Eine Provokation nennt der russische Präsident das, was auf der russischen Luftwaffenbasis Hmeimim und dem nahe gelegenen Marinestützpunkt Tartus in Syrien passiert ist. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau waren beide Militäranlagen in der Nacht vom 5. auf den 6. Januar von mit Sprengstoff bestückten Drohnen angegriffen worden. Beim Angriff auf Hmeimim sollen zehn, bei der Attacke auf Tartus drei unbemannte Flugzeuge eingesetzt worden sein.
Sieben Drohnen seien von Flugabwehrsystemen abgeschossen, sechs weitere "unter Kontrolle gebracht" worden, meldete das Ministerium in Moskau zwei Tage später. Als Startpunkt wurde den Angaben zufolge das Dorf Maouzra in der Provinz Idlib ermittelt, ein Gebiet, das von den syrischen Rebellen kontrolliert wird. Sie sollen die "hoch entwickelte Technik" geliefert bekommen haben.
Von wem, sagte Putin nicht, aber das musste er auch nicht. Das Verteidigungsministerium hatte bereits einige Tage zuvor den Verdacht auf die USA gelenkt. Die Technik könne nur "von einem Land kommen, das über Hochtechnologiemöglichkeiten verfügt". Den Namen USA sprachen die Generäle nicht aus, das erledigten dafür Abgeordnete und Senatoren, die in den russischen Medien zitiert wurden. Außerdem erwähnte das Ministerium, dass ein US-Aufklärungsflugzeug während des Angriffs über der Region geflogen sei. Das Pentagon wies jegliche Beteiligung an der Drohnenattacke zurück.
Neue Art des Drohnenangriffs
"Drohnenattacke auf Hmeimim und Tartus abgewehrt", meldete die Zeitung des Verteidigungsministeriums "Krasnaja Swesda". Das sollte nach Erfolg klingen. Doch diese Berichte können nicht die Tatsache verdecken, dass das russische Militär in Syrien in den vergangenen Wochen Ziel von Angriffen wurde. Dabei hatte Präsident Putin noch vor einem Monat den Sieg über die Aufständischen verkündet und erklärt, ein "bedeutender Teil" der Truppen werde heimkehren.
Nun wurden die russischen Militärs von der Attacke mit gleich zehn Drohnen in Hmeimim wohl überrascht. Der Angriff ist bemerkenswert: Es ist der erste bekannte Fall, in dem so viele Drohnen gleichzeitig ein Ziel attackierten, wie auch Nick Waters, Analyst bei der britischen Rechercheplattform "Bellingcat", in seiner Untersuchung darlegt. Der IS hatte im Irak Drohnen für Anschläge genutzt, aber nur selten mehrere gleichzeitig.
Dass gleich massenhaft Fluggeräte Hmeimim mit Sprengstoff attackierten, zeigt, dass die Angreifer eine neue Strategie verfolgen, die einiges an Planung verlange, schreibt Waters. Für die russische Armee bedeutet dies eine neue Art der Bedrohung.
Verteidigungsministerium hat mehrere Erklärungen
Wer die Angreifer waren und woher ihre Technik stammt, ist unklar. General Alexander Nowikow legte am Donnerstag eine weitere Erklärung nach: Der in Syrien gefundene Sprengstoff werde unter anderem in der Ukraine hergestellt, in der Fabrik Schostka im Nordosten von Kiew.
Die Drohnen, die das Verteidigungsministerium präsentierte, wirken wie zusammengezimmert: Bilder des Ministeriums zeigen Bauten aus Sperrholz, die mit einem Holzpropeller ausgestattet sind, der von einem kleinen Benzinmotor angetrieben wird. Der Rumpf des Flugzeuges ist mit einer grünen Tüte bespannt und wird von Klebeband zusammengehalten. Auf den Flügeln können bis zu zehn Behälter mit Sprengstoff montiert werden; dazu kommt eine GPS-Antenne, die für die Steuerung der Drohne benötigt wird.
Der russischen These, wonach die Angreifer Unterstützung durch einen entwickelten Staat beim Bau der Fluggeräte brauchten, widersprechen gleich mehrere Autoren. Wie die BBC Russland berichtete, können die Teile zum Bau der Fluggeräte ohne große Probleme im Handel gekauft werden. Adam Rawnsley und Christiaan Triebert schreiben in einem Artikel für "The Daily Beast", diese Art von Drohnen sei auf dem Schwarzmarkt erhältlich.
Schwieriger als der Bau ist allerdings das Fliegen der Drohnen. Wenn der von Russland angegebene Startpunkt stimmen sollte, flogen die unbemannten Fluggeräte rund 70 Kilometer von Hmeimim und rund 100 Kilometer von Tartus entfernt los. Diese Wegstrecke setzt einiges an Übung und Koordination voraus.
Zweiter Drohnenangriff?
Interessant ist auch die Frage, warum das Verteidigungsministerium so detailliert auf die Attacke eingeht, aber über einen ähnlichen Vorfall am 31. Dezember nur wenige Worte verliert.
Die Zeitung "Kommersant" hatte berichtet, dass bei einem Angriff auf die russische Luftwaffenbasis am Silvestertag sieben Flugzeuge zerstört worden seien, was für die Armee den größten Verlust an Kriegsgerät seit Beginn der Militäroperation bedeuten würde. Das Verteidigungsministerium dementierte, erklärte aber, dass "bei plötzlichem Artilleriefeuer" zwei Soldaten gestorben seien. Wer geschossen habe und woher, ist nach wie vor unklar. Irek Murtasin wies in der "Nowaja Gazeta" darauf hin, es sei sehr schwierig, Granatwerfer in die Nähe des gut bewachten russischen Militärlagers zu schaffen, dessen Umgebung Unterstützer des Putin-Verbündeten Baschar al-Assad kontrollieren.
Hat es also bereits am 31. Dezember eine Drohnenattacke auf Hmeimim gegeben, die das Militär nicht abwehren konnte? Einige Soldaten, die auf der Basis stationiert waren, glauben das offenbar laut Medienberichten. Auch Analyst Waters hält dies nach Analyse der Umstände und Bilder für eine "glaubwürdige Möglichkeit".
Das russische Verteidigungsministerium reagierte auf seine Weise und meldete am Freitag, man habe die verantwortlichen "Terroristen" getötet und deren Lager mit Drohnen in der Region Idlib zerstört.
Quelle : spiegel.de
Tags: