 Prozent der Wohnungen verkauft sind. Ein Apartment ist ab 309.000 Franken (283.000 Euro) zu haben, eine Villa gibt es ab 3,5 Millionen (3,2 Millionen Euro).
Auch wenn es in der Schweiz gerade mehr als genug Ferienimmobilien auch zu weitaus günstigeren Preisen gibt, hofft Simmen auf internationale Anleger. Das Resort in Andermatt bietet ihnen ein Schlupfloch in den strengen Schweizer Gesetzen: Hier dürfen Ausländer offiziell eine Immobilie kaufen, ohne Tricks und Mittelsmänner.
"Die internationalen Finanzmärkte sind momentan extrem unruhig", sagt Simmen. Aber genau darin sieht er eine Chance: "Unsere Berge strahlen Ruhe aus. Eine Wohnung in der Schweiz ist ein Realwert." Den Gotthard und die weiß verschneiten Berge hält er für eine Goldmine. Aber als Ingenieur weiß er: "Wer unseren Granit kennt, der weiß, wie viel Arbeit es macht, dieses Gold zu heben."
Quelle : spiegel.de
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