„Die Zahlen im Maschinenbau in Berlin und Brandenburg sind für 2019 durchaus positiv“, sagte Oliver Köhn, Geschäftsführer des ostdeutschen Maschinenbauverbands VDMA Ost, im Studio-Interview mit Sputnik. „Wir haben ein moderates Wachstum von 2,6 Prozent: Das ist gar nicht so schlecht, damit können wir sehr zufrieden sein. Man muss allerdings festhalten, dass die Unternehmen von gut gefüllten Auftragsbüchern der vergangenen Monate und Jahre profitiert haben. So baute man im Jahr 2019 noch sogenannte Auftragsspitzen ab. Im Laufe des Jahres gingen dann allerdings die Auftragseingänge deutlich zurück.“
Der Geschäftsführer bekleidet dieses Amt seit Januar 2020, das er von Vorgänger Reinhard Pätz übernommen hatte, der „mich sehr gut eingearbeitet hat“, wie Köhn betonte. „Ich konnte die Übergabe mit dem langjährig erfahrenen Kollegen Reinhard Pätz gemeinsam gut vorbereiten. Dafür bin ich auch sehr dankbar.“
Sputnik führte zuletzt im Mai 2019 ein Interview mit Pätz, dem früheren Chef des Maschinenbau-Verbands VDMA Ost.
VDMA: „Größtes Industrie-Branchennetzwerk in Europa“
Laut Eigendarstellung ist der „Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau“ (VDMA) mit Sitz in Frankfurt/Main einer der bedeutendsten Verbandsdienstleister und unterhält das größte Branchennetzwerk der Investitionsgüterindustrie in Europa. Dem VDMA zufolge ist der Maschinenbau in Deutschland der größte industrielle Arbeitgeber mit mehr als eine Million Beschäftigten. Seine Regionalvertretung in Ostdeutschland, der VDMA Ost, versteht sich als Sprachrohr der Branche vor Ort.
Der Landesverband Ost unterstützt seine 350 Mitgliedsunternehmen, Werke und Niederlassungen in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt sowie Thüringen in allen Fragen rund um den Maschinen- und Anlagenbau. „Mit dieser umfassenden Unterstützung sind die Unternehmen optimal für den nationalen und internationalen Wettbewerb gerüstet“, heißt es auf der Website des ostdeutschen Maschinenbau-Verbands.
„Bei unseren Mitgliedsunternehmen decken wir die gesamte Bandbreite ab“, sagte Köhn im Sputnik-Gespräch. „Wir haben Unternehmen im Bereich der Medizintechnik. Wir haben im Verband ein größeres Unternehmen in Berlin – ‚GERB‘ – das Schwingungs-Isolatoren herstellt. Das ist einer dieser klassischen ‚Hidden Champions‘: Nicht so sehr bekannt, aber in der spezifischen Marktnische absoluter Weltmarktführer. Das Bild bei uns im Verband ist wirklich sehr heterogen mit einer großen Bandbreite an verschiedenen Maschinenbau-Unternehmen. Wir haben übrigens im alten West-Berlin eine sehr gewachsene Unternehmensstruktur und einen Maschinenbau, der sich über die ganzen Jahre dort etabliert hat und auch nach der Wiedervereinigung an Bedeutung gewonnen hat.“
Russland-Sanktionen: Große Herausforderung für Maschinenbau im Osten
Trotz der derzeit generell guten Zahlen gehen Aufträge für die Maschinenbauer im Osten Deutschlands derzeit wieder zurück. Der VDMA-Ost-Chef nannte mehrere Faktoren für diese Entwicklung. „Auf der einen Seite gibt es Handelskonflikte, beispielsweise zwischen den USA und China“, erläuterte Köhn. „Dort fallen Zölle an. Auch die Embargo-Thematiken – Stichwort Russland – wirken sich weiterhin aus.“ Er betonte mit Blick auf die Wirtschaftssanktionen des Westens gegen die russische Wirtschaft:
