Hybridwaffe für Assad: Welche Aufgaben können S-300-Raketen in Syrien lösen?

  10 Oktober 2018    Gelesen: 917
Hybridwaffe für Assad: Welche Aufgaben können S-300-Raketen in Syrien lösen?

Ein wichtiges Ereignis in der vorigen Woche war die Übergabe von russischen Luftabwehrraketen S-300 an Syrien. Das vermeldete der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu.

Später veröffentlichte sein Ministerium ein Video, das zeigt, wie die Raketensysteme mit einem Riesenfrachtflugzeug An-124 zur russischen Luftwaffenbasis Hmeimim gebracht worden waren.

Die Reaktion Washingtons ließ nicht lange auf sich warten: Ende der Woche berichtete das US-Verteidigungsministerium, dass Israel in absehbarer Zeit mehrere Kampfjets fünfter Generation F-35 erhalten werde.

In Medien begann sofort eine heftige Diskussion über die Folgen der S-300-Lieferung an Damaskus. Einige Experten bewiesen, dass diese Raketen eine große Gefahr für die israelischen Luftstreitkräfte wären. Andere Kenner behaupteten, Israel würde die neuesten Raketenkomplexe der Assad-Truppen problemlos vernichten. Als eine Art Kompromiss galt die These, dass die Zahl, über die Syrien mit Stand heute verfügt, nicht ausreichend wäre.

Es ist allerdings nicht ganz klar, welche Modifikation der S-300-Raketen (PS, PM, PMU, PMU-2) Damaskus von Moskau erhalten hat. Schoigu erklärte nur, dass es sich um insgesamt 49 Kampfmaschinen und vier Startanlagen handele.

Welche Aufgaben könnten aber die S-300-Raketen erfüllen, über die die syrische Armee jetzt verfügt?

Mobile Abwehr

Die meisten Experten sind sich einig, dass diese Raketenzahl für Damaskus ausreichen wird, um die israelischen Luftschläge total abzuwehren. Und damit bleibt diese Gefahr weiterhin bestehen. Diese Experten können allerdings nicht erklären, wozu Damaskus es nötig hätte, sein ganzes Territorium vor den Israelis zu schützen.

Trotz zahlreicher Erklärungen von syrischen Medien und Offiziellen will Tel Aviv gar nicht alle wichtigen Objekte auf dem Territorium Syriens vernichten. Die Israelis folgen immerhin ihrer Strategie zur Bekämpfung der iranischen Kräfte im Nachbarland. Angegriffen werden Lager mit iranischen Waffen, Orte, wo sich iranische Militärberater aufhalten, und Positionen, wo iranische Drohnen und ballistische Raketen stationiert sein könnten.

Die iranischen Militärberater – und Waffen – befinden sich hauptsächlich im Norden Syriens, unweit von Latakia (bei Damaskus) sowie unweit vom Fliegerstützpunkt T-14. Dort liegt nämlich der so genannte „iranische Korridor“. Und eben dieses Gebiet greifen die Israelis an.

Früher, während der intensiven Kriegshandlungen in Syrien, versetzte Israel Luftschläge auch gegen die Positionen der Hisbollah. Aber inzwischen haben ihre Kämpfer das syrische Territorium verlassen. Und deshalb bleibt Israel nur innerhalb des „iranischen Korridors“ aktiv.

Man muss sagen, dass die israelischen Aufklärungskräfte nicht immer ganz genau bestätigen können, dass dieses oder jenes Objekt mit dem Iran verbunden ist. Und die militärpolitische Führung zieht es vor, aktiv vorzugehen – selbst wenn keine genauen Informationen vorhanden sind, stimmt sie Luftschlägen zu. Deshalb werden manchmal Fabriken, Wohnhäuser und Infrastrukturobjekte von den Schlägen getroffen. Es kommen friedliche Zivilisten ums Leben, und die syrische Wirtschaft muss Verluste tragen.

In dieser Situation besteht einer der größten Vorteile des S-300-Raketensystems in seiner hohen Mobilität.

