Poroschenko beginnt ein gefährliches Spiel um EU und Nato

  13 September 2018    Gelesen: 1334
Poroschenko beginnt ein gefährliches Spiel um EU und Nato

Die Werchowna Rada (Parlament der Ukraine) wird nächste Woche eine von Präsident Petro Poroschenko initiierte neue Verfassungsnorm besprechen, der zufolge die Ukraine den EU- und Nato-Beitritt anstreben sollte, schreibt die Zeitung „Nesawissimaja Gaseta“ am Donnerstag.

Der Staatschef betonte, er vertrete die Interessen der meisten Ukrainer, die die EU-Integration und Nato-Mitgliedschaft befürworten. Aber gerade diese Behauptung könnten die Abgeordneten infrage stellen.

Laut jüngsten Umfragen würden sich 63 Prozent der Ukrainer an einem Referendum über den Nato-Beitritt ihres Landes beteiligen, falls es organisiert werden sollte. 67 Prozent von ihnen würden auch dafür stimmen, während 28 Prozent dagegen wären.

„Seit 2014 orientiert sich die ukrainische Gesellschaft überwiegend am Nato-Beitritt“, stellten die Experten der Stiftung „Demokratische Initiativen“, des soziologischen Zentrums „Alexander Rasumkow“ und des Kiewer internationalen Instituts für Soziologie fest. 2012 hatten nur 13 Prozent der Einwohner des Landes geglaubt, dieser außenpolitische Kurs wäre die beste Sicherheitsgarantie. Aber nach den Ereignissen auf der Krim und im Donbass stieg diese Zahl auf 33 Prozent im Mai 2014 und auf 46 Prozent im November 2015. Im vorigen Jahr lag diese Zahl bei 47 Prozent, ist aber inzwischen auf 42 Prozent gesunken.

Allerdings ist offensichtlich, dass die Einwohner verschiedener Regionen die Situation unterschiedlich bewerten. In der Westukraine würden 73 Prozent am erwähnten Volksentscheid teilnehmen und im Osten des Landes „nur“ 52 Prozent. Und im Osten würden lediglich 25 Prozent dem Nato-Beitritt zustimmen, wobei 64 Prozent dagegen wären. Im Westen wären die Ergebnisse umgekehrt: 69 Prozent dafür und 32 Prozent dagegen.

Die Soziologen verwiesen darauf, dass vor vier Jahren die meisten Befürworter des Nato-Beitritts „wegen ihrer Enttäuschung von der Idee des blockfreien Status der Ukraine und eines Militärbündnisses mit Russland und anderen GUS-Ländern“ dieser Auffassung gewesen seien. Bisher hatten diese Menschen darauf verwiesen, dass die Nato-Mitgliedschaft „die Sicherheit der Ukraine garantieren“ (76 Prozent), „der Ukraine beim Widerstand gegen die russische Aggression und bei der Zurückeroberung der okkupierten Gebiete helfen“ (34 Prozent) und „die Möglichkeit für die Festigung der eigenen Verteidigungsfähigkeit und der Modernisierung der Streitkräfte geben“ (32 Prozent) würde.

Auffallend ist, dass die Ukrainer laut früheren Studien zu den vorrangigen Aufgaben für ihr Land die Regelung des Donbass-Konflikts gezählt hatten. Mehr als 50 Prozent von ihnen wären zu Kompromissen im Interesse des Friedens bereit, allerdings nicht zu allen möglichen Zugeständnissen. Unter anderem treten sie gegen die Umsetzung einiger Punkte der Minsker Vereinbarungen auf, die zur Legitimierung eines Sonderstatus der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk führen könnten.

Also sehen die Ukrainer in der Nato-Mitgliedschaft nicht den Weg zur Lösung des am meisten akuten Problems. Und die Fragestellung nach dem Nato-Beitritt spaltet das Land in zwei ungefähr gleiche Teile, wie die Umfrageergebnisse zeigen. Dennoch will die Machtpartei die Nato-Bestrebungen der Ukraine in der Verfassung verankern. Diese Idee wird allerdings von vielen kritisiert, denn der außenpolitische Kurs des Landes ist keine Verfassungsfrage. Immerhin war in der Ukraine schon früher das Gesetz „Über die Grundlagen der Innen- und Außenpolitik“ verabschiedet worden, wie auch die Strategie der nationalen Sicherheit, in der der außenpolitische Kurs auf den EU- und Nato-Beitritt verankert  wurde.

Präsident Poroschenko erläuterte, dass er diese Norm in der Verfassung verankern wolle, weil sie sich im Unterschied zu einzelnen Gesetzen nur sehr schwer novellieren lasse. Denn bis 2010 hatte Kiew die EU-und Nato-Integration als Ziel bestimmt, aber nach dem Präsidentschaftswahlsieg Viktor Janukowitschs wurde der blockfreie Status ausgerufen. Jetzt will sich Poroschenko auf diese Weise absichern.

Der ukrainische Politologe Oleg Petrowez verwies darauf, dass die Verankerung des Kurses auf den EU- und Nato-Beitritt zwar keine 100-prozentige Garantie sei, dass die Ukraine darauf künftig nicht verzichte, aber das wäre eine schwere Hürde bei der Abschaffung dieser Norm. „Denn die Novellierung der Verfassung ist ein viel, viel schwierigerer Prozess als die Novellierung eines üblichen Gesetzes.“ Zugleich hob der Experte hervor, dass es für Poroschenko um einen wichtigen Aspekt seiner PR-Kampagne im Vorfeld der für 2019 angesetzten Präsidentschaftswahl gehe.

Die Politologin Julia Kiritschenko sagte ihrerseits, es gebe an der Initiative des Staatschefs an sich nichts Schlimmes, „aber solche Veränderungen wären nur angesichts der Wünsche und Absichten des ukrainischen Volkes möglich“. Ein beträchtlicher Teil der ukrainischen Gesellschaft trete für die Nato-Mitgliedschaft und ein großer Teil dagegen auf. „Ohne eine umfassende Diskussion wäre eine Veränderung der Verfassung schädlich“, warnte Kiritschenko.

sputniknews


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