„Der Wald hat keinen Anwalt“ – Wenn Windkrafträder Tiere töten

  11 Juli 2018    Gelesen: 1321
„Der Wald hat keinen Anwalt“ – Wenn Windkrafträder Tiere töten

Windkraftanlagen im Wald zerschmettern geschützte Greifvögel und bringen Lungen von seltenen Fledermäusen zum Platzen. Nach Empfehlungen aus der Fachwelt richten sich die Erbauer aber trotzdem nicht, sondern treiben die Anlagen weiter in den Wald hinein. Denn im Wald fühlt sich niemand direkt betroffen. Und es zahlt sich außerdem gut aus.

Windräder sind laut – und sie sind nicht gerade das schönste Schmuckwerk für die Landschaft. Deswegen formiert sich immer mehr Widerstand von Anwohnern gegen den Bau von Windenergieanlagen nahe Städten und Dörfern. In den Tiefen des Waldes dagegen stören sie niemanden mit ihrem Lärm und fallen auch weniger ins Auge. Es gibt folglich weniger Protest. Deswegen weichen Projektplaner immer mehr auf den Wald als Windkraftanlagen-Standort aus.

Dass es keinen Protest gibt, heißt aber nicht, dass im Wald niemand unter den Kolossen zu leiden hat. Nur leiden die Opfer der Windkraft dort im Stillen. Es sind Tiere, allen voran Greifvögel und Fledermäuse, die mit den Windrädern in gefährlicher Nachbarschaft leben müssen. Bis zu 250.000 Fledermäuse und über 12.000 Greifvögel im Jahr fallen den Anlagen zum Opfer, warnt die Deutsche Wildtier Stiftung – und fordert harte Konsequenzen.

Kollision: Rotoren zerschmettern Greifvögel
Allein der Rotmilan hat jährlich knapp 1200 Opfer zu beklagen, betont Fritz Vahrenholt, Alleinvorstand der Deutschen Wildtier Stiftung gegenüber Sputnik. Das sind jährlich knapp zehn Prozent des Bestandes der geschützten Art. Die Perspektive:

„In zehn Jahren wird der Rotmilan nicht mehr vorhanden sein.“

Das Problem: Der seltene Vogel nistet im Wald, sucht aber vorzugsweise im freien Raum nach Futter wie Mäusen und verendeten Tieren für seine Nachkommen.

Und wo befindet sich eine Freifläche im Wald? Dort, wo das Windrad steht. Der Rotmilan stürzt also auf seine Beute hinab, und beim Rückflug wird er von einem Rotorblatt erfasst und zerschmettert. Denn die Spanne eines Windrads ist mittlerweile so groß wie ein Fußballfeld. Und die Drehgeschwindigkeit kann bei Spitzenleistung bis zu 250 Stundenkilometer betragen. „Da hat der Rotmilan keine Chance auszuweichen“, stellt Vahrenholt fest.

Barotrauma: Luftdruck zerfetzt Fledermaus-Lungen
Windräder gefährden aber nicht nur Greifvögel wie den Rotmilan. Auch Fledermäuse, die „unter striktem Artenschutz“ stehen, werden von den Rädern getötet. Die Fledermäuse sterben nicht durch Kollision. Sie fliegen auf die Anlage zu, entlang der Straße, die für den Bau in den Wald geschlagen wurde. Die Tiere sind extrem geschickt und weichen den Blättern aus. „Aber hinter dem Windrad ist ein extremer Druckabfall. Und dieser Druckabfall führt dazu, dass die Lungen der Fledermaus platzen“, schildert der Tierschützer die Folgen.

In der Wissenschaft bezeichnet man den Schaden als Barotrauma. Die Fledermäuse sterben daran einige Meter bis zu wenigen Hundert Metern von der Unfallstelle entfernt. Pro Windkraftanlage sind das jährlich zehn Fledermäuse. „Da es spezifische Arten gibt, die hochgefährdet und bald ausgerottet sind, ist hier wirklich Einhalt zu gebieten des Missbrauchs, in den Wald Industrieanlagen wie Windkraftanlagen zu bauen“, schließt Vahrenholt.

Einhaltung empfohlener Abstände
Wegen dieser Opfer müsste „bei jeder Genehmigung einer Windkraftanlage sehr genau abgewogen werden, ob gefährdete und unter Artenschutz stehende Tiere betroffen sind“, findet Vahrenholt. Hierzu gibt es in der Tat auch einen Leitfaden, das sogenannte „Helgoländer Papier“, das den Abstand zu den Stätten und Nestern der gefährdeten Tiere regelt. Vor dem Bau müsste ermittelt werden, ob sich im Umkreis Horste von Greifvögeln oder Fledermausquartiere befinden. Was die Abstände betrifft, so unterscheiden diese sich von Art zu Art: Beim Rotmilan etwa wären es 1500 Meter zum Nest, beim Schreiadler ganze 6000 Meter, weil dieser einen größeren Einzugsbereich hat.

Für das Helgoländer Papier gilt auch:

„Das ist leider nur eine fachliche Empfehlung. Und die Bundesländer in Deutschland halten sich höchst unterschiedlich an diese Empfehlung.“

In Baden-Württemberg etwa werde auch im Abstand von nur 1000 Metern zum Nest des Rotmilans gebaut: „Der Milan in Baden-Württemberg verhält sich aber nicht anders als der in Mecklenburg-Vorpommern. Es braucht dringend eine bundeseinheitliche Regelung“, findet Vahrenholt. Warum die Empfehlungen nur ungern umgesetzt werden, erklärt er auch: „Wenn wir zum Beispiel den Abstand von sechs Kilometern vom Nest eines Schreiadlers zu einer Windkraftanlage in Mecklenburg-Vorpommern durchsetzen würden, gäbe es keine neuen Windkraftanlagen mehr in Mecklenburg-Vorpommern.“

Profitgier und mangelnder Widerstand
Warum dann überhaupt im Wald bauen? Hier schließt sich der Kreis: „Es wird immer schwieriger, Standorte im offenen Land zu bekommen, weil der Widerstand in Deutschland gegen Windkraftanlagen massiv angewachsen ist“, erklärt Vahrenholt. Es gebe etwa 1000 Bürgerinitiativen, insbesondere im ländlichen Raum, „die sich gegen die Zerstörung ihrer Heimat“ wehrten. Das erinnere an „die beste Zeit der Anti-AKW-Bewegungen“, findet der Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung.

Der Wald dagegen habe keinen Anwalt, niemanden, der sich für ihn einsetzt. Deswegen weichen die Projektplaner vermehrt auf diesen Raum aus. Denn die Naturschutzorganisationen befinden sich hier in einem Dilemma und machen meist keinen Gebrauch von ihrem Recht auf eine Verbandsklage. Der Grund: Windkraft sei für sie wichtiger als Artenschutz. Und: „Wo es keinen Einspruch gibt, gibt es auch keinen Widerstand.“

Außerdem gebe es noch ein kleines Profitinteresse: 80.000 Euro Pacht werfe eine solche Anlage pro Jahr ab. „Der staatliche Wald, der Landeswald, der Staatsforst verdient eine Menge Geld daran“, meint Vahrenholt. Bei nur zehn Windrädern wären es jährlich 800.000 Euro, über die Jahre hinweg – Millionen. Solche Projekte würden derzeit massiv vor allem in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen durchgeführt, „in hohem Maße unterstützt von der Politik in diesen drei Bundesländern“. Dabei verstoße diese Praxis im Kern gegen die EU-Artenschutzverordnung.

sputniknews


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