Allerdings will Clinton nicht Präsidentin der USA werden, um die Welt vor Donald Trump zu bewahren: Sie will die Welt vielmehr vor den Russen bewahren, die, sehr zum Ärger Clintons, der sie finanzierenden Saudis und der Neocons ausgerechnet in Zusammenarbeit mit US-Präsident Barack Obama erfolgreich gegen den IS kämpfen. Obama hat seine Lektion im Hinblick auf den IS gelernt: Im Januar 2014 hatte er im Gespräch mit David Remnick vom New Yorker die Terror-Miliz noch als „jayvee“-Team bezeichnet – also als zweitklassige College-Mannschaft, mit der Amerikaner quasi im Vorübergehen besiegen würden. Später hat Obama seine Einschätzung korrigiert und ging vor einigen Monaten bei 60 Minutes sogar so weit, die Strategie der USA, die Islamisten mit Söldnern zu bekämpfen, als gescheitert zu bezeichnen. Kurz nach dem Interview schloss sich Obama mit Russlands Präsident Putin zusammen – seither kämpfen Amerikaner und Russen mehr oder weniger gemeinsam in Syrien und dem Irak gegen die außer Kontrolle geratenen, von den Golf-Staaten finanzierten Kampfgruppen.
Die Erfolge blieben nicht aus – und im Pentagon spart man nicht mit Lob für die Russen, die die demoralisierte syrische Armee wieder kampftauglich gemacht haben. Beobachter in Washington sagen, dass der Präsident und die Administration die Russen nicht als Gefahr für den Weltfrieden ansehen. Sie ärgern sich zwar, wie sie den Deutschen Wirtschafts Nachrichten sagen, dass die Russen ihren Krieg gelegentlich in „Cowboy-Manier“ führen, etwa, indem sie die Responder ihrer Kampfjets abschalten und daher Zwischenfälle immer wieder möglich sind. Doch es herrscht Übereinstimmung, dass der Einsatz der Russen und die Zusammenarbeit der Amerikaner mit den Russen die Wende gebracht haben – und somit auch eine Chance auf einen Waffenstillstand trotz aller Rückschläge immer noch besteht.
Die Neocons und Clinton dagegen vertreten die Auffassung, dass der russische Präsident der gefährlichste Mann der Welt ist – und unternehmen alles, um die Zusammenarbeit von Obama und Putin zu torpedieren. Beobachter sehen mit Sorge einen „Staat im Staat“ in Washington, dessen wirtschaftliche Interessen in der Energie- und der Rüstungsbranche über die politischen Interessen der amerikanischen Nation gestellt sind.
Für Clinton ist Russland noch aus einem ganz persönlichen Grund eine Gefahr: Die russischen Geheimdienste haben die einmalige Chance, dass Clinton ihre Emails auf einem privaten Server gespeichert wurden, mit hoher Wahrscheinlichkeit genutzt, um diese Dokumente zu archivieren. Erst vor wenigen Tagen haben russische Dienste den Amerikanern signalisiert, dass man diese Dokumente auch veröffentlichen könnte. Der Grund, so schrieb der Fachdienst Defense & Foreign Affairs, der Verärgerung der Russen liege in der schleppenden Aufklärung der Affäre durch die US-Justizbehörden.
Die Drohung der Russen zielt in erster Linie auf Clinton, die Moskau als US-Präsidentin verhindern will. Das Clinton-Lager ist durch die Ankündigung in die Defensive geraten – und hat erklärt, die russische Regierung habe die Server der demokratischen Partei gehackt, um die Anti-Trump-Dossiers von Clinton zu veröffentlichen. Tatsächlich dürfte es gegen Trump nichts geben, was nicht früher oder später den USA-Medien zugespielt wird – weshalb diese Papiere für die Russen eher von untergeordneter Bedeutung sein dürften.
Doch darum geht es nicht: Die Nato hat außerplanmäßig in dieser Woche noch einmal betont, dass sie Hacking wie einen militärischen Angriff behandeln werde. Das bedeutet: Wenn die Nato erklärt, dass die Russen eine offizielle US-Seite gehackt haben, kann dies den Bündnisfall auslösen. Damit befände sich auch Deutschland ohne weitere Umwege im Kriegszustand mit Russland.
Es zeigt sich für Clinton nun als nachteilig, dass sie die Mails auf einem privaten Server gespeichert hat: Damit wäre, selbst wenn er erwiesen wäre, ein russischer Angriff kein Angriff auf das Bündnis, sondern einer auf eine Privatperson – und würde für eine militärische Eskalation noch nicht ausreichen.
An dieser Stelle versucht nun Deutschland Clinton, der entschlossenes Bild den Cover des aktuellen Spiegel ziert, zu Hilfe zu kommen.
Die deutschen Geheimdienste sollen dem Magazin eine Information zugespielt haben, dass die Russen noch viel schlimmer seien als gedacht: Cyberattacken im Namen der Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS) werden einem demnach „vermutlich“ von russischen Hackern verübt. Der IS sei nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitsbehörden bislang nicht in der Lage, komplexe Spionage- oder Sabotageangriffe im Netz zu starten, berichtete das Magazin am Samstag. Etliche Indizien sprächen dafür, dass die Angriffe von Hackern des Kreml verübt worden seien. Welche Indizien das sind, wird aus der AFP-Vorabmeldung nicht klar.
