Syrien: Warum die Milliarden der „Geberkonferenz“ scheinheilig sind

  15 März 2019    Gelesen: 398
  Syrien: Warum die Milliarden der „Geberkonferenz“ scheinheilig sind

Die EU benutzt humanitäre und Wiederaufbauhilfe für Syrien als Druckmittel, um die politischen Ziele, die sie im Krieg nicht erreicht hat – den Regime-Change –, umzusetzen. Statt die Sanktionen gegen das Land abzubauen, unter denen die Menschen laut UN leiden, wird mit Milliarden erneut eine falsche und verlogene Politik betrieben.

6,97 Milliarden US-Dollar (6,2 Milliarden Euro) sollen in diesem und im kommenden Jahr für notleidende Syrer ausgegeben werden. Das haben mehr als 50 Staaten am Ende einer dreitägigen sogenannten Geberkonferenz in Brüssel mitgeteilt. Rund 1000 Teilnehmer aus Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU) und anderen Staaten, von der Uno und aus der internationalen humanitären Hilfsbewegung nahmen an dem Treffen unter dem Motto „Die Zukunft von Syrien und der Region unterstützen“ teil.

Deutschland gehört zu den großzügigsten Gebern und versprach, bis zum Jahr 2022 weitere 1,44 Milliarden Euro zu bezahlen. Seit Beginn des Krieges in Syrien 2011 haben EU-Institutionen und Mitgliedsstaaten rund 17 Milliarden Euro für humanitäre Hilfe bezahlt. Deutschland trug mit 8,6 Milliarden Euro mehr als die Hälfte.

Geld nur für Flüchtlinge

So zynisch es klingt, aber das Prinzip von „Geberkonferenzen“ ähnelt einem Markttreiben. Staaten und internationale Finanzorganisationen stellen Geld – in Darlehen oder Krediten – für humanitäre Hilfe in Aussicht und bestimmen, wer es erhält und für was es ausgegeben werden soll. Die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen weisen ihrerseits auf die Not hin und bieten Projekte an, um die Not zu lindern.

11,7 Millionen Menschen in Syrien und 5,6 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern werden auf diese Weise mit Nahrungsmitteln und Medikamenten, Decken und warmen Jacken im Winter, Schulen und Krankenhäusern, Ärzten und medizinischem Personal, mit Planen, um die Flüchtlingsunterkünfte vor Regen- und Schneefällen zu schützen, versorgt. Es geht um Ausbildung in den Flüchtlingslagern, um die Behandlung von traumatisieren Kindern und Erwachsenen. Es geht um die Schulung in Medienkompetenz, um das Erlernen von guter Regierungsführung, um Workshops, in denen über die Menschenrechte aufgeklärt wird.

„Resilienz stärken“, heißt das neue Zauberwort: Menschen, Familien, Gemeinden sollen in ihrer Widerstandskraft gefördert werden. Sie sollen lernen, ihr Flüchtlingsdasein dort, wo sie sind, auszuhalten. Sie sollen nicht weiter in Richtung Europa wandern und – so die EU-Syrien-Strategie – sie sollen auch nicht aus den Lagern nach Syrien zurückkehren. Davor wird sogar gewarnt; und Unterstützung bei der Rückkehr gibt es auch nicht.

Heimkehr und Heimat werden nicht unterstützt

Dabei möchten viele Menschen zurück in ihre Heimat und zu Verwandten. Die bewaffneten Kämpfe haben deutlich nachgelassen. Zwei Drittel des Landes sind unter Kontrolle der syrischen Regierung, die für die Versorgung von etwa 18 Millionen Menschen verantwortlich ist. Die Strom- und Wasserversorgung wird repariert, Straßen und Brücken werden erneuert, Bauern erhalten günstige Kredite und Saatgut, um die Landwirtschaft anzukurbeln.

Es ist aber kein Geheimnis, dass Syrien nicht genug Geld hat, um den Aufbau des Landes zu finanzieren. Bis zu 400 Milliarden US-Dollar könnte der Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes nach Schätzungen kosten. Da wären die Milliarden der EU-Geberkonferenz natürlich willkommen. Zumal mit dem Geld in Syrien nachhaltig geholfen werden könnte. Anstatt Brot zu verteilen, würden Bäckereien instandgesetzt. Statt Wasser mit Tanklastern durchs Land zu fahren, würde die Wasserversorgung repariert. Und statt Nahrungsmittel oder Medikamente zu verteilen, könnten die Syrer ihre einst exzellente Lebensmittel- und Pharmaindustrie wiederaufbauen.

Und, so ein Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation in Damaskus gegenüber der Autorin: „Wir danken Frau Merkel für alles, was sie tut. Aber wenn Deutschland das Geld, das es für die Flüchtlingslager und für die Flüchtlinge ausgibt, nach Syrien geben würde, wäre das eine Win-Win-Situation für alle. Deutschland würde entlastet, die Menschen könnten zurückkehren und würden beim Wiederaufbau in ihrer Heimat unterstützt.“

Doch die Bundesregierung und die EU „konditionieren“ die Hilfe für Syrien, sie wird an Bedingungen geknüpft. „Straffreiheit der syrischen Führungspersonen“ werde „nicht akzeptiert“, so ein EU-Diplomat. Eine Normalisierung der Beziehungen zum „Regime in Damaskus“ komme nicht in Frage. Und Johannes Hahn, EU-Kommissar für Nachbarschaftspolitik erklärte: „Es kann keinen Regime Change über Nacht geben. Aber wir erwarten Zeichen für einen glaubwürdigen politischen Übergangsprozess. Unterstützung für den Wiederaufbau kann dabei ein Hebel sein.“

Hilfsgelder als politische Druckmittel für Regimewechsel

Die EU benutzt humanitäre und Wiederaufbauhilfe als Druckmittel, um die politischen Ziele, die sie im Krieg nicht erreicht hat – den Regime-Change –, umzusetzen. Druck auf Syrien wird schon seit 2011 mit EU-Wirtschafts- und US-Finanzsanktionen ausgeübt. Die Folgen dieser Sanktionen – die EU nennt sie „einseitige restriktive Maßnahmen“ – treffen jeden einzelnen Syrer und behindern selbst die humanitäre Hilfe, kritisieren Uno-Organisationen. Der UN-Sonderermittler für die humanitären Folgen der Sanktionen gegen Syrien, Idriss Jazairy, betonte in seinem Bericht von September 2018, die Sanktionen verschärften das Leiden der Zivilbevölkerung.

Angesichts dieser Auswirkungen wirkt die humanitäre Hilfe der EU scheinheilig. Wollte man den Syrern und der Region zu einer guten Zukunft verhelfen, müssten die Sanktionen aufgehoben werden. Dann könnten Syrien mit europäischen und anderen Ländern wieder normal Handel treiben, und der Wiederaufbau käme in Schwung. Ein besseres Leben ist die Voraussetzung, politische Veränderungen, neue Freiheiten und Teilhabe auch im Sinne der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 zu erreichen – von Syrern bestimmt, von Syrern durchgeführt. Gebraucht wird Kooperation, nicht Konfrontation. Wenn Europa auf Syrien nicht zugeht, werden das Land und die Region sich weiter abwenden. Russland, China, Iran und andere Staaten im Osten haben das längst verstanden.

sputniknews


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