Ein Bündnis von Kommunisten bis Konservativen, das sich um den grünen Kandidaten van der Bellen scharte, hatte bei der Wahl am 4. Dezember einen Sieg des Rechtspopulisten Norbert Hofer von der FPÖ verhindert. Es war eine Abwehrschlacht gegen ein "Alpen-Mordor", wie van der Bellen es einmal launisch formulierte. Und dabei ging es nur um das relativ unbedeutende Präsidentenamt. Die eigentliche Macht liegt beim Kanzler und seiner Großen Koalition, die sich in diesen Tagen am Rand der Auflösung bewegt. Mal wieder. Und damit steigt die Wahrscheinlichkeit von Neuwahlen – und die nächste Schlacht steht an.
Der Koalition fehlt die Disziplin, sich zur richtigen Zeit zu streiten
Noch heute kommt es zum Krisentreffen der Großen Koalition. Der Anlass: Ein Ultimatum von Christian Kern, das er der ÖVP über ein Zeitungsinterview ausrichtete. Bis Freitag wolle er Klarheit über die nächsten Projekte, sagte er im "Standard". "Wir müssen Ergebnisse auf den Tisch legen, sonst braucht es diese Regierung nicht mehr." Die Antwort seines Vizekanzlers Reinhold Mitterlehner fiel harsch aus. Es existierten schon genug gemeinsame Pläne, sie müssten nur endlich einmal umgesetzt werden, sagte er der "Presse". Seine Partei sei jedenfalls arbeitswillig. "Aber Fakt ist, dass Christian Kern die Inszenierung über die Arbeit stellt."
Eigentlich hatten sich die Sozialdemokraten und die christsoziale ÖVP nach der Wahl van der Bellens darauf geeinigt, in Ruhe weiterzuarbeiten bis zu den Parlamentswahlen im Herbst 2018. Nicht, weil es eine gute gemeinsame Grundlage gibt. Im Gegenteil, die Koalitionäre sind sich spinnefeind. So sehr, dass sie seit ihrem Start 2013 den Grundkonsens einer Großen Koalition brechen: erst eine Weile gemeinsam regieren und im Wahlkampf auf Konfrontation gehen. Der Wiener Wahlforscher Christoph Hofinger sieht das als Kardinalfehler von SPÖ und ÖVP: "Natürlich soll man sich vor einem Kuschelkurs hüten", sagte er n-tv.de. "Aber dieser Koalition hat die Disziplin gefehlt, sich zum richtigen Zeitpunkt zu streiten."
Ein Damoklesschwert namens FPÖ
Das Schlagwort "Neuwahlen" schwirrt schon seit über einem Jahr durch die Luft, aber tatsächlich scheint eine neue Eskalationsstufe erreicht. ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hält nichts von Neuwahlen: "Das würde die Wähler nur in die Arme der FPÖ treiben." Das ist zugleich der einzige Grund, warum die Koalition noch besteht.
Seit zwei Jahren führt die FPÖ in der Sonntagsfrage, bei Neuwahlen könnte sie mit über 30 Prozent der Stimmen rechnen und den Kanzler stellen. Aber es scheint so, als fühlte sich zumindest die SPÖ gerüstet für einen Wahlkampf gegen die Rechtspopulisten. Angeblich haben eigene Umfragen ergeben, dass der Vorsprung der FPÖ schmilzt – deswegen auch das Ultimatum von Kern. Der Kanzler, gerade einmal seit Mitte Mai Tage im Amt, hat vor einigen Wochen seinen "Plan A" vorgestellt. "Das war eine Art Regierungserklärung mit dem Wahlkampf schon im Hintergrund", urteilt Christoph Hofinger. "Das Programm für Wohlstand, Sicherheit und gute Laune", hat Kern das Potpourri genannt, das zwischen Agenda 2010 und skandinavischer Sozialdemokratie pendelt: So will Kern einen Mindestlohn und eine Vermögenssteuer einführen, aber auch flexiblere Arbeitszeiten.
"Zuversicht ist die wertvollste Währung"
Die ÖVP machte schnell deutlich, dass sie den "Plan A" nicht als Grundlage für gemeinsame Projekte sieht. Als der Kanzler seine Vorschläge präsentierte, preschte der Koalitionspartner mit dem Vorschlag vor, die Asylobergrenze auf 17.500 Anträge pro Jahr zu halbieren. Nach der Festnahme des Wiener Terrorverdächtigen forcieren die Konservativen ein Sicherheitspaket, das Thema Innere Sicherheit könnte in einem Wahlkampf bestimmend werden. Allerdings wird dieses Feld von der FPÖ besetzt, von der sich die Strategien von ÖVP und SPÖ kaum unterscheiden. "Sowohl der `Plan A` als auch Mittlerlehners Vorschläge zur Migration tragen das Framing der Freiheitlichen", kritisiert Politikforscher Christoph Hofinger. "Das ist ungeschickt."
Stattdessen müsste die Koalition "Zuversicht" verbreiten, etwa durch Investitionen in Bildung. "Begründete Zuversicht ist die Währung mit dem größten Wert für Politiker", sagt Hofinger. Die ist nicht besonders ausgeprägt in Österreich – ein schlechtes Zeichen für die Regierenden. Hofingers Sora-Institut hat in einer Studie herausgefunden, dass 47 Prozent der Arbeitnehmer glauben, dass sich die Lebensqualität in Österreich in den nächsten 5 Jahren verschlechtert. "Wir wissen, dass dieser Faktor am deutlichsten vorhersagt, wer sich zu den Rechtspopulisten hinwendet", sagt Hofinger. Falls die Unzufriedenheit der Wähler tatsächlich der FPÖ einen Wahlerfolg bescheren sollte, steht dann nur noch eine Person zwischen den Rechtspopulisten und der Kanzlerschaft: Alexander van der Bellen. Der Präsident will, er hat das nach der Wahl bekräftigt, eine FPÖ-geführte Regierung nicht ins Amt lassen.
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