Mercedes-AMG C 63 E-Performance T-Modell - akustisch zahm

  02 Juli 2023    Gelesen: 687
  Mercedes-AMG C 63 E-Performance T-Modell - akustisch zahm

Funktioniert ein Spitzen-AMG vierzylindrig? Mercedes sagt: ja. Doch wie könnten die glühenden Fans das finden und wie fühlt sich das neue Leistungsmonster der Mittelklasse an? ntv.de beantwortet die wichtigsten Fragen im Rahmen eines Praxistests. Im Fokus steht das praktische T-Modell.

Unverhofft kommt zwar oft, aber dass das AMG-Topmodell der C-Klasse vierzylindrig werden würde, war nur für uninformierte Autofans ein Schock. Insider hatten es schon über drei Jahre zuvor herausbekommen und auch kundgetan auf entsprechender Plattform. Die Fans taten es ab und waren sich sicher, dass Mercedes einen solchen Schritt schon nicht gehen würde.

Aber weit gefehlt. Nun ist der erste Vierzylinder-AMG auf einer Mercedes-Plattform mit Hinterradantrieb und längseingebauten Motoren da. Kann diesem Anfang ein Zauber innewohnen? Damit das gelingen könnte, gleichen die Stuttgarter den Verlust von vier Zylindern ziemlich aufwendig aus. Nämlich mit einer komplexen elektrischen Antriebseinheit für die Hinterachse (204 PS) samt Zweiganggetriebe für den Stromer. Vorn wütet der bereits aus dem A 45 bekannte Zweiliter-Vierzylinder namens M139 mit 476 PS (gekoppelt an ein Neungang-Automatikgetriebe mit Lamellenkupplung statt Wandler), allerdings mit dem Zusatz "L" für den Längseinbau - ein Novum. Und hier kommt erstmals ein elektrisch unterstützter Abgasturbolader (400 Volt) zum Einsatz, der besser ansprechen soll, wenn der Abgasstrom noch mau ist.

Der obligatorische Allradantrieb bleibt mechanisch mit klassischem Differenzial - demnach besteht auch die Möglichkeit, das elektrisch erzeugte Drehmoment im Fall von Schlupf an die Vorderräder zu leiten. Als Stromspeicher dient ein kompakt bauender Akku mit 6,1 kWh Kapazität. Der kann zwar sogar extern aufgeladen werden, aber das spielt eine untergeordnete Rolle. Die 13 Kilometer elektrische Reichweite sind zu vernachlässigen, eigentlich geht es hauptsächlich um die Boost-Funktion. Ebenso zu vernachlässigen ist in dieser Preisklasse, dass der Top-C-Klässler im hybridischen Betrieb auch mal zehn Liter je 100 Kilometer oder mehr aus dem Tank schlürft.

Machen sich gut beim Stammtisch: 680 PS

Neugierig geworden? Los gehts! Der Bolide mit insgesamt 680 PS Systemleistung startet für gewöhnlich elektrisch, ganz exotisch für einen AMG. Und danach muss man ein bisschen Qual der Wahl auf sich nehmen. Welcher Modus darfs denn sein? Es gibt derer reichlich von "Electric" über "Comfort" sowie "Sport" bis hin zu "Race". Und immer schwirrt die Frage im Kopf herum: Wie schnell entleert sich eigentlich der Stromspeicher? Dessen Füllstand wird analog zum Tankfüllung stets eingeblendet und ich wache mit Argusaugen darauf, dass er nicht zu stark absinkt. Denn ich möchte den 2,2-Tonner ja schließlich immer mit den vollen 680 PS auf der Überholspur wissen. Aber keine Panik, passiert nämlich einfach nicht.

Bezüglich der Betriebsstrategie machen die Daimler-Leute aus der Entwicklungsabteilung definitiv gute Arbeit. Selbst im "Comfort"-Modus wirft der Verbrenner immer auch ein bisschen Energie für den Akku ab. Ganz extrem ist es in der Stellung "Race" - dann ist der Akku eigentlich nie leer. Jede "Idle"-Sekunde (also wenn gerade keine Last angefordert wird) nutzt der kernig klingende Vierzylinder dann zur Fütterung des Stromspeichers.

