120 ist das neue 140 - aber nicht für jeden

  11 November 2015    Gelesen: 698
120 ist das neue 140 - aber nicht für jeden
Mit steigendem Blutdruck erhöht sich auch das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und andere gefährliche Leiden. Aber: Wie stark soll er mit Medikamenten gesenkt werden? Eine große US-Studie liefert eine Antwort.
Runter mit dem Blutdruck: Eine große US-Studie kommt zum Schluss, dass Menschen mit einem erhöhten Risiko für Herzkreislaufleiden seltener an diesen erkranken und seltener frühzeitig versterben, wenn ihr Blutdruck auf 120 gesenkt wird - und nicht, wie bisher angestrebt, auf 140.

Fast ein Viertel weniger Todesfälle

Das Ergebnis der sogenannten "Sprint"-Studie wurde jetzt auf der Konferenz der US-amerikanischen Heart Association sowie im "New England Journal of Medicine" präsentiert.

Bereits im September hatte die US-Gesundheitsbehörde mitgeteilt, dass die Studie vorzeitig beendet worden war, weil es in der intensiv behandelten Gruppe fast ein Drittel weniger Infarkte und Schlaganfälle sowie fast ein Viertel weniger Todesfälle gegeben habe - zu diesem Zeitpunkt blieben die Forscher aber die konkreten Daten schuldig. Nun liegen sie vor.

Zusammengefasst zeigt sich:

Ja, Infarkt, Schlaganfall, Herzversagen, Tod durch ein Herzkreislaufleiden oder aus anderen Gründen - das alles trat in der Gruppe, deren Blutdruck unter 120 gedrückt werden sollte, seltener auf.

Aber: In der intensiver behandelten Gruppe kam es häufiger zu akutem Nierenversagen, Kreislaufkollaps, einem bedrohlich langsamen Herzschlag und einem gefährlichen Ungleichgewicht im Elektrolythaushalt.

Paulus Kirchhof, Kardiologe an der University of Birmingham, bezeichnet die Studie als sehr wichtig. "`Sprint` hat sich einer Frage gewidmet, die Kardiologen seit Jahren umtreibt: Wie intensiv soll man den Blutdruck senken?" Dies sei jetzt nicht für alle, aber für viele Patienten beantwortet. Die Studie sei sowohl sehr groß, als auch sehr gut gemacht. Das Ergebnis deutlich: "Die Zahl der schweren kardiovaskulären Ereignisse und Todesfälle wird verringert. Allerdings muss man dafür ein höheres Risiko für ernste Nebenwirkungen in Kauf nehmen."

Nicht mehr Menschen behandeln, sondern einige intensiver

Damit kein Missverständnis aufkommt: Das Ergebnis bedeutet keinesfalls, dass alle Menschen mit einem Blutdruck über 120 nun schleunigst zum Kardiologen sollten. Teilgenommen haben nur Menschen mit einem bereits erhöhten Risiko für Herzkreislaufkrankheiten. "Die in `Sprint` untersuchte Gruppe ist eine, die sowieso schon beim Kardiologen in Behandlung ist - oder es sein sollte", sagt Kirchhof. "Das Ergebnis sollte nicht dazu führen, dass mehr Menschen behandelt werden - sondern dass einige Patienten intensiver behandelt werden."

9361 Menschen in den USA und Costa Rica haben an "Sprint" teilgenommen. Alle Probanden hatten einen Blutdruck über 130 sowie ein erhöhtes Risiko für Herzkreislauferkrankungen und waren mindestens 50 Jahre alt. Ausgeschlossen von der Studie waren unter anderem Diabetiker und Patienten, die bereits einen Schlaganfall erlitten hatten. Eine größere Studie, die eine stärkere Blutdrucksenkung bei Diabetikern untersuchte, kam 2010 zum Ergebnis, dass das Risiko schwerer Herzkreislaufereignisse dadurch nicht deutlich gesenkt werden konnte.

Während in der intensiv behandelten Gruppe in "Sprint" 155 Menschen (3,3 Prozent) verstarben, waren es in der Kontrollgruppe mit Standardtherapie 210 Menschen (4,5 Prozent). Darunter sind 37 Todesfälle durch Herzkreislaufkrankheiten in der Intensivgruppe - und 65 unter den Kontrollprobanden.

In der Intensivgruppe hatten 163 Probanden einen Kreislaufkollaps, in der anderen 113. Besonders auffällig sind jedoch die Fälle von akutem Nierenversagen: 204 Teilnehmer (4,4 Prozent) der Intensivgruppe waren betroffen, im Vergleich 120 (2,6 Prozent) in der Kontrollgruppe.

"Trotz der Nebenwirkungen starben weniger Menschen in der intensiv behandelten Gruppe", sagt Kirchhof. Zwar mussten die Probanden im Schnitt 2,8 verschiedene Blutdrucksenker einnehmen, damit in der Gruppe im Schnitt ein Blutdruck von 121 erreicht wurde. Aber: "Dass Patienten drei oder auch fünf verschiedene Medikamente gleichzeitig nehmen, ist in der Kardiologie nicht ungewöhnlich", so Kirchhof. Bei den verschriebenen Wirkstoffen handelt es sich größtenteils um ältere, als Generika verfügbare Mittel.

Es geht nicht bloß um Medikamente, sondern um den Lebensstil

Der Kardiologe, der an der aktuellen europäischen Leitlinie zur Bluthochdrucktherapie mitgearbeitet hat, sagt: "Ich nehme stark an, dass das `Sprint`-Ergebnis in die nächste Leitlinie einfließt. Und ich kann mir vorstellen, dass für die untersuchte Gruppe ein Blutdruck von 120 als Therapieziel empfohlen wird."

Mindestens genauso wichtig wie der Griff in den Arzneischrank ist für Hochdruckpatienten allerdings, ihren Lebensstil entsprechend anzupassen: sich gesund ernähren, regelmäßig bewegen, bei Übergewicht abnehmen und nicht rauchen - all das nimmt Druck aus den Gefäßen und hilft, sie möglichst gut in Form zu halten.

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