Der 26. April 1937 war ein Montag. Markttag. Im baskischen Guernica drängten sich die Menschen, als am Nachmittag, es war gegen 16.30 Uhr, plötzlich die Glocken läuteten. Flieger-Alarm! Schon tauchte ein Flugzeug am Himmel auf. Ein deutscher Bomber, Typ Heinkel 111, am Steuerknüppel saß Oberleutnant Rudolf von Moreau. Über dem Stadtzentrum öffnete der Offizier die Bombenschächte seiner Maschine. Herab regnete der Tod.
In Wellen folgten weitere Bomber und Jagdflugzeuge. Sie warfen Spreng-, Splitter- und Brandbomben, insgesamt 31 Tonnen Munition gingen auf Guernica nieder. Zweieinhalb Stunden lang wüteten die deutschen und italienischen Kampfflieger über der Stadt - "mit einer bisher ungekannten Brutalität", wie es der Präsident der baskischen Regierung, José Antonio de Aguirre, drei Tage später formulierte. "Sie haben die Stadt eingeäschert und mit Maschinengewehrsalven die Frauen und Kinder verfolgt, die in panischer Angst flohen und zahlreich zu Tode kamen", so Aguirre. Der Augenzeuge Juan Guezureya erinnerte sich noch 1974 im Gespräch mit zwei britischen Reportern an den schrecklichen Nachmittag: "In einer Höhe von etwa 30 Metern flogen die beiden Maschinen hin und her wie fliegende Schäferhunde, die eine Menschenherde zum Schlachten zusammentreiben."
Der Kriegsberichterstatter George L. Steer schrieb zwei Tage später in der Londoner "Times": "Die Taktik der Angreifer war ganz klar: zuerst schwere Bomben und Handgranaten, um die Bevölkerung zu sinnlosen Fluchtversuchen zu veranlassen, dann Maschinengewehrfeuer, um sie in unterirdische Verstecke zu treiben und dann schließlich Zerstörung dieser Unterstände mit schweren Feuerbomben."
Zivilisten werden nicht länger verschont
Die Folgen des Angriffs waren verheerend. Nahezu drei Viertel aller Gebäude wurden zerstört, der Kern des historischen Ortes vollständig verwüstet. "Um zwei Uhr morgens, als ich die Stadt erreichte", notierte Steer, "war sie schrecklich anzusehen, sie stand von einem Ende bis zum anderen in Flammen. Den Widerschein des Feuers konnte man in den Rauchwolken über den Bergen schon zehn Meilen vor der Stadt sehen. Die ganze Nacht hindurch stürzten Häuser ein, bis von den Straßen nur noch große Haufen undurchdringlichen rotglühenden Schutts übrig waren."
Die Zahl der Opfer kann nur geschätzt werden. Die baskische Regierung gab an, 1654 Einwohner seien getötet, 889 verwundet worden. Neuere Untersuchungen gehen indes nur von 200 bis 300 Toten aus. Unstrittig jedoch ist, dass Guernica eine der ersten Städte war, die durch einen Bombenangriff zerstört wurde - ohne Rücksicht auf Frauen, Kinder, Alte. Drei Jahre vor der Zerstörung Coventrys und acht Jahre vor der Bombardierung Dresdens hatten die Piloten der deutschen Expeditionstruppe "Legion Condor" mit dem soldatischen Grundsatz gebrochen, Zivilisten zu verschonen.
"Guernica war für die deutsche Luftwaffe auch ein Testlauf, wie man Schrecken und Verzweiflung durch Angriffe auf Städte und Ortschaften verbreiten konnte", sagte Wolfgang Schmidt, Fachleiter Luftwaffe im Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam, jetzt SPIEGEL ONLINE. "Natürlich war die Bombardierung Guernicas ein eklatanter Bruch des Kriegsvölkerrechts und hatte einen terroristischen Charakter. Man hat zumindest billigend in Kauf genommen, dass Zivilisten zu Schaden kommen."
Zeitzeuge Steer wählte - den Schrecken noch vor Augen - deutlichere Wort für seine Empörung: "Der Überfall auf Guernica ist ohne Beispiel in der Militärgeschichte. Guernica war kein militärisches Objekt. Die Stadt lag weit hinter der Front. Der Zweck des Bombardements war anscheinend die Demoralisierung der Zivilbevölkerung und die Vernichtung der Wiege des baskischen Volkes."