So wurde beispielsweise in Russland unlängst die 25. mobile Fla-Raketenbrigade gebildet. Ihre Aufgabe ist, Militärobjekte auf dem Territorium der Teilrepublik Chakassien, der Region Krasnojarsk und anderer Regionen in Sibirien zu verteidigen. In ihrem Zuständigkeitsbereich liegt ein riesiger Raum von mehreren Tausenden Quadratkilometern. Ihre Raketendivisionen können über Dutzende oder Hunderte Kilometer transportiert werden. Und die Brigade ist ausgerechnet mit S-300-Raketen (und nicht mit den neuesten S-400-Raketen) ausgerüstet.

Und was Syrien angeht, so ist der „iranische Korridor“ mehrere Hunderte Kilometer breit. Deshalb können die syrischen Truppen die wichtigsten Objekte in diesem Raum mit mehreren S-300-Einheiten decken. Das würde mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Im Unterschied zu den Raketen S-75, S-125 und S-200 kann das S-300-Modell quasi „aus dem Stegreif“ eingesetzt werden – dafür sind keine im Voraus vorbereiteten Positionen nötig.

Notfalls könnten die Assad-Kräfte die S-300-Raketen in diese oder jene Region verlegen und dadurch die Konfiguration des Luftabwehrsystems korrigieren.  Das ist auch ein wichtiger Faktor im Kontext der Abwehr von israelischen Schlägen.

Und es gibt noch einen Moment, den die meisten Experten ignorieren. Russland überlässt Syrien nicht nur das Raketensystem selbst, sondern auch die automatisierten Systeme zur Luftabwehrlenkung.  Denn Syrien verfügt auch über russische Raketenkomplexe „Buk-M2“ und „Panzyr-S“, die es schon früher erhalten hatte.

Die Assad-Truppen haben bekanntlich Probleme mit der Ortung von Zielen, weil die Radarsysteme großer Reichweite, über die sie verfügen, veraltet sind. Aber jetzt können sie Informationen von russischen Radaren in Hmeimim und sogar von AWACS-Flugzeugen bekommen. Dadurch werden Syriens Möglichkeiten bei der Abwehr von Luftschlägen wesentlich größer.

Allerdings sagte Moskau nie direkt, dass es bereit wäre, solche Informationen Damaskus bereitzustellen. Es ging nur um Daten, mit deren Hilfe Zwischenfälle vermieden werden könnten.

Geheimnisvoller „Favorit“

Es ist vorerst nicht ganz klar, welche Raketensysteme Russland nach Syrien gebracht hat. Es wurde im Voraus verkündet, das wären Komplexe der Modifikation PMU-2 „Favorit“.

Laut verschiedenen Angaben geht es um zwei S-300-Regimenter  oder um ein verstärktes Regiment. Später wurde aus anonymen Quellen bekannt, dass Damaskus sogar mit moderneren Raketen S-300W rechnen dürfte

Zunächst ein paar Basisinformationen zur Organisationsstruktur der mit S-300-Raketen ausgerüsteten Truppenteile: Ein Raketensystem dieses Typs besteht aus einer Kommandostelle und drei Fla-Raketenkomplexen. Deshalb ist der Begriff „S-300-Raketensystem“ dem Begriff „Fla-Raketen-Regiment“ gleichzusetzen, und bei „Fla-Raketenkomplexen“ geht es um die Einheiten, die dem Regiment angehören. Deshalb sind die Begriffe „Fla-Raketensystem S-300“ und „Regiment S-300“ Synonyme.

Der Kommandostelle des Regiments gehört ein Radarsystem an, das für die Ortung von Objekten in allen Höhen bestimmt ist. Zudem gibt es auch einen speziellen Radar für Objekte in geringen Höhen. Außerdem gehört der Kommandostelle eine spezielle Lenkmaschine an, mit deren Hilfe der Kommandeur des Regiments das Gefecht leitet.

