Kimia Alizadeh hat in Nürnberg ihre neue sportliche Heimat gefunden. Die Taekwondo-Kämpferin, die im Januar aus dem Iran geflüchtet war, trainiert seit einigen Tagen am Bundesstützpunkt in Franken. Das bestätigten die Deutsche Taekwondo-Union (DTU) und die Integrationsbeauftragte der Stadt Nürnberg, Andrea Ackermann, dem SPIEGEL.
"Kimia ist eine tolle Sportlerin. Sie hat hier in Stadt und Verein die besten Voraussetzungen, sich zu integrieren und ein neues Leben anzufangen", sagte Andrea Ackermann. Deswegen habe sie Alizadeh mit einem länderübergreifenden Umverteilungsauftrag von Hamburg nach Nürnberg geholt. Hier könne sie nun am Stützpunkt trainieren, während die Verfahren zum Flüchtlingsstatus liefen. Man versuche die 21-Jährige auch im Alltag zu unterstützen. "Das Wichtigste ist für sie erst einmal ein geschützter Raum und, dass sie etwas zur Ruhe kommen kann", sagte Ackermann.
Im Januar hatte Alizadeh, die Olympia-Dritte von Rio 2016, mit ihrer Flucht aus dem Iran weltweit Aufmerksamkeit erlangt. Auf Instagram schrieb sie, sie sei "eine von Millionen unterdrückter Frauen in Iran". Den Offiziellen warf sie Ausbeutung und Sexismus vor. "Ich habe mich gekleidet, wie sie wollten. Ich habe jeden Satz wiederholt, den sie angeordnet haben", schrieb sie damals. "Es geht nicht um mich, nicht um uns. Wir sind nur Werkzeuge."
Alizadeh hatte der iranischen Regierung als Vorzeigesportlerin gegolten. Bei ihrem Erfolg bei den Olympischen Spielen gratulierte man ihr, weil sie die Leistung als Frau des Regimes mit Kopftuch erbracht hatte. Dieses legte Alizadeh nach ihrer Flucht aus Protest nun ab. Seither erhält sie nach Angaben ihres Vereins und der Integrationsbeauftragten Nürnbergs, Andrea Ackermann, vor allem über die sozialen Medien Anfeindungen und Drohungen.
"Sie gilt jetzt als Staatsfeind. Sie kann nicht zurück", sagte Ackermann dem SPIEGEL. "Sie musste im Iran als Vorzeigefrau politische Aufgaben übernehmen, die sie nicht wollte. Sie möchte hier frei leben, ihren Sport machen." Die Schutzbedürftigkeit stehe für sie außer Frage, sagte Ackermann. Für die Anerkennung als Asylberechtigte und ein schnelles Einbürgerungsverfahren haben die Deutsche Taekwondo-Union und ihr neuer Verein an die Bayrische Regierung und das Bundesamt mit Verweis auf die sportliche Zukunft und ihre politische Rolle im Iran Empfehlungsschreiben abgegeben.
Zunächst müssen die Behörden allerdings klären, ob Deutschland für das Asylersuchen überhaupt zuständig ist. Alizadeh ist mit einem Visum über Spanien und die Niederlande nach Deutschland gereist. "Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss jetzt entscheiden, ob der Dublin-Fall greift - oder die humanitäre Klausel gilt und Deutschland den Fall damit an sich zieht", sagte Ackermann. Nach dem Dublin-Verfahren wäre Spanien zuständig.
Die Zeit der Entscheidung drängt für Alizadeh allerdings: Von ihr hängt ab, ob sie in den nächsten Monaten an Wettkämpfen teilnehmen kann - daran hängt unter anderen etwa eine mögliche Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio. Als anerkannte Geflüchtete könnte sie bei internationalen Turnieren eine Lizenz beantragen – aktuell wird ihre Teilnahme vom iranischen Verband blockiert. Das verhinderte am vergangenen Wochenende auch einen Start bei den German Open in Hamburg, wo Alizadeh nur als Zuschauerin dabei sein konnte.
Alizadeh hält sich zurzeit mit einem Schengen-Visum in Europa auf. Nachdem sie sich zunächst in Eindhoven und Hamburg aufgehalten hatte, lebt sie inzwischen mit ihrem Mann in Nürnberg. Sie hat einen Asylantrag gestellt und neben dem Training auch schon mit Sprachkursen für Deutsch und Englisch begonnen. Über ihre aktuelle Situation und die politischen Umstände möchte sie selbst im Moment nicht sprechen – zu groß sei die Angst vor Konsequenzen für sich selbst und ihre Familie, die sich weiter im Iran aufhält, heißt es aus ihrem Umfeld.
spiegel
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