"Im scharfen Schuss erproben"
Der internationale Protest, der nach der Bombardierung aufbrandete, war massiv. Weltweit wollte man wissen, wer die Schandtat zu verantworten hatte. Das Lager des Nationalisten Franco, auf dessen Seite sich die Deutschen im spanischen Bürgerkrieg geschlagen hatten, behauptete schnell, die abziehenden republikanischen Truppen hätten die Stadt verwüstet. Als Reichskriegsminister Werner von Blomberg beim Oberkommando der "Legion Condor" nachfragte, wer an der Operation beteiligt gewesen sei, meldete man ihm dreist: "Keine Deutschen!"
Gleichzeitig entsandten die Militärs jedoch Spezialisten in die inzwischen eingenommene Stadt, um verdächtige Munitionsreste einsammeln zu lassen. Zudem bekamen alle Flieger einen Maulkorb verpasst. Dabei hatte der Kommandeur des inoffiziellen Expeditionskorps zur Unterstützung der rechten Franco-Putschisten sogar noch höchstpersönlich am Abend des 26. April 1937 nach Berlin gefunkt: "Sämtliche fliegenden Verbände der Legion Condor in mehrmaligem Einsatz Angriff auf zurückgehenden Gegner auf Straßen nördlich Monte Oiz und auf Brücke und Straßen ostwärts Guernica."
Als das Leugnen nicht half, führte die Wehrmacht taktische Notwendigkeiten für den Angriff ins Feld. Zweck der Operation sei allein gewesen, eine Brücke zu zerstören und abrückenden Truppen den Weg abzuschneiden, hieß es nachträglich. "Mein Kollege Klaus A. Maier hat herausgearbeitet, dass tatsächlich ein militärisches Ziel im Vordergrund stand", so Experte Schmidt. "Es ging darum, die Verkehrsinfrastruktur zu zerstören und den Rückzug republikanischer Truppen zu erschweren."
Doch das war längst nicht alles. Der damalige Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, offenbarte bereits in den Nürnberger Prozessen, der Einsatz der Wehrmacht in Spanien habe Übungszwecken gedient. Es bot sich "die Gelegenheit, im scharfen Schuss zu erproben, ob das Material zweckentsprechend entwickelt wurde", so Göring. 2003 dann veröffentlichte der SPIEGEL lange verschollen geglaubte Dokumente, die belegen, dass es den Deutschen auf der iberischen Halbinsel vor allem darum ging, moderne Kriegstechnik und -taktik für eine künftige militärische Auseinandersetzung unter realistischen Bedingungen auszuprobieren.
"Angriffe mit 250-Kilo-Sprengbomben"
Joachim von Richthofen, nicht verwandt mit seinem gleichnamigen Kommandeur, hatte für die "Legion Condor" in einem Geheimbericht die Wirkung deutscher, spanischer und italienischer Bomben analysiert und darin Hinweise gegeben, wie sich die Zerstörungsleistung der Waffen erhöhen ließ. Den Angriff auf Guernica schilderte er als geplante Operation: "Erst gelangten Brandbomben zum Abwurf, die viele Dachstuhlbrände anregten." Darauf folgten "Angriffe mit 250-Kilo-Sprengbomben", "Wasserleitungen wurden zerstört, was Löschversuche vereitelte". Die "Volltrefferzahl" sei nicht so hoch gewesen, "einzelne Bomben sind auf freie Plätze gefallen", kritisierte er. Darüber, dass mögliche Ziele wie eine Brücke oder Munitionsfabriken verfehlt worden seien, verlor der penible Buchhalter des Schreckens kein einziges Wort.
Fest steht seither: Die Deutschen begriffen Bürgerkriegs-Spanien als gigantischen Truppenübungsplatz. Etwa 19.000 Soldaten, offiziell handelte es sich bei ihnen ausnahmslos um "Freiwillige", ließ das Nazi-Regime in einem aufwendigen Rotationsverfahren an den Auseinandersetzungen zwischen Nationalisten und Republikanern teilhaben. "Zwei Jahre Kriegserfahrungen sind nützlicher gewesen als zehn Jahre Ausbildung in Friedenszeiten", resümierte ein deutscher General.
Der Stabschef der "Legion Condor", Wolfram von Richthofen, brachte es in Hitlers Wehrmacht schließlich bis zum Generalfeldmarschall. Er starb wenige Wochen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In seinem Kriegstagebuch zum Spanien-Einsatz notierte er am 28. April 1937: "Abends liegt bestimmte Nachricht vor, dass Guernica dem Erdboden gleichgemacht ist. Für morgen noch keine Pläne."
Jörg Diehl
Erschienen auf SPIEGEL ONLINE am 26.04.2007
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