Offener Brief an Merkel: Ohne Beweise keine Erkenntnis im Skripal-Fall

  05 April 2018    Gelesen: 2269
Offener Brief an Merkel: Ohne Beweise keine Erkenntnis im Skripal-Fall

Künstler, Wissenschaftler und Ingenieure haben mit einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel die bundesdeutsche Politik im Fall Skripal kritisiert. Sie fordern die Bundesregierung auf, sich für eine Deeskalation in der Russlandpolitik und eine Verbesserung der Beziehungen einzusetzen.

In dem von der Malerin Angela Hampel initiierten Offenen Brief wird kritisiert, die deutsche Regierung habe „Strafmaßnahmen gegen Russland gefordert, ohne konkrete Beweise zu haben“. Darüber berichtet die „Sächsische Zeitung“ (SZ) am Mittwoch.

Die Unterzeichner des Briefes fordern laut dem Bericht, den Fall des am 4. März mutmaßlich vergifteten russischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und seiner Tochter ohne Vorverurteilung aufzuklären. Die Zeitung zitiert aus dem Schreiben an Merkel: „Erinnern Sie sich bitte an die Zeit, als sie noch Physikerin waren. Wenn ein Physiker ein Elementarteilchen entdeckt hatte, oder ein Chemiker eine neue Substanz synthetisieren konnte: Welche präzisen und unwiderlegbaren Argumente musste er präsentieren, damit diese Erkenntnisse in das betreffende Fachgebiet aufgenommen wurden? Da nützte es nicht, mit einer Machtgeste oder medialem Rummel zu operieren. Es waren stringente Beweise gefordert.“

In der Politik scheine es anders zu sein, stellen die Unterzeichner fest: „Wer die Macht hat, muss nichts beweisen. Ein paar Behauptungen, zurechtgezimmert und zu Pseudo-Beweisen stilisiert, reichen, um die Massenmedien und über diese einen großen Teil des Volkes zu überzeugen, dass Strafmaßnahmen legitim sind.“

Die Autoren weisen die Kanzlerin darauf hin, dass das westliche Vorgehen im Fall Skripal wirke, als würde „die Kausalität genau umgekehrt: Nicht das Verbrechen und die darüber offengelegten Beweise sind der Ausgangspunkt für die strafende Maßnahme, sondern die beabsichtigte Maßnahme ist der Ausgangspunkt für die erzeugten Beweise (manchmal auch für das stattgefundene Verbrechen).“

Die Unterzeichner fordern laut dem Zeitungsbericht die Bundesregierung auf, „dass sie sich nachdrücklich für eine Deeskalation in der Russlandpolitik und eine Verbesserung der Beziehungen einsetzt“.

Dieser offene Brief wurde — hier ergänzt durch weitere Unterschriften — am 30.3. 2018 bereits per Mail geschickt.


Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

wir nehmen Bezug auf Ihre Positionierung im Fall Skripal.

Derartige Verbrechen müssen selbstverständlich aufgeklärt werden. Dies sollte allerdings ohne Vorverurteilungen geschehen. Auch sollte die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Ähnliche Vorkommnisse sollten gleich be- bzw. verurteilt werden. Uns scheint ein erhebliches Ungleichgewicht bezüglich der Bewertung solcher Verbrechen zu bestehen: abhängig von der Nationalität der jeweiligen Verursacher.

Eine tendenziöse Berichterstattung, insbesondere Russland betreffend, weckt daher auch in diesem Fall böse Erinnerungen. Die schrecklichen Folgen sind uns allen bekannt. Sie stellen sich auf die Seite derer, die Strafmaßnahmen gegen Russland fordern — ohne konkrete Beweise zu haben.

Erinnern Sie sich bitte an die Zeit, als sie noch Physikerin waren. Wenn ein Physiker ein Elementarteilchen entdeckt hatte, oder ein Chemiker eine neue Substanz synthetisieren konnte: welche präzisen und unwiderlegbaren Argumente mußte er präsentieren, damit diese Erkenntnisse in das betreffende Fachgebiet aufgenommen wurden. Da nützte es nicht, mit einer Machtgeste oder medialem Rummel zu operieren. Es waren stringente Beweise gefordert.

Anders scheint das in der Politik zu sein: Wer die Macht hat, muß nichts beweisen. Ein paar Behauptungen, zurechtgezimmert und zu Pseudo-Beweisen stilisiert, reichen, um die Massenmedien und über diese einen großen Teil des Volkes zu überzeugen, dass Strafmaßnahmen legitim sind.

