Frankreichs Jugend will vielleicht gerettet werden

  16 März 2016    Gelesen: 686
Frankreichs Jugend will vielleicht gerettet werden
Die Proteste der vergangenen Woche zeigen Wirkung: Die Regierung in Paris stellt ein entschärftes Arbeitsgesetz vor, es soll jungen Leuten Jobs verschaffen. Doch die Jugend reagiert gespalten.
Den jungen Leuten in Frankreich geht es nicht gut. Neun von zehn Arbeitsverträgen sind befristet, viele davon zunächst auf drei Wochen. So breitet sich keine Zuversicht aus, so plant man kein Leben. Dabei handelt es sich nur um ein Symptom einer größeren Krise: Frankreich leidet seit Jahren unter einer hohen Arbeitslosigkeit, die Ende 2015 auf Rekordniveau lag. Eine Arbeitsmarktreform, so musste die Regierung in Paris einsehen, ist dringend notwendig. Nur wie die aussehen soll, darüber herrscht großer Streit in der Republik.

Das El-Khomri-Gesetz, benannt nach der Arbeitsministerin Myriam El Khomri, sollte die "große Sozialreform" der Regierung werden. Doch es steht unter keinem guten Stern: In der vergangenen Woche waren Zehntausende Gewerkschaftsmitglieder und Studenten dagegen auf die Straße gezogen. Neben den Straßenprotesten ist es Aktivisten mit einer Petition gelungen, innerhalb kürzester Zeit weit über eine Million Unterschriften zu sammeln. Was die einen als längst überfällige Reformen begrüßen, bezeichnen die anderen als "Zerstörung des Sozialstaates". Im Kern sieht der Gesetzentwurf vor, den Kündigungsschutz zu lockern, betriebsbedingte Entlassungen zu erleichtern.

Doch der Druck der Straße flößt der Regierung Respekt ein, am Montag stellte Premier Manuel Valls einen neuen, abgeschwächten Entwurf vor. Der Plan sieht nun keine verbindliche Deckelung der Abfindungen nach Entlassungen mehr vor. Stattdessen soll es sich bei den Obergrenzen nun um Empfehlungen handeln.

Neuerfindung der Linken

Dabei sind offenbar nicht alle jungen Leute gegen die Entwürfe, die unter anderem den Einstieg ins Berufsleben erleichtern sollen. Ortstermin am Samstag in Paris, die Schlange auf der Straße wirkt endlos. Drinnen, in den Räumen eines kleinen Start-up-Unternehmens, drängen sich junge Menschen um ein Podium herum. Es ist das Gründungstreffen eines politischen Thinktanks. "Le Jeunes avec Macron" nennen sie sich. Die Jugend mit Macron. Gemeint ist Frankreichs smarter Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, Liebling der Medien und einer der wenigen Politiker der französischen Regierung, der sich bei Umfragen deutlicher Beliebtheit erfreut.

"Gauche libre" soll ihre Bewegung heißen: die Freie Linke. Gemeint ist wohl eine Linke, die den Neoliberalismus wagt. Denn Macron steht vor allem für eine sozialliberale Wirtschaftspolitik, die in Frankreich nicht viele Verfechter hat. Und er fällt auf mit Sätzen wie diesen: "Der Liberalismus ist ein Wert der Linken."

Die vier Gründungsmitglieder sind allesamt junge Männer unter 30. Sie ähneln den Leuten im Saal. Nur vereinzelt sieht man dort auch Frauen. "Alles Leute, die mindestens 3000 Follower auf Twitter haben", kommentiert ein Anwesender mit spitzer Zunge. Hier trifft sich nicht die Arbeiterjugend. Eher schon die "Generation Bataclan", der man Individualismus, ja Hedonismus vorgeworfen hat und die nun offensichtlich doch politisch mitmischen will. Man wolle "Werkzeuge für politische Einmischung schaffen", sagt Sacha Houlié, Gründungsmitglied von "Gauche libre", Junganwalt in Jeans und Kapuzenjacke.

Macrons Fanboys

Anfangs hatte er zusammen mit drei Freunden nur eine Webseite gebaut, um Werbung für Macron zu machen. Doch innerhalb kürzester Zeit hatten sie 3300 Mitglieder, die ihrem Klub beigetreten sind. Politische Beobachter munkelten schon, Macron wolle eine eigene Partei gründen. Aber man wolle kein simpler "Fan-Klub" eines Ministers sein, sagt Houlié, auch keine Partei im klassischen Sinn: "Wir verstehen uns als politisches Start-up."

Auf dem Podium diskutieren ein Wirtschaftswissenschaftler, ein Abgeordneter der Sozialisten und ein Jungunternehmer. Debattiert wird über "Ungleichheiten und neue wirtschaftliche Möglichkeiten". Je länger man zuhört, desto deutlicher wird: Sie haben nicht viel mit den jungen Leuten zu tun, die wenige Tage zuvor zu Tausenden auf die Straße gegangen sind, um gegen das neue Arbeitsgesetz zu demonstrieren.

Stimmen die Prognosen der Freien Linken, sind das alles Probleme von gestern, denn dann wäre längst ein Strukturwandel im Gang, der mit der klassischen Angestelltengesellschaft nicht mehr viel zu tun hat. Prognostiziert wird eine "Freelance-Gesellschaft" ähnlich wie in den USA, wo man damit rechnet, dass in zehn Jahren 40 Prozent der aktiven Bevölkerung freiberuflich tätig sein wird. Der Abgeordnete Pascal Terrasse (PS) geht noch weiter: Er nennt die Jugendlichen, die gegen das neue Arbeitsgesetz zu demonstriert haben, "kriminell". Die Verweigerungshaltung, so Terrasse, habe Frankreich schließlich in die Sackgasse geführt, in der es sich jetzt befinde.

Hollande, kein Präsident für die Jugend

Die 220.000 Schüler und Studenten, die am vergangenen Mittwoch auf die Straße gegangen sind, sehen das naturgemäß anders. Für sie sitzen die Verbrecher eher in der Regierung. Der nächste große Aktionstag ist schon angekündigt. In Frankreich weiß man um die Eigendynamik von Schüler- und Studentendemos und fürchtet sie.

François Hollande hat allen Grund dazu. Hatte er doch im Wahlkampf die Jugend zu seinem Hauptanliegen gemacht: "Wird es Frankreichs Jugend 2017 besser gehen als 2012? Ich möchte an diesem Engagement, an diesem einzigen Versprechen beurteilt werden." Das Fazit ist nach vier Jahren düster. Die hohe Arbeitslosigkeit betrifft vor allem die jungen Franzosen: Jeder Vierte steht auf der Straße. Bei 25 Prozent liegt die Jugendarbeitslosigkeit, in sozial schwierigen Bezirken kann sie bis zu 50 Prozent erreichen.

Das ganze Wochenende soll François Hollande an einer Überarbeitung des Gesetzentwurfs gefeilt haben. Aber an Kompromissen sind die jungen Demonstranten nicht interessiert. Sie hatten schon im Vorfeld die "komplette Rücknahme" des Gesetzentwurfs gefordert.

Quelle : welt.de

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