Die ersten Meter lasse ich es ruhig angehen, zupfe mal an der Lenkung, um anzutesten. Der Kombi gehorcht dem Steuerrad in zackiger Weise, das funktioniert also. Diverse Lenkcharakteristika halten die richtige Kennlinie für diverse Fahrsituationen bereit. So klappt Einparken in der City besonders leichtgängig, ohne dass in schnellen Kehren Fahrbahnkontakt flöten ginge. Ich spiele ein bisschen mit der Betriebsstrategie, lasse den Benziner per Gaspedalbefehl anspringen. Dann einen Zacken mehr Last, doch wo bleibt das bullige Drehmoment? Die Schwaben haben zumindest für ein sportlich-rauen Sound gesorgt, Kollege M139 kann recht wütend schnauben - vierzylindermäßig, versteht sich. Dann werde ich ungeduldig, rolle Richtung einsamer Landstraße. Jetzt Kickdown, puh. Aus dem Komfort-Modus heraus genehmigt sich der Allradler zwar eine Sekunde, bis er lossprintet - aber dann sprintet der Hybrid so richtig.

Fürs Leistungsgewicht sind die Fahrleistungen des C 63 okay

Jetzt wirkt die Herstellerangabe von 3,4 Sekunden von 0 auf 100 km/h plötzlich glaubwürdig. Kleiner Tipp: Im "Race"-Modus ist die Reaktion schneller, aber Kickdown garantiert modusunabhängig immerhin die volle Power. Arbeiten beide Triebwerke gemeinsam, gibt es hingegen Drehmoment satt. Dann zerren 1020 Newtonmetern an den Rädern, der Kombi marschiert vorwärts. Messwerte des Fachblatts "Auto, Motor und Sport" bescheinigen dem nützlichen Mercedes im Jogginganzug auch noch Puste im oberen Geschwindigkeitsbereich. So stehen nach 12,7 Sekunden 200 km/h auf dem Tacho und die Topspeed von (abgeregelten) 270 Sachen erreicht der Schwabe ebenfalls im Handumdrehen.

Der Punkt ist - der C 63 ist wirklich pfeilschnell, aber man muss sich die Fahrleistung erarbeiten. Mit Halbgas auf der Drehmomentwelle surfen funktioniert irgendwie nicht. Da fehlt der Biss. Und ganz ehrlich - unter 13 Sekunden auf 200 km/h stürmte auch schon der Vorgänger mit 170 PS weniger. Klar, war ja auch rund 400 Kilogramm leichter. Die Masse merkt man dem Kombi allerdings nicht an beim lustvollen Toben durch schnelle Wechselkurven. Punkt für die Fahrwerker.

Sonst noch was? Dank serienmäßiger variabler Dämpfung und Hinterradlenkung switcht der Allradler nahtlos zwischen Athlet und Gleiter. Ich belasse es bei öffentlichen Straßen, verkneife mir die Nordschleife oder einen der anderen Tracks in erreichbarer Nähe. Aber! Der C 63 soll definitiv Track können, trotz Hybridstrangs, das ist den Affalterbachern wichtig. Oder etwa wegen? Die Experten aus Antrieb und IT haben jedenfalls viele Rennstrecken-Layouts im Speicher abgelegt. Das hat den Hintergrund, dass der Rechner die Betriebsstrategie dann exakt auf den gewählten Kurs auslegt, er also genau weiß, wo man wieder elektrische Energie in den Akku bekommt, um dann an der nächsten, richtigen Stelle kräftig zu boosten. Das klingt alles ein bisschen nach der Sache mit der Kanone und den Spatzen - aber so ist es aktuell eben. Irgendwie ja auch charmant.

Mit dem dezenten AMG ist man durchaus fein angezogen

Vor lauter Antrieb ist der Rest fast etwas zu kurz gekommen in diesem Praxistest. Klar ist der C 63 total geräumig und ein feiner Tourer für lange Strecken mit kommoden Sesseln aller Drahtigkeit zum Trotz. Und er ist eine Geheimwaffe, die ungeachtet dickerer Backen und 275er-Walzen auf der Hinterachse eher dezent als prollig um die Ecke biegt.

Als Kombi fasst sein Kofferraum 1335 Liter bei umgeklappten Lehnen, was ihn fit erscheinen lässt für Baumarkt wie Urlaubsfahrten mit voller Besatzung und viel Gepäck. Nur die kleine Stufe im Bereich des Laderaumbodens zeigt, dass da irgendwo ein Akku untergebracht werden muss, der übrigens 175 Liter Stauvolumen kostet. Schwamm drüber, die sind es wert.