„Generell ist das ein bundespolitisches Thema. Wir als Landesverband Ost sehen das natürlich etwas differenzierter als unsere Kollegen in den alten Bundesländern, wo der Anteil des Russland-Geschäfts doch wesentlich geringer ist. Wir müssen aber auch der Wahrheit genüge tun und festhalten, dass die Umsatzzahlen mit Russland bereits vor dem Embargo rückläufig waren. Allerdings hat das Embargo diese Situation noch verschärft.“ Der VDMA Ost stehe auf folgendem Standpunkt: „Wir sagen, es ist an der Zeit, die Sanktionen auf den Prüfstand zu stellen. Ist das Embargo überhaupt ein geeignetes politisches Mittel? Hat es den gewünschten Effekt gebracht? Das würde ich infrage stellen. Insofern stehen wir auf der Seite der Sachsen zum Beispiel, die mit (Ministerpräsident, Anm. d. Red.) Michael Kretschmer voran versuchen, die Kontakte zu Russland aufrechtzuerhalten und weiter auszubauen. Es gibt Wirtschaftsdelegationen nach Russland, Messe-Beteiligungen und dergleichen.“
Maschinenbau in Berlin und Brandenburg im Vergleich: „Umsatzmarke geknackt“
„Die Berliner und Brandenburger Maschinenbau-Unternehmen haben 2019 ein gutes Ergebnis eingefahren“, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung des VDMA Ost, die der Redaktion vorliegt. „Trotz der abkühlenden Konjunktur und vielfältigen Handelshemmnisse steigerten sie ihren Umsatz.“
Berlin sei aber nicht mehr die ostdeutsche Export-Hochburg. „Brandenburger Betriebe steigern leicht die Vorjahresbilanz: Unser Verband rechnet auch für 2020 mit verhaltener Entwicklung. Sowohl in Berlin als auch in Brandenburg zeigte die Umsatzkurve im Vergleich zum Vorjahr nach oben. (…) Die schwierige Weltkonjunktur und die vielfältigen Handelshemmnisse haben im Jahresverlauf zu einem rückläufigen Auftragseingang geführt. Letztlich konnten die Maschinenbauer in der Hauptstadtregion aber ein gutes Ergebnis einfahren.“
Der Berliner Maschinenbau hat demnach 2019 „die Umsatzmarke von zwei Milliarden geknackt – im Vorjahr wurde diese knapp verfehlt. Die 36 Betriebe verkauften Maschinen, Anlagen und Komponenten im Wert von fast 2,1 Milliarden Euro – ein Plus von 2,6 Prozent beziehungsweise 52 Millionen Euro gegenüber 2018. Die 30 Brandenburger Maschinen- und Anlagenbauer steigerten ihren Gesamtumsatz um 3,2 Prozent beziehungsweise 19 Millionen Euro auf knapp 620 Millionen Euro. Das ist der zweithöchste Wert der vergangenen elf Jahre.“
Berlin: „Starker Anstieg der Binnennachfrage“
„Unterschiedlich entwickelten sich indes die Mitarbeiterzahlen und das Auslandsgeschäft“. Dies gehe aus veröffentlichten Daten des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg für Betriebe mit mindestens 50 Mitarbeitern hervor.
Die Berliner Industrie hat laut dem Verband seit den 1990er Jahren einen erheblichen Strukturwandel erfahren. Heute sei sie wieder gut aufgestellt, innovativ und international wettbewerbsfähig. Vor allem in den Wirtschaftszweigen Gesundheitswirtschaft, Mobilität und Energietechnik, Optik/Mikrosystemtechnik und Elektromobilität. Zudem zählen die Berliner Unternehmen zu den weltweit führenden in Herstellung und Service von Gas-Generatoren sowie von Turbomaschinen zur Energieerzeugung.
Die Betriebe im Berliner Maschinen- und Anlagebau erwirtschafteten 2019 einen Umsatz von über zwei Milliarden Euro. Stark gefragt seien die Produkte und Dienstleistungen bei ausländischen Kunden.
„Ausschlaggebend für den Umsatzanstieg der Berliner Unternehmen war die Binnennachfrage“, heißt es weiter. „Das Auslandsgeschäft hingegen stagnierte und lag wie 2018 bei reichlich 1,4 Milliarden Euro.“
Brandenburgs Maschinenbauer: 2019 mehr Jobs geschaffen
In Brandenburg waren demgegenüber „Inlands- und Auslandsgeschäft nahezu gleich verteilt“, so die Pressemitteilung. Fast unverändert sei die Beschäftigtenzahl der Branche in Berlin geblieben.
