Plötzlich spielt Kataloniens Regierung auf Zeit

  03 Oktober 2017    Gelesen: 432
Plötzlich spielt Kataloniens Regierung auf Zeit
Die katalanische Regierung hat auf einmal jede Menge Zeit: Die geplante Unabhängigkeitserklärung scheint sich zu verzögern. Was wollen die Separatisten?
Am Morgen danach beherrschen die Tauben und die Touristen wieder die Plaça de Catalunya. Die einen picken und gurren, die anderen füttern und fotografieren. Und am Rande des Hauptplatzes von Barcelona bauen Arbeiter die Reste der Bühne ab, an der die katalanischen Separatisten in der Nacht zu Montag gefeiert haben. "Hola Nou País" - "Hallo Neues Land" steht auf einem der überlebensgroßen Transparente, die gestern meterhoch vom Bühnengerüst hingen. Jetzt verstauen es die Arbeiter in den Lkw.

Ein paar Stunden ist es her, da haben hier Tausende Menschen "Els Segadors" gesungen, die katalanische Hymne. Mit Inbrunst und vier hochgereckten Fingern: dem Symbol für die Unabhängigkeit ihrer Nation. Sie haben das scheinbare Endergebnis des illegalen und irregulären Referendums über die Abspaltung Kataloniens von Spanien bejubelt: 89 Prozent Ja-Stimmen, laut der Wahlkommission. Sie haben gebuht, als die Großbildleinwand Bilder der gewalttätigen Einsätze der spanischen Polizei gegen Wahlwillige zeigte. Und dann haben sie getanzt und gegrölt und geknutscht und gekifft, bis in die tiefe Nacht hinein. Die meisten hier waren ja keine 30. Und sie gingen fest davon aus, dass am Mittwoch, endlich, ihr Traum Wirklichkeit werden würde: independència. Unabhängigkeit.

Am Montagnachmittag steht das plötzlich nicht mehr so fest. In Brüssel ließ zunächst die EU-Kommission die Separatisten abblitzen. Dann tritt in Barcelona der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont vor die Mikrofone, prangert lang und breit die Polizeigewalt an, kündigt einen Untersuchungsausschuss an, fordert die spanische Polizei und die Guardia Civil auf, Katalonien zu räumen. Und erwähnt dann fast beiläufig: Es gebe noch gar kein endgültiges Resultat des Referendums. Dafür müssten noch die Stimmen einiger Wahllokale ausgezählt werden.

Mit dieser Aussage stellt Puigdemont den Unabhängigkeits-Countdown zurück. Denn das Gesetz seiner Separatistenregierung zum Referendum sieht vor: Das Parlament muss den Volkswillen binnen 48 Stunden umsetzen und die Unabhängigkeit verkünden. Allerdings - erst 48 Stunden nach Bekanntgabe des offiziellen Wahlergebnisses. Und die hat laut Puigdemont in der Nacht zu Montag nicht stattgefunden. Das heißt: Das Parlament muss vorerst die Abspaltung nicht erklären.

Wie viele Stimmen müssen noch gezählt werden? Woran hapert es, wie lange wird das dauern? Puigdemonts Mitarbeiter verweigern jede Antwort. So lange das offizielle Ergebnis nicht feststeht, hat die katalanische Regierung Zeit zu taktieren. Sie kann Dampf rausnehmen, den rasend schnellen Abspaltungsprozess einbremsen. "Die Regierung hat nicht entschieden, die Unabhängigkeit zu erklären", zitiert die Madrider Zeitung "El Pais" Puigdemont. "Wenn es eine Vermittlung gibt, sprechen wir über alles."

Denn nach der nächsten Eskalation, einer Unabhängigkeitserklärung, gäbe es kaum noch ein Zurück in der Konfrontation mit dem spanischen Zentralstaat. Dann könnte die Regierung in Madrid nach Artikel 155 der spanischen Verfassung Katalonien die Autonomie entziehen. Dies hieße: Der Zentralstaat übernähme die Kontrolle über die Region, Puigdemont würde abgesetzt.

Madrid droht bereits mit der Zwangsverwaltung. Justizminister Rafael Catalá erklärt im Rundfunksender TVE: "Der (Artikel) 155 ist da, wir werden die ganze Macht der Gesetze nutzen." Es könne schmerzvoll werden. "Aber wenn jemand die Unabhängigkeit erklären will, dann muss man ihm sagen, dass er das nicht kann."

Ein prominenter Katalane in Madrid fordert bereits jetzt, den Artikel 155 anzuwenden. Es ist Albert Rivera, der Chef der Ciudadanos. Seine Mitte-rechts-Partei entstand einst in Katalonien als Gegenbewegung zu den Separatisten, ist mittlerweile die viertstärkste Kraft im spanischen Parlament und stützt dort die Minderheitsregierung von Mariano Rajoy.

Der konservative Premierminister hat für Montagnachmittag Rivera und Pedro Sánchez eingeladen, den Parteichef der Sozialisten. Rajoy will mit den beiden anderen Parteiführern das weitere Vorgehen gegen die Katalanen besprechen. Und sich ihre Rückendeckung für eine mögliche Zwangsverwaltung holen.

Die Zeit drängt. Denn länger als ein oder zwei Tage dürfte das Auszählen der letzten katalanischen Stimmzettel nach menschlichem Ermessen eigentlich nicht dauern. Und lange dürften sich gerade die Hardcore-Separatisten im eigenen Lager nicht hinhalten lassen.


Am Montag gab es schon wieder Kundgebungen in Barcelona. Und wie zu hören ist, macht Puigdemonts Koalitionspartner im Regionalparlament, die linksextreme CUP, Druck, dass jetzt alles zügig geht.

Für Dienstag haben die separatistischen Gewerkschaften erst mal einen Generalstreik in Katalonien ausgerufen: aus Protest gegen die Gewalt der spanischen Einsatzkräfte, wie es heißt. Es wird wohl wieder große Straßendemonstrationen geben. Und, ganz sicher, bestimmt auch die eine oder andere Fiesta. Noch sind die Separatisten unter den Katalanen im Unabhängigkeitsrausch.

Quelle : spiegel.de

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