Die Infotainment-Fraktion kommt natürlich auf ihre Kosten mit dem markentypischen Touchscreen in der Mitte sowie Head-up-Display (1178 Euro extra). Dass der Benz keine Wünsche bei der Bedienung offen lässt, geht insbesondere auf das Konto einer exzellenten Verarbeitung von Sprachbefehlen sowie dem begehrten Shortcut, mit dessen Hilfe sich die Spurvibration schnell deaktivieren lässt. Schade, dass sie bei jedem Neustart wieder eingeschaltet wird.

Bei Mercedes schon lange üblich: Kombiinstrumente, die reine Displayfläche sind. Am schönsten ist immer noch die klassische Ansicht mit zwei Rundskalen, also Tacho und Drehzahlmesser. Dazwischen sitzt ein (virtuelles) Feld, in dem Bordcomputer-Daten eingeblendet werden können auf Wunsch. Funfact : Ruft man die Temperaturen sämtlicher Komponenten ab, wird es voll in der Anzeige. Dann erscheinen neben Öl- und Wassertemperatur auch noch die Temperaturwerte von Akku, E-Maschine und Getriebe. Wenn das kein Beweis dafür ist, dass Mercedes seinen C 63 gerne auf dem Track sieht.

Preislich ist der C 63 E-Performance schon in abgehobenen Gefilden unterwegs mit einem Grundpreis von 116.673 Euro. Klar sind Features wie das clevere Digital Light (projiziert Symbole auf die Fahrbahn), Navi oder schlüsselloses Schließsystem serienmäßig, aber dennoch geht es ohne gut gefülltes Portemonnaie kaum. Obendrein kostet das Carbon-Dekor 1071 Euro extra und auch für Ledersitze bitten die Stuttgarter noch einmal zur Kasse mit mindestens 3141 Euro. Mit ein paar Kreuzchen ist die 130.000-Euro-Grenze jedenfalls schnell gerissen. Interessant auch, dass "AMG Real Performance Sound" mit 654 Euro extra abgegolten werden muss. Den hätte es früher frei Haus gegeben, und zwar in satterer Form.

Datenblatt

Mercedes-AMG C 63 S E-Performance 4Matic+ T-Modell

Abmessungen (Länge/Breite/Höhe)

4,79 / 1,82 / 1,46 m

Radstand

2,87 m

Leergewicht (ohne Fahrer)

2190 kg

Sitzplätze

5

Ladevolumen

320 bis 1335 Liter

Motorart

2,0-Liter-Vierzylinder-Benziner mit elektrisch unterstütztem Abgasturbolader und kombinierter Direkt- und Saugrohreinspritzung sowie Riemenstarter; unabhängiger Elektromotor für die Hinterachse

Getriebe

9-Gang-Automatikgetriebe mit Lamellenkupplung plus 2-Gang-Getriebe für die

E-Einheit

Leistung Verbrenner

476 PS (350 kW)

Leistung Elektromotor

204 PS (150 kW)

Leistung System

680 PS (500 kW)

max. Drehmoment Verbrenner

545 Nm bei 5250 bis 5500 U/min

max. Drehmoment Elektromaschine

545 Nm bei 5250 bis 5500 U/min

max. Drehmoment System

1020 Nm

Kraftstoffart

Super / Super Plus

Antrieb

Allradantrieb

Beschleunigung 0-100 km/h

3,4 Sekunden

Höchstgeschwindigkeit

270 km/h

Elektrische Reichweite

13 Kilometer

Tankvolumen / Akkukapazität

60 Liter / 6,1 kWh

Benzinverbrauch kombiniert

6,9 Liter (WLTP)

Stromverbrauch kombiniert

11,7 kWh (WLTP)

CO₂-Emission kombiniert

156 g/km (WLTP)

Grundpreis

Ab 116.673 Euro

Fazit: Dem neuen Mercedes C 63 AMG mit Vierzylinder-Hybrid kann man weder Langsamkeit noch technische Inkomplexität vorwerfen. Ob ein ultrastarker Vierzylinder-Antriebsstrang Erfolg haben kann, muss letztlich der Kunde entscheiden. Technik-Fans könnten den vielschichtigen Antrieb mit seinen ganzen technischen Finessen aber sogar durchaus sexy finden. Ob sexier als einen Achtzylinder, wird die Zeit zeigen.

Quelle: ntv.de


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