Das „Herz“ der Einheit (des Fla-Raketenkomplexes) S-300 ist die Mehrzweck-Radarstation. Sie ist für die Beleuchtung von Zielen und die Zuweisung von Fla-Raketen zuständig. Neben ihr gehören auch die Startanlagen der Einheit an.

Was für Waffen hat also Russland Syrien überlassen? Moskaus Vertreter sprachen in allen Interviews von einem Fla-Raketensystem, also von einem S-300-Regiment. Später berichtete Minister Schoigu über die Lieferung von 49 Kampfmaschinen. Diese Zahl unterscheidet sich etwas von der Standardzahl der einem Regiment angehörenden technischen Einheiten. Nicht ganz klar ist auch, warum Syrien nur vier Startanlagen überlassen wurden. Denn faktisch geht es dabei um nur ein Regiment (einen Fla-Raketenkomplex).

Bei PMU-2 handelt es sich um die Exportversion des Systems S-300PM2. Es gilt, dass es in Russland vor der Umrüstung zu S-400-Raketen nur ein Regiment gab, das mit S-300PM2-Raketen bestückt war. Alle Kampfmaschinen dieses Truppenteils wurden von null an hergestellt. Dieses Regiment ist im Gebiet Moskau stationiert und wurde noch nicht mit S-400-Raketen ausgestattet. (Solche Pläne gibt es allerdings.)

Auf dem Video der S-300-Ausladung in Syrien ist zu sehen, dass es dabei um die Radarstation der Version PM2 (PMU2) geht – das ist an der Form der Antenne bemerkbar. Aber die anderen Maschinen, die auf dem Video zu sehen sind, sind von einer anderen Modifikation – PM oder PS. Also was für ein geheimnisvolles System hat Syrien von Russland bekommen?

Noch in den frühen 2010er-Jahren hatte das russische Verteidigungsministerium gemeinsam mit der Korporation „Almas-Antej“ eine große Kampagne zur Modernisierung der Luftabwehrsysteme begonnen: Die Modifikation PM1 wurde in die modernere PM2 umgewandelt. Das erfolgte ziemlich einfach: In Rüstungsbetrieben wurden Multifunktions-Radare der Raketenkomplexe (Divisionen) und der Kommandostellen der Regimenter modernisiert. Und die Truppenteile selbst waren für die Vervollkommnung der Startanlagen zuständig, um modernere Raketen einsetzen zu können. Das erste solche „hybride“ Regiment gibt es in Russland seit 2015.

Aber inzwischen wurde festgestellt, dass eine solche Modernisierung den modernen Entwicklungstrends der Luftabwehr nicht entspricht. Denn die PM2-Modifizierung (geschweige denn die älteren Versionen) kann nicht mit der enorm wichtigen Luftabwehr-Komponente zusammenwirken: den Fla-Raketenkomplexen „Panzyr-S“.

Deshalb hat Syrien vermutlich gerade ein „hybrides“ S-300-Regiment bekommen.

Aber warum hat es nur vier Startanlagen erhalten? Auf diese Frage gibt es vorerst keine Antwort.

Wozu wäre Netanjahu bereit?

Nachdem Syrien die S-300-Raketen erhalten hat,  ist Israel auf Probleme bei Einsätzen im syrischen Himmel gestoßen. Seine Piloten hatten auch früher Schwierigkeiten mit den syrischen „Panzyr“- und „Buk“-Systemen. Diese Komplexe schossen sehr effizient israelische Marschflugkörper ab. Allerdings konnten die Syrer keine israelischen Kampfjets abschießen. Aber jetzt schweben auch ihre Flugzeuge F-15 und F-16 in Gefahr. Der Abschuss einer F-16 I Sufa, die von einer syrischen S-200-Rakete abgeschossen wurde, löste eine lokale politische Krise in Tel Aviv aus. Und was wäre, wenn gleich mehrere israelische Besatzungen sterben würden? Ob Netanjahu das in Kauf nehmen könnte?

Quelle : sputnik.de


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