“Ein Leichenbeschauer sagte, wir sollten uns den Anblick ersparen“

  21 März 2016    Gelesen: 768
“Ein Leichenbeschauer sagte, wir sollten uns den Anblick ersparen“
Phil Bramley erfährt in den Nachrichten vom Absturz der Germanwings-Flugzeug. Zunächst denkt er sich nichts dabei - erst tags drauf hat er die traurige Gewissheit: Auch Sohn Paul saß in der Unglücksmaschine. Seitdem ist er ein gebrochener Mann.
Vater von Paul Bramley, 28

"Paul war nicht nur mein Sohn, er war auch mein Freund. Ein wunderbarer Junge, dem man selbst als Vater nie böse sein konnte. Wir hatten Pläne für die Zukunft. Ich bin in der Baubranche, und Paul ging in die Schweiz, nach Luzern, um Hotelmanagement zu lernen. Das wollten wir kombinieren und irgendwann Hotels bauen.

Sein Tod hat mein Leben gebrochen. Ich schlafe kaum, und der Schlafmangel hat dazu beigetragen, dass ich im Dezember kurz nacheinander zwei Schlaganfälle hatte. Und wenn ich mal schlafe und dann aufwache, denke ich oft: "Ist das wirklich passiert?" Wir hatten uns einige Wochen vor seinem Tod auf Mallorca getroffen, dort lebt seine Mutter Carol, meine geschiedene Frau. Wir gingen abends essen, alles war unbeschwert. Als wir uns verabschiedeten, sagte ich: "See you in England".

"Kein Wort der Entschuldigung, nichts"

Ich hörte von dem Absturz in den Nachrichten. Und natürlich dachte ich mir noch nichts dabei außer wie furchtbar das sein muss für die Familien der Opfer. Paul war einen Tag länger in Spanien geblieben, an sich sollte er abends zuvor direkt nach Manchester fliegen. Keiner wusste davon, außer seiner Freundin. Und dann rief mich Carol an. Sie hatte das Außenministerium kontaktiert, und die sagten ihr, die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass Paul in der abgestürzten Maschine gewesen sei. Ich konnte das nicht glauben. Dreimal rief ich bei Germanwings an, und dreimal sagten sie mir, er sei nicht an Bord. Erst tags drauf hatten wir Gewissheit. Aber nicht durch Germanwings, sondern durch britische Beamte.

Mich ärgert bis heute, dass sich Germanwings nie bei meiner Frau gemeldet hat. Kein Wort der Entschuldigung, nichts. Das ganze Verhalten war kühl, geschäftsmäßig und arrogant. Das werfe ich Carsten Spohr vor. Bei der Trauerfeier im Kölner Dom hatte ich ein Foto von Paul dabei. Ich hätte es Spohr am liebsten vor die Nase gehalten und gesagt: "Schauen Sie, das ist Ihre Verantwortung." Wenn einem meiner Angestellten auf dem Bau etwas passiert, trage ich die Verantwortung. Das ist bei Germanwings nicht anders. Andreas Lubitz hatte 41 Ärzte kontaktiert. 41 Mal hätte die Chance bestanden, ihn zu suspendieren. 41 Mal wurde sie nicht genutzt. Mich verstört auch, dass die Eltern von Lubitz offenbar verweigern und nicht zur Aufklärung beitragen. Das will mir nicht in den Kopf. Denn darum geht es doch: Transparenz. Es geht darum, dass sich so etwas nie wiederholen darf. Sie könnten dazu beitragen, es wäre meiner Meinung nach sogar ihre Pflicht.
"Ich dachte, ich nehme meinen Jungen mit nach Hause"

Ich war häufiger am Absturzort, gleich in den Tagen danach mit meinem Bruder. Ich weiß, dass es irrational klingt, aber ich dachte, ich nehme meinen Jungen mit nach Hause. Zuletzt war ich im Oktober dort an Pauls Geburtstag. Er wäre 29 geworden.
Man fand etwas mehr als 79 Kilogramm von Pauls Überresten, Sitz 11E. Es ist möglich, dass ein Flügel einen Bergkamm streifte und er rausgeschleudert wurde. Der Leichenbeschauer sagte, wir sollten uns den Anblick ersparen. Daran haben wir uns gehalten. Paul wurde auf Wunsch seiner Mutter kremiert.

Im Dezember bekam ich die Gürtelschnalle. Wir erkannten sie sofort wieder auf einer Webseite, auf der Angehörige Habseligkeiten ihrer Liebsten identifizieren konnte. Die Schnalle liegt bei mir zu Hause an einem besonderen Ort mit Fotos von Paul. Carol behält die Asche, ich behalte die Schnalle. Das ist alles, was uns von ihm geblieben ist."

Quelle : stern.de

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