Dem kritischen Betrachter erscheint es dadurch oft so, als wäre die Kausalität genau umgekehrt: Nicht das Verbrechen und die darüber offengelegten Beweise sind der Ausgangspunkt für die strafende Maßnahme, sondern die beabsichtigte Maßnahme ist der Ausgangspunkt für die erzeugten Beweise (manchmal auch für das stattgefundene Verbrechen).

Wir sind uns sicher, daß Sie diese Gedanken – so abstrakt formuliert – nachempfinden können.

Die Wahrheit ist die Waffe der Macht- bzw. Mittellosen. Die Lüge ist das Werkzeug der Machthaber, denn sie läßt sich mühelos erfinden und durch den, der über die Mittel verfügt, auch leicht verbreiten. Ein Politiker, der von der Seite der Macht her argumentiert, verliert irgendwann die Wahrheit aus den Augen, gewöhnt sich daran, Beweise mit Behauptungen zu verwechseln und nimmt auch eine Lüge in Kauf, wenn sie seinem System nützt.

Es ist ein eher seltenes Glück, wenn ein Politiker einstmals auch Erfahrungen als Wissenschaftler gemacht hat. Er/sie erinnert sich dadurch eher an Verhältnisse, unter denen als Beweis das gehandelt wird, was wirklich einer ist. Bitte überlegen Sie, ob Sie der Wahrheit oder der Macht dienen wollen.

Wir erwarten von der deutschen Bundesregierung, dass sie sich nachdrücklich für eine Deeskalation in der Russlandpolitik und eine Verbesserung der Beziehungen einsetzt.

Gerade in den letzten Tagen wurde während des Besuchs des deutschen Außenministers in Israel wieder die uneingeschränkte Solidarität Deutschlands mit dem jüdischen Staat betont und mit der historischen Verantwortung Deutschlands begründet.

Ebenso wie hier hat Deutschland auch eine historische Verpflichtung gegenüber Russland.

Angela Hampel, Malerin/Grafikerin — TM Rotschönberg, freischaffender Maler — Armin Schubert, Kulturpädagoge/Diplom-Lehrer — Peter Stephan, Drucker — Ines und Matthias Frohl, Lehrer — Wolfgang Schaller, Kabarettist/Autor — Michael Wüstefeld, Schriftsteller — Dr. med. Hans-Joachim Maaz, Arzt/Psychoanalytiker und Autor — Klaus Trende, Lyriker/Publizist — Waldemar Peine, Berufsschullehrer/Rentner — Prof. Dr. Leupold, Arzt — Frank Frenzel, Diplom-Chemiker — Marina C. Hänel, Künstlerin — Uwe Warnke, Publizist — Rita Geißler, Künstlerin — Udo Haufe, Drucker — Rudolf Sittner, Maler/Grafiker — Dr. Bernt Rump — Prof. Dr. Peter Arlt, Kunstwissenschaftler — Ingrid Reduth, Rentnerin — Barbara und Winfried Junge, Filmchronisten „Kinder von Golzow" — Torsten Leupold, Drucker — Steffen Fischer, Maler/Grafiker — Andreas Funken, Stifter — Lars Mitbrodt, Immobilienkaufmann — Axel Krause, Maler/Grafiker — Beate Domansky, Künstlerin — Heike Hampel, Grafikdesignerin — Kerstin Franke-Gneuß, Malerin/Grafikerin — Karsten Gehlsdorf, Chemiefacharbeiter — Bärbel Brede — Detlef Schwager, MSc. Tropen-Wasserwirtschafts-Ingenieur — Gabriele Reinemer, Bildhauerin/Plastikerin — Brigitte Duhra, Diplom-Ingenieurin — Christine und Uwe Meyer-Clasen, Diplom-Ingenieure — Steffen Mertens, Bildhauer/Zeichner — Ralf Donner, Diplom-Ingenieur — Ingrid und Ulrich Szczerbati, selbständig/Rentnerin — Frank Siewert, Zeichner/Grafiker — Tatjana Suworow, Diplom-Physikerin — Rainer Ehrt, Grafiker/Illustrator — Susanne Dagen, Buchhändlerin — Rudolf Sittner, Maler und Grafiker — Hans-Hilmar Koch, Schriftsetzer/Buchdrucker/Grafiker — Sabine und Prof. Rudolf Grüttner, Grafiker — Gabriele und Jürgen Oswald, Rentner — Dietrich Holz, Diplom-Ingenieur — Harald Schluttig, Filmemacher — Barbara Martin, Kunstwissenschaftlerin

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