Die AFP liefert eine kleine Geschichte der Verdächtigungen: „Dieser Verdacht war auch im April 2015 aufgekommen. Nach dem großangelegten Hackerangriff auf den frankophonen Fernsehsender TV5 Monde richteten sich die Ermittlungen schnell gegen eine Gruppe russischer Hacker. Diese hatte es französischen Medienberichten zufolge in der Vergangenheit auch auf die Informationssysteme des Weißen Hauses, von Nato-Mitgliedern sowie von russischen Dissidenten und ukrainischen Aktivisten abgesehen.“
Zwar war bisher nicht bekannt, dass der IS sich zu diesen Hacker-Angriffen bekannt hat, doch selbst diese Vorfälle sind derart schwammig, dass sie kaum taugen, den Bündnisfall auszulösen. Auch die anderen Vorwürfe werden im Konjunktiv vorgetragen. Die AFP: „Laut Spiegel könnten auch Angriffe auf das Zentralkommando der US-Streitkräfte Anfang 2015, auf das US-Außenministerium und saudiarabische Sicherheitsbehörden in diesem Frühjahr im russischen Auftrag erfolgt sein. Die deutschen Sicherheitsbehörden gingen davon aus, dass die drei russischen Geheimdienste insgesamt mehr als 4000 ,Cyber-Agenten‘ befehligen.“
Bei nüchterner Betrachtung ergibt sich aus diesem Bericht noch nicht die unmittelbar bevorstehende Eskalation. Die New York Times geht allerdings etwas weiter und berichtet, dass die Russen an Hackerangriffen in Estland und der Ukraine beteiligt gewesen sein sollen, die zu Stromausfällen geführt hätten. Die größte Strom-Sabotage der vergangenen Monate wird allerdings nicht erwähnt: Sie brachte die Krim in größte Bedrängnis und wurde mit eher konventionellen Mitteln ausgelöst: Ukrainische Extremisten hatten Strommasten gesprengt und dafür gesorgt, dass auf der Halbinsel die Lichter ausgehen.
Die NYT schreibt, dass der Cyber-Krieg die größte Stärke Russlands sei. Die Russen seien der Nato klar überlegen und werden als potentieller Angreifer bezeichnet. Die Times schreibt: „Die Nato steht erst am Anfang dessen, was sie delikater Weise ,aktive Verteidigung‘ nennt.“ Weniger delikat hatte sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einer Grundsatzrede in Washington ausgedrückt: Das Bündnis habe das Recht, die USA und die EU auch auf fremdem Territorium zu verteidigen. Im Hinblick auf Cyber-Angriffe, von denen die Nato im Bericht der NYT selbst einräumt, dass es faktisch unmöglich sei, die Urheber zweifelsfrei zu überführen, ist diese Ankündigung durchaus weitreichend.
Kritiker dieser Politik der latenten Eskalation gibt es in Washington und auch in Deutschland: Zuletzt hat Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der in all den aufgeheizten Debatten einen bemerkenswert kühlen Kopf bewahrt hat, vor „Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ gegenüber Russland gewarnt. Angela Merkel hält sich bisher dagegen bedeckt und lässt eher Taten sprechen: Die NYT lobt stellvertretend Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Deutschland habe den Ernst der Lage erkannt und sei aktiver als die Nato: Die Einrichtung einer Abteilung für den Cyberkrieg bei der Bundeswehr sei der richtige Schritt, um die Russen in Schach zu halten.
Mit der neuen Veröffentlichung im Spiegel wird offenbar ein Versuchsballon gestartet, der darauf abzielt zu insinuerien, dass Russland hinter dem IS stecken könnte. Diese These kann als durchaus gewagt bezeichnet werden. Die Finanzierung und Unterstützung des IS durch die Golf-Staaten und hier insbesondere durch Saudi-Arabien hat zur direkten Destabilisierung Syriens, zum Stellvertreter-Krieg dort und damit zur Ermordung oder Vertreibung von Millionen Menschen geführt. Das Eingreifen Russlands ist neben wirtschaftlichen Interessen vor allem in der Sorge begründet, dass sich der islamistische Terror auch über die muslimische Bevölkerung in den ehemaligen Sowjetrepubliken ausbreiten könnte. In dieser Hinsicht hat auch Russland nach dem Nato-Prinzip gehandelt und verteidigt das eigene Land auf fremdem Territorium – allerdings mit Zustimmung der lokalen Regierung.
Russland seinerseits hat immer wieder darauf hingewiesen, dass der Nato-Staat Türkei mit dem IS militärisch und wirtschaftlich kooperiere.
Die geopolitische Maskerade zeigt, dass das Internet geeignet ist, als Kriegsgrund eingesetzt zu werden. Deutschland und die EU sind in der misslichen Lage, dass Europa mangels einer eigenständigen Außenpolitik nicht in der Lage ist, seine eigenen Interessen zu vertreten. Beim Schutz des europäischen Territoriums ist Europa in Ermangelung einer eigenständigen, robusten Außen- und Sicherheitspolitik auf Gedeih und Verderb auf Dritte angewiesen, wie sich am Flüchtlings-Deal mit der Türkei zeigt.
Aktuell ist eine Eskalation wegen der Zusammenarbeit von Obama und Putin in Syrien unwahrscheinlich. Russlands Präsident Putin hat in einem taktischen Schachzug die USA und ostentativ auch die Clinton-Familie gelobt. Er will eine Eskalation vermeiden, weil er genau weiß: Sollte Hillary Clinton tatsächlich, wie der Spiegel fordert, „die Welt vor Donald Trump bewahren“, könnte sich das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen schnell und fundamental ändern.
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