n-tv.de Vor einem Jahr wählten die Franzosen Macron in einer Stichwahl zum Präsidenten, vielen galt er als Lichtgestalt. Was ist von dem Glanz geblieben?
Stefan Seidendorf: Macron hat sehr schnell losgelegt mit Reformen, die in Frankreich lange Zeit unmöglich waren. Besonders die Reform des Arbeitsrechts und Arbeitsmarktes, die er gleich im Sommer angegangen ist, war spektakulär. Sein sehr hohes Reformtempo halten ihm auch kritische Franzosen zugute und sprechen ihm eine gewisse Glaubwürdigkeit zu. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger François Hollande, der ein normaler Präsident sein wollte und damit das Amt "entweihte", kommt Macron bei seinen Landsleuten gut an mit seiner Symbolik und Überhöhung des Amtes sowie der Dynamik, die er verkörpert. Er ähnelt dem Präsidenten Charles de Gaulle, der auch sehr gut verstand, welche Machtfülle das Präsidentenamt in Frankreich beschert und wie autoritär ein Präsident auftreten darf. Viele Franzosen erwarten das.
Wird Macron seinen radikalen Reformkurs fortsetzen können?
Im Moment ist die Lage für Macron schwierig. Der derzeitige Protest der Eisenbahner kann sich hochschaukeln. Wenn jede Woche zwei Tage die Bahn streikt, sorgt das für ziemlich viel Chaos und die Franzosen haben schnell genug davon. Die weiteren Reformen, die Macron angekündigt hat, haben aber nicht direkt mit dem Öffentlichen Dienst der Eisenbahn zu tun. Daher sieht im Moment alles danach aus, dass er im gleichen Tempo weiterreformiert.
Trotz der großen Reformen ist es bisher erstaunlich ruhig geblieben in einem Land, das viele lange für unreformierbar hielten. Wie hat Macron das geschafft?
Macron hat in etwa das durchgesetzt, was er vor der Wahl angekündigt hat. Viele sind mit den Reformen prinzipiell einverstanden und glauben, dass diese überfällig waren. Vor Macrons Amtsantritt war die Stimmung im Keller, die Franzosen verbanden mit ihrem Land vor allem Krise, Streik und Arbeitslosigkeit. Das hat sich nun geändert, sie sind viel zuversichtlicher geworden und auch die objektiven Daten haben sich verbessert. 2017 hat Frankreich zum ersten Mal seit zehn Jahren den Stabilitätspakt wieder eingehalten, die Arbeitslosenzahlen sind zurückgegangen, die Anlageninvestitionen der Unternehmen sind so hoch wie schon seit fast einer Generation nicht mehr. Das sorgt natürlich auch für eine Unterstützung für Macrons Kurs.
Dennoch regt sich Unmut gerade bei vielen Linken, die ihn ihm einen "Präsident der Reichen" sehen.
Der Teil der französischen Linken, die ihn unterstützt haben, ist ein bisschen enttäuscht. Insgesamt hat die Bevölkerung den Eindruck, dass er einen wirtschaftsliberalen bis moderaten rechten Kurs steuert. Vermutlich wird er sich in der zweiten Hälfte der Amtszeit eher um soziale Projekte kümmern. Viele Franzosen warten noch darauf, dass nicht nur flexibilisiert wird, sondern dass sie auch mehr Unterstützung und bessere Chancen bekommen. Wenn Macron das gelingt, kann er die Spaltung der französischen Gesellschaft, von der mehr als die Hälfte bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen 2017 für Anti-System-Parteien gestimmt hatte, zumindest etwas überwinden.
Und wenn es ihm nicht gelingt? Kommt dann die Stunde der Opposition?
Die Opposition liegt in Trümmern. Die Sozialisten sind kaum mehr existent, die bürgerliche Rechte zerstritten. Im Moment wirkt das wie Macrons große Stärke, sein Triumph. Es kann aber in der nächsten Zeit problematisch werden. Wenn es keine verantwortungsvolle Opposition gibt, die mit einem glaubwürdigen Projekt antritt, hat Macron es bei der nächsten Wahl mit noch extremeren und extremistischeren Herausforderern zu tun.
Bisher konnte er sich gegenüber den Rechtspopulisten ganz gut absetzen.
Bei den Rechtspopulisten hat er eine ganz klare Linie gefahren und sich gegen deren geschlossenes reaktionäres Weltbild gestellt. Er hat gezeigt, dass man auch mit einem offensiven emotionalen Bekenntnis zu einer offenen proeuropäischen Gesellschaft Wahlen gewinnen kann. Das hatten viele für unmöglich gehalten.
Wird ihm das auch auf europäischer Ebene gelingen?
Das ist die nächste große Reformbaustelle. Er hat den Wahlkampf gewonnen mit der Idee eines Europas, das seine Bürger beschützt - in erster Linie natürlich die Franzosen. Dafür muss er die EU verändern und er benötigt Deutschland als Partner. Bislang hat er sehr viel Geduld gezeigt mit Berlin. Bei seinem letzten Deutschlandbesuch kam er noch mit Ideen und zeigte sich durchaus gesprächsbereit, während die deutsche Seite vor allem rote Linien zog und auf die Schwierigkeiten hinwies.
Muss Deutschland ihn mehr unterstützen?
Deutschland hat aus wohlverstandenem Eigeninteresse eine Verantwortung für die Weiterentwicklung der EU und diese kann es nur mit Frankreich zusammen wahrnehmen. Wenn bis zum Europäischen Rat Ende Juni kein tragfähiger deutsch-französischer Vorschlag kommt, dann ist es tatsächlich schwierig, vor den Europawahlen nächstes Jahr EU-Reformen anzugehen. So schnell wird es keine andere Konstellation geben, in der entscheidende Reformen vorangebracht werden können. Und es gibt großen Reformbedarf: im Kernbereich der Eurozone, im Umgang mit neuen Mitgliedern in Osteuropa, in der Sicherheits-, Migrations- und Flüchtlingspolitik. Letztlich geht es um die Legitimität der EU, die viele Bürger immer offener infrage stellen.
Mit Stefan Seidendorf sprach Gudula Hörr
Quelle: n-tv.de
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