Will PiS Amnestie für Holocaust-Helfer?

  07 Februar 2018    Gelesen: 1314
Will PiS Amnestie für Holocaust-Helfer?
"Polnische Vernichtungslager" - dieser Begriff steht künftig unter Strafe, denn er führt völlig in die Irre. Kritiker fürchten aber, dass es der rechten PiS-Regierung mit dem Gesetz vor allem darum geht, das eigene Geschichtsbild zu diktieren.  

Die Angst vor einer Umdeutung der Geschichte ist in Polen groß. 2012 etwa sprach der damalige US-Präsident Barack Obama im Zusammenhang mit dem Holocaust fälschlicherweise von "polnischen Vernichtungslagern". Das Weiße Haus entschuldigte sich umgehend, doch die polnischen Medien beschäftigten sich wochenlang mit dem Thema. Der Vorwurf vieler nationalistisch gesinnter Kommentatoren lautete damals: Auch der US-Präsident versuche, die Schuld der Nationalsozialisten zu relativieren. Das Kuriose dabei war, dass Obama in seiner Rede den Widerstandskämpfer und Holocaustüberlebenden Jan Karski mit der höchsten Ehrenauszeichnung der Vereinigten Staaten würdigte.

Ähnliche Vorwürfe musste sich das ZDF gefallen lassen, als 2013 in einer Dokumentation über die Vernichtungslager Auschwitz und Majdanek von "polnischen Konzentrationslagern" die Rede war. Erneut rollte eine Welle der Empörung heran. Eine Kampagne ließ mobile Anzeigetafeln von Breslau über den Hauptsitz des Senders in Mainz und Bonn bis ins britische Cambridge fahren. Darauf zu sehen war der Schriftzug: "Death camps were nazi german. ZDF apologize!" (zu deutsch: "Die Todeslager waren nazi-deutsch. ZDF, entschuldige dich!"). Der KZ-Überlebende Karol Tendera verklagte den Sender und bekam 2016 Recht. Das ZDF entschuldigte sich schließlich.

Nun soll ein Gesetz in Kraft treten, das genau diese Art von Formulierungen unter Strafe stellt. Es sieht neben Geldstrafen auch Haftstrafen von bis zu drei Jahren vor, wenn jemand unter anderem "öffentlich und entgegen den Fakten", so heißt es, dem polnischen Volk oder Staat die Verantwortung oder Mitverantwortung für von Nazi-Deutschland begangene Verbrechen zuschreibt. Darunter fällt auch die Formulierung "polnische Vernichtungslager". International stößt das Gesetz auf scharfe Kritik. Zwischen Polen und Israel bahnt sich gar eine handfeste diplomatische Krise an. Warum?

Die Legende einer BND-Kampagne


In Polen hält sich die Legende, der westdeutsche Geheimdienst habe nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine Desinformationskampagne gestartet, um die Verantwortung der Deutschen für den Holocaust zu relativieren. Demnach habe der ehemalige Feldwebel der Geheimen Feldpolizei der Gestapo, Alfred Benzinger, in der Dienststelle 114 des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Jahr 1956 den Begriff "polnische Vernichtungslager" geprägt, um eine Verschiebung in der Wahrnehmung der Täterschaft zu erreichen. Dass Benzinger einst für die Gestapo arbeitete, ist historisch unbestritten. Für eine derartige Desinformationskampagne gibt es indes laut der Historikerkommission des BND jedoch keine Hinweise. In dem Zusammenhang führt der polnische Historiker Krzystof Ruchniewicz an, dass selbst der polnische Nationalheld Karski den Begriff "polish deathcamps" bereits 1944 als geografische Einordnung verwendete.

Offiziell scheint es der polnischen Regierung also darum zu gehen, für Klarheit zu sorgen. Die Vernichtungslager waren deutsch, die Schuld an der millionenfachen Vernichtung ist deutsch. Niemand mit klarem Verstand hat daran Zweifel. Doch warum kommt ausgerechnet scharfer Protest an dem Gesetz aus Israel und den USA? Aus Israel war die Kritik zuletzt so laut, dass Polen sogar einen Besuch des israelischen Erziehungsministers Naftali Bennett absagte, bei dem über die Verstimmungen gesprochen werden sollte.

Der sagte, nachdem er ausgeladen worden war: "Das Blut polnischer Juden schreit aus der Erde, und kein Gesetz wird es zum Schweigen bringen". Auch in Israel gibt es keinen Zweifel darüber, dass die Lager von Deutschen betrieben wurden. "Viele Polen haben sich jedoch im ganzen Land an der Verfolgung, Denunzierung oder aktiv am Mord an mehr als 200.000 Juden beteiligt, während und nach dem Holocaust."

"Auch Polen, die Juden verraten, erpresst, ermordet haben"


Israel und die USA fürchten, dass sich Polen der Mitverantwortung entledigen möchte. Das Gesetz stelle "ein Abstreifen der eigenen Verantwortung dar und eine Verleugnung von Polens Anteil am Holocaust an den Juden", sagte der israelische Geheimdienstminister Israel Katz. "Wir verstehen, dass Begriffe wie 'polnische Todeslager' falsch, irreführend und verletzend sind", erklärte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Heather Nauert. Man sei aber besorgt darüber, dass das Gesetz die freie Meinungsäußerung und den akademischen Diskurs untergraben könne, wenn es in Kraft trete.

Auch die Berliner Historikerin Stefanie Schüler-Springorum sagt, dass es zwar wichtig sei, darauf hinzuweisen, dass es deutsche und nicht polnische Lager waren, aber dass es eben auch Antisemitismus in Polen gegeben habe. "Ja, es gab Polen, die Juden unter Einsatz ihres Lebens geholfen haben. Aber es gab eben auch Polen, die Juden verraten, erpresst, ausgeplündert und manchmal auch eigenhändig ermordet haben", sagte sie der "Süddeutschen Zeitung". Wie in allen europäischen Staaten, die von den Nazis überfallen wurden, habe es auch in Polen Kollaborateure gegeben.

Das aktuelle Gesetz richte sich nicht gegen den Ausdruck "polnische Vernichtungslager", sondern "gegen alle Kolleginnen und Kollegen, die kritisch über das Verhalten der polnischen Bevölkerung während der Besatzung schreiben". Sie und andere Historiker teilen die Sorge, dass die rechte PiS-Regierung die Forschung zu bestimmten Themen unter der Besatzung, vor allem die Kollaboration mit den Nazis, ausschalten will. Die polnische Regierung versuche, ein Geschichtsbild zu verordnen und "ein positives Bild eines geeinten katholischen Polens zu produzieren".

Auch der polnisch-amerikanische Historiker Jan Gross befürchtet eine einschüchternde Wirkung auf Lehre, Forschung und Medien durch das Gesetz. "Ich glaube, dass sich Journalisten künftig sehr genau überlegen werden, ob sie über historisch sensible Themen recherchieren und schreiben werden", sagt Gross. Wenn nicht mehr öffentlich über Antisemitismus in Polen gesprochen werde, würden auch vom Staat angestellte Lehrer "sehr vorsichtig sein, mit ihren Schülern über die Rolle der Polen bei Pogromen" zu reden, warnte Gross. "Es ist gefährlich, wenn die jungen Leute in Polen nicht um die dunklen Kapitel unserer Geschichte wissen und darum auch mögliche Neuauflagen nicht erkennen."

Quelle: n-tv.de


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