Bossi zog das Strafrecht aus der Gosse

  24 Dezember 2015    Gelesen: 670
Bossi zog das Strafrecht aus der Gosse
Rolf Bossi war der berühmteste "Starverteidiger" Deutschlands. Und er hatte einen sagenhaften Ruf - allerdings nicht unbedingt bei seinen Kollegen.
Er war eine Instanz. Er war in Deutschland einer der ersten Strafverteidiger, die man "Starverteidiger" nannte. Und von diesen Starverteidigern war er der berühmteste. Er war ihr Prototyp, er war der, der dem Strafrecht das dreckige Image nahm, er machte Psychologie und Psychiatrie im Gerichtssaal heimisch. Das Strafrecht war, als Rolf Bossi 1952 Anwalt wurde, das Schmuddelkind des Rechts: Es war Blut und Sperma. Bossi zog das Strafrecht aus der Gosse. Er machte den Prozess zum Ereignis, den Schwurgerichtssaal zur Bühne.

Er inszenierte das Strafverfahren - und er inszenierte sich. Bossis Plädoyers gehören zu den glänzendsten, die in deutschen Gerichtssälen gehalten wurden. Er war kein Akrobat der Paragrafen, er war kein Revisionsspezialist; dafür hatte er seine Leute. Er war ein grandioser forensischer Rhetor - mit stahlblauen Augen und durchdringendem Blick. Nicht immer konnte er damit die Berufsrichter überzeugen, aber fast immer die Schöffen.

Und fast jedem seiner Mandanten gab er das Gefühl, das Beste für ihn getan zu haben. Kollegen Bossis sagen, der Film "Die 12 Geschworenen", ein Justizdrama von Sidney Lumet, habe ihn mehr beeinflusst als alle juristischen Vorlesungen. Bossi hatte ein wunderbares Gespür für Psychologisches, dazu ein perfektes Gedächtnis; und er verstand es, die Sprache als Waffe zu nutzen.

Wenn man vor dreißig, vierzig Jahren Jura studieren wollte und das dem Onkel an Weihnachten erzählte, fragte der zurück: "Willst du ein Bossi werden?" Rolf Bossi hatte einen sagenhaften Ruf, allerdings nicht unbedingt bei seinen Kollegen. Zumal die kleinen Anwälte in der Provinz waren sauer, wenn "der Bossi" einschwebte wie der Deus ex machina im antiken Drama, um eine heikle Sache doch noch zum Guten zu wenden.

Zu Bossis besten Zeiten waren zwei juristische Adressen berühmt in Deutschland. Erstens: Karlsruhe, Schloßbezirk 3 - das Bundesverfassungsgericht. Zweitens: München, Sophienstraße 3 - die Kanzlei von Bossi. Weiße Stühle, Fotos an den Wänden - darauf zu sehen: Rolf Bossi. Bossi mit Ede Zimmermann von "Aktenzeichen XY" bei einer Leichenschau, Bossi in spektakulären Prozessen: gegen den Frauenmörder Fritz Honka, gegen die Schauspielerin Ingrid van Bergen, die ihren Geliebten erschossen hat.

Seine Kanzlei verteidigte den Kindermörder Jürgen Bartsch, den Oetker-Entführer Dieter Zlof, den Gladbecker Geiselgangster Dieter Degowski. Bossi vertrat die Prominenz auch in Scheidungs- und sonstigen unangenehmen Angelegenheiten - Romy Schneider, Hardy Krüger, Roberto Blanco . . .

Bossi steckte seine Straftäter in den "Affekttunnel"

Seine Münchner Kanzlei sah er nur am Samstag und Sonntag. Von Montag bis Freitag war er unterwegs in den Gefängnissen und Gerichten der ganzen Bundesrepublik. Als das auch für einen Workaholic wie Bossi zu viel wurde, teilte er sich mit seinem Partner die Republik auf: Steffen Ufer übernahm den Süden, Bossi den Norden des Landes.

Am Montagmorgen flog Bossi nach Düsseldorf - und von dort ging es weiter, jeden Tag in einen anderen Gerichtssaal, wo er mittels der besten Sachverständigen nachzuweisen versuchte, dass das Verbrechen Symptom einer seelischen Krankheit war. Der Paragraf 21 des Strafgesetzbuches, der die verminderte Schuldfähigkeit regelt, geht auch auf sein Wirken zurück.

Richter und Öffentlichkeit haben sich damals mehr als heute dafür interessiert, warum ein Mensch den anderen umgebracht hat. Die große Bossi-Zeit war die Zeit der ersten Strafrechtsliberalisierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Und Bossis Lieblingsort war neben dem Gerichtssaal der "Affekttunnel", in den er seine Straftäter steckte.

Berühmtheiten der deutschen Strafverteidigung haben in seiner Kanzlei gelernt und gewirkt: Gunter Widmaier, der vor drei Jahren verstorbene Revisionsspezialist, oder Werner Leitner, Wirtschaftsstrafrechtler und Vorsitzender des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins. Ihm überreichte Bossi zum Abschied ein Buch mit der Widmung: "Wo wir sind, ist das Recht zu suchen." Bossi war ein Egomane mit Stil und Können.

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