Im Januar schien es, als würden die Genossen und mit ihnen auch viele Wähler die Ablösung Sigmar Gabriels fast als eine Art Erlösung empfinden. Rückblickend betrachtet muss man jedoch zu dem Urteil kommen: Ob Gabriel oder Schulz, einen großen Unterschied macht es offenbar nicht. Nach ihrem kurzen Aufschwung ist die SPD fast wieder auf ihr Ausgangsniveau zurückgekehrt. Bevor Schulz nominiert wurde, lag die Partei bei 20 bis 22 Prozent. Die SPD kann machen, was sie will, sie kommt nicht aus dem 20-Prozent-Loch. Warum ist das so? Ein paar Erklärungsversuche.
Nicht nur in Deutschland erlebt die Sozialdemokratie eine schwierige Zeit. Bei der französischen Präsidentschaftswahl holte der Kandidat der Sozialisten kürzlich 6,4 Prozent. Bei den Umfragen für die bevorstehende Parlamentswahl steht die Partei ähnlich schlecht da. In den Niederlanden wurde die Partij van de Arbeid im März nur siebtstärkste Kraft. In Polen verlor die Vereinigte Linke unter Führung der Sozialdemokraten vor zwei Jahren alle Mandate und flog sogar aus dem Senat. In Ländern wie Österreich oder Dänemark stehen sozialdemokratische Parteien zwar noch gut da. Aber der Abstieg der einstigen Arbeiterparteien ist offenbar ein europäisches Phänomen.
Kein Hype bitte!
Noch im Januar diente der Schulz-Effekt als Beweis für Wechselstimmung nach 12 Jahren Angela Merkel. Inzwischen taugt er als Paradebeispiel dafür, wie kurzlebig Trends sein können. Der Wähler ist im Jahr 2017 ziemlich launisch und ungeduldig. Der Kandidat muss schnell liefern, und zwar möglichst vollständig und konkret, ohne dabei jedoch zu verfängliche Angriffsflächen zu bieten. Anderenfalls kann aus einem gefeierten Messias in kürzester Zeit ein Verlierer werden.
Dabei waren die Voraussetzungen für Schulz günstig. Er wurde mit 100 Prozent zum Parteichef gewählt. Ein Blankoscheck, um den Laden mal richtig umzukrempeln. Ohne Rücksicht auf Konflikte, auch nicht auf eine Hannelore Kraft. Trotzdem entsprach er ihrer Bitte, sich während ihres Wahlkampfes zurückzuhalten. Genau in diesen Wochen, in denen Schulz untergetaucht zu sein schien, drehte die Stimmung. Genutzt hat es nichts: Kraft verlor in Nordrhein-Westfalen. Der Kanzlerkandidat, der so gern sportliche Bilder bemüht, hat sich von diesem Haken bis heute nicht so richtig erholt.
Auf den Schulz-Effekt folgte eine Normalisierung. Die drei verlorenen Landtagswahlen korrigierten das Anfang 2017 so euphorische Image des Kandidaten nach unten. Dass das Pendel noch einmal so deutlich umschlägt? Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dreieinhalb Monate vor der Wahl aber kaum absehbar, wie Schulz das gelingen könnte. Schon jetzt muss sich die SPD zwei fast skurrile Fragen stellen: Ist die angemessene Lehre aus dem Fall Schulz, den Kandidaten in vier Jahren erst kurz vor der Wahl aus dem Zylinder zu ziehen, um sich Ähnliches zu ersparen? Was kann man außerdem tun, um einer allzu übertriebenen Euphorie um den Kandidaten notfalls entgegenzuwirken?
Die SPD hat ein PR-Problem
Schulz ist auch ein gutes Beispiel, wie schwierig es für Sozialdemokraten ist, ein Programm zu entwickeln, das zu ihr passt und einer ausreichend großen Zahl von Bürgern gefällt. Viele Wähler und Medien verlangen nicht weniger als den ganz großen Wurf, die neue Politvision. Eine, die im Fall der SPD gleichzeitig den "kleinen Mann" mitreißen kann wie den mit einem Jahreseinkommen von mehr als 40.000 Euro. Schulz soll sich dabei zwar erkennbar von Merkel unterscheiden, aber auch nicht zu stark. Denn heftige Wendemanöver sind in schwierigen Zeiten nicht erwünscht. Der Kandidat und seine Partei agieren dabei nicht immer wie angriffslustige Herausforderer, sondern manchmal reichlich ängstlich. So missglückte etwa die Programmpräsentation, bei der wichtige, aber riskante Themen wie Steuern und Renten erst einmal ausgespart wurden.
Strategisch hat die SPD ein weiteres Problem. Theoretisch hat sie mehrere Machtoptionen, realistisch ist aber kaum eine. Eine Große Koalition mit der Union als Juniorpartner? Bei den Wählern ist ein Bündnis zwischen den beiden großen Parteien die beliebteste Variante. Es wäre jedoch schwierig zu verkaufen, schließlich erzählen SPD-Politiker seit Monaten, dass sie aus der Koalition mit der Union herauswollen. Eine Ampel? Jamaika hätte mit einer vermutlich größeren Mehrheit wohl deutlich bessere Aussichten, erstes Dreierbündnis im Bund zu werden. Die FDP steht der Union nach wie vor deutlich näher. In einer Ampel müssten die Liberalen befürchten, zwischen SPD und Grünen zerdrückt zu werden. Also unwahrscheinlich. Und Rot-Rot-Grün? Nicht nur die Saarland-Wahl zeigt, dass die Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung der Linken mit Sahra Wagenknecht im Kabinett womöglich eher die Gegenseite mobilisiert als die eigenen Anhänger.
Die SPD hat auch in anderer Hinsicht ein PR-Problem. Die Partei regiert im Bund mit einer kurzen Unterbrechung zwischen 2009 und 2013 seit fast 20 Jahren. Dazu führt sie seit Langem die Mehrheit der deutschen Landesregierungen. Das macht einen Angriffswahlkampf nicht gerade leichter. Bei allem, was die SPD jetzt an Themen setzt, fordert und beklagt, setzt sie sich dem Vorwurf aus: Warum hat die Partei die Dinge nicht längst geändert? Zeit und Gelegenheit dafür hatte sie ja genug. Umso günstiger für Merkel und die Union, die es sich leisten können, im Wahlkampf weitgehend auf Inhalte zu verzichten.
Quelle: n-tv.de
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