Sogar nach seiner Absetzung als Chef der Regionalregierung beherrscht Puigdemont die Schlagzeilen: mit seiner dubiosen Reise über Marseille nach Belgien, zusammen mit fünf Ex-Kabinettsmitgliedern. Es dürfte lange her sein, dass der Brüsseler Presseclub so vollgepackt war wie an diesem Dienstag. Kameraleute und Fotografen mussten auf Tische steigen, um noch Bilder des Politikers inmitten der Menschenmasse zu erhaschen.
Doch mit der neuesten Volte schadet Puigdemont der Separatistenbewegung. Seine Flucht aus Katalonien sieht einfach nur feige aus. Sie erweckt den Eindruck, dass hier ein Politiker zunächst Hunderttausende Menschen für ein Projekt mobilisiert, sie dazu bringt, sich zu engagieren und große Risiken einzugehen. Und sich dann aus dem Staub macht, sobald er Verantwortung für sein Handeln übernehmen soll: am Tag, an dem die spanische Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn erhebt.
Das nützt nur der anderen Seite, der Zentralregierung in Madrid.
"Wenn man die Unabhängigkeit erklärt, bleibt man am besten bei seinem Volk", hat der belgische Vizepremier Kris Peeters gesagt. Puigdemont lässt das Volk alleine: allen voran die Bürger, die am Referendumstag die Drecksarbeit für ihn erledigt haben. Ganz normale Menschen, die sich den spanischen Polizisten entgegen gestellt haben, die geknüppelt wurden oder sogar Gummigeschosse eingesteckt haben: um die Wahllokale zu "beschützen". Für die große Sache.
Umso bizarrer klingt es, wenn Puigdemont seinen Abgang damit begründet, er könne nur außerhalb Kataloniens "in Freiheit und Sicherheit agieren." Wer sollte einem entmachteten Politiker - der sich am Samstag noch in einer Tour der Öffentlichkeit zeigte - nach dem Leben trachten? Und um seine Freiheit muss Puigdemont so schnell auch nicht fürchten. Die Staatsanwaltschaft hat bei der Anklage gegen ihn und seinen Vize Oriol Junqueras explizit keine Verhaftung angeordnet. Sie bestellt die beiden Politiker zunächst nur ein.
Eine Verurteilung wegen Rebellion? Keinesfalls sicher
Jordi Sanchez und Jordi Cuixart, die Anführer der beiden wichtigsten separatistischen Bürgerbewegungen, wussten vor zwei Wochen genau, dass ihnen Untersuchungshaft bevorsteht. Sie sind aber nicht geflohen, sondern haben Videos gedreht und ihre Anhänger aufgefordert, weiter zu kämpfen. Und auch Oriol Junqueras zeigt keine Anstalten, Katalonien zu verlassen. Im Gegenteil: er plant, bei den Neuwahlen wieder anzutreten.
Puigdemont hingegen fordert jetzt "Garantien für ein faires Verfahren", als Bedingung für seine Rückkehr. Das klingt, als wäre Spanien kein moderner Rechtsstaat, als gehe es noch zu wie in den finstersten Zeiten der Franco-Diktatur. Tatsächlich ist Spanien laut dem "Democracy Index" des Londoner "Economist" eine von weltweit nur 24 sogenannten "vollständigen Demokratien."
Kein Zweifel: es gibt in diesem Staat Verflechtungen zwischen Politik und Justiz. Aber die internationale Öffentlichkeit wird den Prozess gegen Puigdemont und Junqueras sehr genau beäugen. Allein das macht Mauscheleien unwahrscheinlich. Außerdem ist eine Verurteilung wegen Rebellion alles andere als sicher. Denn Puigdemont und Co. haben nie zu Gewalt aufgerufen, sondern immer nur zu friedlichem Protest. Ihr Pazifismus hat der Unabhängigkeitsbewegung zu Recht viele Sympathien eingebracht.
In Brüssel will Puigdemont nun "sichtbar machen, dass es ein Problem mit Katalonien gibt." Dieses können die Eurokraten schon seit Wochen nicht mehr übersehen - und man kann sie mit Fug und Recht für ihre Passivität und einseitige Unterstützung der kompromisslosen Madrider Regierung anprangern. Doch Puigdemont wird in Brüssel kaum offene Türen finden. Er ist offensichtlich eine Persona non grata, nach seiner Entmachtung erst recht. Sogar die flämischen Separatisten der belgischen Partei N-VA legen großen Wert darauf, dass sie selbst nicht den Katalanen und seine Gefolgschaft ins Land eingeladen haben.
Belgien muss er verlassen - in spätestens 90 Tagen
Asyl will Puigdemont nach eigenen Worten in Belgien nicht beantragen; am Montag klang das aus seinem Umfeld noch nicht so sicher. Aber mittlerweile könnte der Politiker erfahren haben, dass er so gut wie chancenlos wäre. Denn Belgien hat seit Jahren keinen einzigen Asylantrag eines EU-Bürgers genehmigt. Hierfür nötig wäre die Gefahr schwerer Menschenrechtsverletzungen. Und die sind, bei aller Sympathie für die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, in Spanien bislang nicht bekannt.
Früher oder später wird Puigdemont zurück müssen. Er habe "dieselben Rechte wie jeder europäische Bürger, nicht mehr und nicht weniger", sagt Belgiens Premier Charles Michel. Das heißt: 90 Tage lang darf er sich als Besucher im Lande aufhalten. Danach ist Schluss, wenn er keinen besonderen Bleibegrund hat.
Puigdemont sollte früher und aus eigenen Stücken heimkehren nach Katalonien, Verantwortung übernehmen, sich der Justiz stellen. Dann kann er den Prozess sogar nutzen - um Spaniens Vorgehen anzuprangern. Und vor allem, um noch einmal richtig Werbung zu machen für die katalanische Unabhängigkeit.
An die glaubt er nämlich wirklich.
Quelle : spiegel.de
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