Wo immer Cameron Kasky auftritt, wirbelt er Amerikas Waffendebatte durcheinander. "Senator Rubio", fragte er den Vertreter seines Heimatstaats Florida kürzlich unter tosendem Applaus live im US-Fernsehen, "können Sie mir hier und jetzt versprechen, dass sie in der Zukunft keine einzige Spende der NRA annehmen werden?"
Kasky hat als Schüler am eigenen Leib erfahren, was das Geld der Waffenlobby in den USA anrichtet. Er hat das Massaker an der Stoneman-Douglas-Highschool in Parkland überlebt. Nicholas Cruz, ein geistig verwirrter Klassenkamerad, erschoss dort am Valentinstag 17 Teenager. Mit einem Sturmgewehr, mit dem US-Soldaten normalerweise in den Krieg ziehen.
Aurora, Newtown, San Bernadino, Orlando, Las Vegas - die öffentliche Reaktion auf solche Massaker läuft immer gleich ab. Amerika hat sich über die Jahre in scheinheilige Bewältigungsrituale gefügt. Politiker trösten die Familien der Ermordeten mit "Gedanken und Gebeten", nur die Waffengesetze verschärfen sie nicht. Nach einem Aufschrei geraten die Toten in Vergessenheit. Bis zum nächsten Amoklauf.
Massaker zwingt Konzerne zum Umdenken
Doch Kasky und seine #Neveragain-Bewegung haben ein Erdbeben in der politischen Landschaft ausgelöst. Am 24. März wollen die Parkland-Überlebenden mit Schülern aus dem ganzen Land in Washington und bei Schwester-Demos in vielen anderen Städten ihre Wut auf die Straße tragen. Die Organisatoren rechnen mit bis zu einer halben Million Teilnehmern in der Hauptstadt.
George Clooney, Steven Spielberg und andere liberale Hollywood-Größen haben für den Protest gespendet. Und auch aus einer ganz unerwarteten Ecke bekommen die Aktivisten nun zum ersten Mal Unterstützung: der US-Wirtschaft. Firmen haben das kontroverse Waffen-Thema bislang gemieden, um keine Kunden zu verprellen - viele von ihnen sind Waffenbesitzer. Doch nach dem Massaker von Parkland stellen sich viele große Konzerne offen hinter die Aktivisten und verschärfen sogar die Waffengesetze auf eigene Faust.
Die Supermarktketten Walmart und Kroger sowie der größte US-Sportausstatter Dick's Sporting Goods haben das Mindestalter für Waffenkäufe in ihren Läden auf 21 angehoben - laut Gesetz sind sie eigentlich schon ab 18 Jahren erlaubt. Walmart verkauft zudem schon seit 2015 keine Sturmgewehre, Großmagazine und Schnellfeuer-Kolben mehr. Nun schließt sich auch Dick's an und verbannt die Militärwaffen und ihr tödliches Zubehör aus den Regalen.
"Gedanken und Gebete sind nicht genug"
Man sei "tief bestürzt" über den tragischen Vorfall in Parkland, schreibt Firmenchef Edward Stack. "Gedanken und Gebete sind nicht genug." Waffengewalt sei eine "Epidemie, die das Leben zu vieler Menschen auslöscht, darunter die beste Hoffnung für Amerikas Zukunft - unsere Kinder." Seine Firma habe dem Parkland-Attentäter im November ganz legal eine Waffe verkauft. Sie sei bei dem Massaker nicht verwendet worden, "aber es hätte sein können." Das zeige deutlich, "dass die jetzigen Systeme nicht effektiv sind. Wir glauben es ist Zeit, etwas dagegen zu tun."
Nicht nur Firmen, die Waffen verkaufen, distanzieren sich von dem Geschäft. Auch Konzerne, die damit gar nichts zu tun haben, boykottieren nun die Waffenlobby NRA. Die mächtige Interessengruppe hat nicht nur tiefe Taschen, sondern mit fünf Millionen Mitgliedern auch eine Menge potentieller Kunden. Bei vielen Großkonzernen gab es deswegen bisher Vergünstigungen. Die Fluglinie Delta Airlines hat die Rabatte für NRA-Mitglieder nun gestrichen. Auch die Autovermieter Hertz, Alamo, Enterprise und National haben ihre Verbindungen zur NRA gekappt, genauso wie die MetLife-Versicherung und die Cybersicherheitsfirma Symantec.
Farbe in der Waffendebatte zu bekennen, ist für die Konzerne riskant. Einerseits haben Walmart und Dick's Sporting Goods kaum etwas zu verlieren, weil sie ohnehin bisher vergleichsweise wenig am Verkauf von Sturmgewehren verdient haben. Andererseits vergraulen sie damit Kunden, die aus politischen Gründen nichts mehr in den Läden bestellen wollen. Und davon gibt es reichlich: Auf der Facebook-Seite von Walmart liefern sich Waffengegner und –anhänger hitzige Debatten. Während die einen die Ladenkette für ihr Umdenken bejubeln, drohen die anderen ihr nun selbst mit Boykott.
Wer die Oberhand behält und ob sich das Meinungsklima in der Waffendebatte dauerhaft dreht, wird wohl auch vom geplanten "March for Our Lives" in Washington und im ganzen Land in drei Wochen abhängen. Cameron Kasky und seine Mitschüler werden auf jeden Fall dort sein.
Quelle: n-tv.de
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