Eine Geschichte von Krieg und Frieden

  21 Januar 2016    Gelesen: 778
Eine Geschichte von Krieg und Frieden
Immer sprechen wir vom Kämpfen, wenn es um das Immunsystem geht. Dabei ist die beste Abwehr etwas ganz anderes.
Von wegen aufrüsten! Unser Immunsystem sehnt sich nach Ruhe

Seit den Zeiten Robert Kochs pflegt die Medizin den Kriegsjargon. Koch prägte das Bild der Erreger als "feindliche Eindringlinge", die es zu bekämpfen galt. Diese Art der Metaphorik veränderte auch die Vorstellung vom Immunsystem. Auf einmal klassifizierten Mediziner die Bestandteile des Blutes nicht mehr nur nach ihrer Farbe oder Form, sondern anhand ihrer Rolle im Kampf gegen Krankheitserreger: Weiße Blutkörperchen wurden in Fress-, Helfer- und Killerzellen unterteilt, sie galten als "Truppen" unseres "Abwehrsystems".

Vielleicht haben sich diese Bilder durchgesetzt, weil sie intuitiv gut passen. In der Tat fühlt sich eine Infektion zuweilen an, als tobte ein Krieg im eigenen Leib. Die Soldaten, die dort zur Tat schreiten, sind allerdings keine kaltblütigen Killer, sondern harmoniebedürftig und sensibel. So tapfer diese Truppen auch kämpfen mögen, dauerhafter Stress setzt ihnen zu. Nur wenn wir ihnen Ruhe, Frieden und Geborgenheit schenken, können wir uns ihrer vollen Unterstützung gewiss sein.

Schon in den achtziger Jahren fand die Psychologin Janice Kiecolt-Glaser von der Ohio State University heraus, dass Stress besonders der Körperabwehr von Menschen zusetzt, die sich einsam fühlen. Die Forscherin und ihre Mitarbeiter befragten Studenten nach ihren Freundschaften und sonstigen sozialen Beziehungen. Dann nahmen sie jedem Befragten mehrmals Blut ab: vor, während und nach der Examensphase. In den "Prüfungsblutproben" fanden sie eine deutlich geringere Konzentration von T-Helferzellen als in den anderen Proben. Auch die Aktivität der natürlichen Killerzellen war messbar herabgesetzt. Dies war allerdings vor allem bei Studenten zu beobachten, die sich nicht ausreichend unterstützt fühlten – denen es also an Zuneigung mangelte.

Unklar war lange, woher der Körper eigentlich weiß, dass wir geliebt werden oder nicht. Reicht es, die Stimme der besten Freundin zu hören? Die Hand des Partners auf der Schulter zu spüren? Tatsächlich sind es vor allem Berührungen geliebter Menschen, die uns stärken. Das fand Sheldon Cohen von der Carnegie Mellon University in Pennsylvania heraus. Cohen ist Psychologe, man könnte auch sagen: Schnupfenpsychologe. Für eine Studie telefonierten er und seine Kollegen zwei Wochen lang täglich mit rund 400 Erwachsenen, um sich nach ihren sozialen Aktivitäten zu erkundigen. Hatten sie etwas mit der Familie oder Freunden unternommen? Hatte sie jemand in den Arm genommen? Nachdem die Forscher ihre Probanden derart ausgefragt hatten, muteten sie ihnen noch mehr zu: Sie verabreichten ihnen Nasentropfen, die Erkältungsviren enthielten. In den Tagen darauf beobachteten die Wissenschaftler ungerührt, wer sich erkältete und wie schnell. Dabei zeigte sich, dass vor allem jene krank wurden, die zuvor Konflikte und wenig Nähe erlebt hatten. Wer dagegen häufig in den Arm genommen worden war, schien geradezu immun gegen die Erreger. Fingen sich diese Probanden dennoch einen Schnupfen ein, war er harmloser und rascher vorbei als bei den anderen.

Welche physiologischen Prozesse eine Umarmung auslöst, ging aus dem Experiment nicht hervor. Cohen vermutet, dass jede "nicht sexuelle Berührung" als Symbol dient. Die Psyche interpretiert dies als Ausdruck von Mitgefühl, Fürsorge, Trost, sozialem Rückhalt und reagiert daher gelassener auf Stressoren. Zwischenmenschliche Nähe kann den Cortisolspiegel stabilisieren und so das Immunsystem schützen.

Auch Küsse kommen der Abwehr zugute – je feuchter, desto besser. Sie nähren das Mikrobiom, also die meist gutartigen Bakterien, die sich auf der Haut, der Mundschleimhaut und im Darm tummeln. Die winzigen Organismen sind gewissermaßen Grenzsoldaten: Sie versuchen, Erreger zu verdrängen, bevor sich diese ausbreiten. Fachleute vermuten, dass es dabei auf eine möglichst große Artenvielfalt ankommt. Und die steigt durch Küsse enorm: Bei einem zehnsekündigen Zungenkuss wandern rund 80 Millionen Bakterien von Mund zu Mund.

Die gute Nachricht für Singles: Die wohl wichtigste Basis für ein stabiles Immunsystem ist es, ausreichend zu schlafen, und das kann man ja auch allein. Schlaf wirkt Stress entgegen und begünstigt die Bildung von T-Helferzellen, die dafür zuständig sind, Viren und Bakterien als "Feinde" zu identifizieren. Zudem ist die nächtliche Ruhe essenziell für das immunologische Gedächtnis. Nach jedem siegreichen Feldzug merkt sich die Armee, mit welchen Waffen sie den Feind bezwungen hat. So kann sie beim nächsten Mal rascher und effizienter aufrüsten. Dieser Lernprozess funktioniert am besten nachts. So zeigen Studien, dass der Körper besonders viele Antikörper bildet, wenn man in der Nacht nach einer Impfung ausreichend schläft.

Auch die Gesellschaft von Bäumen stiftet Geborgenheit: Ein Waldspaziergang wirkt ebenfalls auf das Immunsystem. In Japan spricht man von Shinrin-yoku – "Waldbaden". Forscher aus der Millionenmetropole Tokio ließen Menschen drei Tage lang durch einen großen Forst wandern. Im Anschluss untersuchten sie Blut- und Urinwerte, mit erfreulichen Ergebnissen: Die natürlichen Killerzellen arbeiteten noch Wochen nach der Tour emsiger als zuvor. Ein Bad im Grünen scheint demnach Ähnliches zu bewirken wie zwischenmenschliche Nähe. Nur der biologische Mechanismus ist ein anderer: Die Forscher vermuten, dass Pflanzenstoffe unseren Immunzellen einheizen. Im Reagenzglas zeigte sich, dass Terpene, die Pflanzen zur Abwehr vor Schädlingen absondern, eine aktivierende Wirkung auf Killerzellen haben. Man könnte vielleicht sagen: Wenn man einen Baum umarmt, herzt der Baum auf seine Weise zurück – und zwar jede einzelne Immunzelle.


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