„Die Brandenburger Maschinenbauer dagegen erhöhten ihre Mitarbeiterzahl moderat. In den Firmen arbeiteten 2019 durchschnittlich 4244 Menschen. Das waren 1,3 Prozent beziehungsweise 53 Personen mehr als im Jahr zuvor.“
In Berlin „haben wir im Maschinenbau eine mehr oder weniger konstante Beschäftigtenzahl“, kommentierte Geschäftsführer Köhn. „Allerdings sehen wir dort auch, dass in Folge der Konjunkturdelle der Arbeitskräftemangel nicht mehr das alleinige Produktionshindernis ist.“ Unwägbarkeiten in der Weltwirtschaft haben laut ihm zur Folge, dass „wir in Berlin nicht über die Maßen hinaus einen Beschäftigtenwuchs hatten. In Brandenburg sieht das Bild anders aus: Dort haben wir steigende Beschäftigtenzahlen.“
Ausblick 2020 für Berlin und Brandenburg
Seine Prognose für den Maschinenbau in Berlin und Brandenburg:
„Wir gehen eher von einer Seitwärtsbewegung aus als von einem erneuten Wachstum. Sprich: Plus Minus Null. Mittlerweile müssten wir damit wohl schon zufrieden sein, so wie das erste Quartal 2020 angelaufen ist. Bei unseren früheren Prognosen hatten wir noch nicht den Einfluss vom Coronavirus mit einkalkuliert sowie ungelöste Handelsstreitigkeiten. Nach wie vor gibt es den Strukturwandel in der Automobilindustrie. Das ist ein Thema, das den ostdeutschen Maschinen- und Anlagenbau extrem beschäftigt, weil viele unserer Unternehmen in die Autoindustrie hineinliefern.“ Auch die drohende Rezession in der Weltwirtschaft und der „Teil-Ausfall“ Chinas durch das neue Virus habe Konsequenzen. „All das wirkt sich letztendlich auf das Investitionsgeschehen in unseren Mitgliedsunternehmen aus. Daher halten wir eine Seitwärtsbewegung für das wahrscheinlichste Szenario, weil sich das Thema Corona schon auf die Branche auswirkt: Stichwort Lieferketten und Produktion im Ausland.“
An die Landespolitik beider Länder appelliert der VDMA Ost, „in wichtigen Punkten wie Förder- und Ansiedlungspolitik oder Schulpolitik stärker zusammenzuarbeiten. Mit Blick auf den Kohleausstieg sei auch eine enge Kooperation Brandenburgs mit Sachsen unerlässlich.“
Trotz allem: „Ostdeutschlands Maschinenbau und Industrie sehr gut aufgestellt“
Ostdeutschland sei dennoch im Sektor Maschinenbau sehr gut aufgestellt.
„Unser Verband betreut sehr innovative, typische Mittelständler mit einem hohen Maß an eigener Forschungs- und Entwicklungstätigkeit. Insofern ist uns da auf Sicht nicht bange, was die Zukunft des ostdeutschen Anlagen- und Maschinenbaus angeht. Aber wir sehen natürlich schon auf den Weltmärkten geopolitische Verwerfungen, die uns da im Moment beschäftigen oder auch das Thema Coronavirus.“
„Riesige Aufträge“ für Mecklenburg – Sachsen: Spitzenreiter seit der DDR
„Wir haben rein statistisch gesehen den Effekt, dass Mecklenburg-Vorpommern tatsächlich der Export-Spitzenreiter bei den neuen Bundesländern im vergangenen Jahr war“, berichtete Köhn. „Das hat allerdings damit zu tun, dass dort sehr große Aufträge im Bereich des Schiffbaus und der maritimen Wirtschaft abgewickelt werden. Das heißt konkret: Ein großer Auftrag aus dem Ausland verzerrt dort das Bild in gewisser Weise.“ Dies sei dennoch „ein schöner Erfolg für Mecklenburg-Vorpommern“, lobte er.
„Der Maschinenbau war in der DDR traditionell in erster Linie in Sachsen zuhause. Dort ist der ostdeutsche Maschinenbau auch heute noch beheimatet. Sachsen ist nach Umsätzen und Zahl der Unternehmen mit Abstand der größte Maschinenbau-Markt im Osten“.
Thüringen stark in der Optik – Sachsen-Anhalts Trumpf: Schwermaschinenbau
„Mit deutlichem Rückstand folgt dann Thüringen. Auch hier haben wir wiederum besondere Teil-Branchen des Maschinenbaus, die im Fokus stehen. Vor allem in Bezug auf die optoelektronische Industrie.“ Damit bezog sich Köhn auf das weltweit renommierte Unternehmen „Carl Zeiss Jena“, das in der Optoelektronik unter anderem hochspezialisierte Linsen und Optik-Geräte für den Weltmarkt herstellt.
„Und wir haben in Sachsen-Anhalt den Schwermaschinenbau. Dazu gehört auch die Fördertechnik und der Kranbau.“
Wegen Covid-19: „Schwierige Situation“ im Anmarsch
Angesichts des momentan weltweit grassierenden Coronavirus (Covid-19) fällt Köhns Prognose für Ostdeutschlands Maschinenbauer für das laufende Jahr eher verhalten aus:
Im Moment rolle „eine schwierige Situation“ auf die ostdeutschen Betriebe im Maschinenbau zu. „Ich hatte vorhin im Ticker gesehen, dass die Hannover-Messe auch abgesagt wurde. Die verschobene Messe in Hannover als weltgrößte Industriemesse trifft uns schon“, gab er zu bedenken. „Das beschäftigt natürlich die Industrie, weil man darf nicht vergessen: Solch eine Messe dient nicht nur allein der Zurschaustellung der neuen Produkte und Dienstleistungen, sondern man hat dort auch immer eine Plattform für Vertragsabschlüsse, um ein echtes Geschäft zu generieren. Das fällt jetzt im Moment erstmal aus. Neuer Termin ist im Juli.“
Der VDMA hätte – wie auch in den Vorjahren – auf der jetzt verschobenen Hannover-Messe einen großen eigenen Informations-Stand gehabt. „Wir sind immer mit einem großen Bereich für Start-Ups (junge Unternehmen, Anm. d. Red.) auf der Messe vertreten.“
Wie VDMA-Ost seinen Unternehmen aktuell hilft
Angesichts steigender Covid-19-Erkrankungen in Deutschland gebe es derzeit auch in der Branche viele Spekulationen, wie es in der Weltwirtschaft nun weitergehe.
„Für die Branche wäre es elementar wichtig, dass man das Coronavirus unter Kontrolle bekommt. Dass also China wieder zur alltäglichen, normalisierten Produktion zurückkehrt. Viele chinesische Unternehmen sind aktuell entweder komplett geschlossen oder haben die Produktion stark zurückgefahren. Das hat ganz klare Auswirkungen auf globale Lieferketten. Wir wissen von Unternehmen aus unserem Verband, dass es dort zu Schwierigkeiten kommt bei der Versorgung mit bestimmten Bauteilen oder Komponenten oder kommen könnte. Aber: Je länger uns Corona beschäftigt, umso schwieriger wird es und je größer wird die Gefahr, dass wir unsere Umsatzprognosen zurücknehmen müssen.“
Der VDMA Ost könne allerdings momentan schon gegensteuern. „Das ist an dieser Stelle der Vorteil des ostdeutschen Maschinenbaus, eher kleinere Strukturen und mittelständische Unternehmen zu haben, häufig Inhaber geführt. Diese Betriebe verfügen noch über weitreichende Kontakte, mit denen auch Lieferausfälle aus China aufgefangen und ausgeglichen werden können. Sie können auch flexibler reagieren als große Konzerne. Das sehe ich eher als einen Vorteil für unsere Unternehmen, die im Moment dabei sind zu eruieren, wer könnte da jetzt in die Bresche springen und diese Lieferung übernehmen, wer kommt als Ersatz-Lieferant in Frage?“
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