Italien ist mit mehr als 130 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt bekanntlich hochverschuldet. In Zeiten der Corona-Pandemie, die das Land besonders stark getroffen hat, sorgen sich deshalb viele um den Staatshaushalt Roms und damit auch um den Zusammenhalt in der Europäischen Union.
„Dass eine italienische Schuldenkrise vermieden wird, liegt auch im Interesse der gesamten Euro-Zone“, heißt es in einem Kommentar der italienischen Zeitung „La Republica“ am Samstag. Die Länder der Euro-Zone hätten die Wahl zwischen einem „ungeordneten Ital-Exit mit möglicher Implosion der gemeinsamen Währung oder einer fortwährenden Monetarisierung der italienischen Schulden“.
Doch manche Stimmen in Deutschland bestreiten gar, dass Italien auf europäische Investitionen angewiesen ist. Zu diesen Stimmen gehört Friedrich Merz (CDU), einer der Anwärter auf die Kanzlerkandidatur. Er hat sich mit scharfer Kritik an den Eurobonds-Forderungen Italiens zu Wort gemeldet. Italien wolle von der Europäischen Union bereitgestellte Hilfen bislang nicht annehmen, twitterte Merz. „Das zeigt doch: Italien hat keinen akuten Finanzierungsbedarf, sondern versucht im Windschatten von Corona zu unbegrenzten Finanzierungsmöglichkeiten für seinen Staatshaushalt zu kommen.“
Italienhass in Deutschland?
Als „vollkommen unsinnig“ kritisiert die Aussage des CDU-Politikers der Volkswirt Heiner Flassbeck im Sputnik-Interview und wundert sich:
„Wo kommt dieser Italienhass in Deutschland her? Wir werden erleben, dass wir es ganz bitter bereuen. Es steht unendlich viel auf dem Spiel – ganz Europa und die Europäische Währungsunion. Wenn in Italien nach den nächsten Wahlen Mateo Salvini siegt, dann ist Europa sowieso am Ende. Darauf legen wir es offensichtlich an. Diese Leute, die ohne jede Verantwortung solches Zeug von sich geben, die müssen wir dann zur Rechnung bitten.“
Heiner Flassbeck ist Honorar-Professor an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik. Er war von 1998 bis 1999 Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen unter Oskar Lafontaine und von Januar 2003 bis Ende 2012 Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf.
Italien würde zurecht sagen, dass sie keine Gelder haben wollen, die an Bedingungen geknüpft seien, ist Flassbeck überzeugt. „Jeder Staat muss das machen, was er für vernünftig und richtig hält - nur der Staat und sonst niemand“, so der Finanzexperte.
Politik und Wirtschaft suchen seit Wochen nach einer europäischen Lösung für das hochverschuldete Land, um eben eine drohende Schuldenkrise und die EU-Skeptiker zu besänftigen, deren Anzahl seit dem Beginn der Krise stetig wächst. Gestritten wurde dabei heftig unter anderem über mögliche Lösungsansätze, mit Staatsanleihen durch sogenannte Corona-Bonds auf der einen und Vergabe von Krediten durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus auf der anderen Seite. Doch dieser Streit scheint zunächst vom Tisch zu sein.
„Debatte um Corona-Bonds zunächst überflüssig“
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat klargestellt, dass sie Italien und anderen von der Lungenkrankheit Covid-19 geplagten Ländern mit weitreichenden Mitteln zur Seite stehen will. Eine Schicksalsgemeinschaft sei Europa und für Deutschland zugleich Staatsräson. „Das ist kein Stoff für Sonntagsreden, sondern das ist ganz praktisch“, sagte Merkel letzte Woche vor dem EU-Gipfel.
Die Staats- und Regierungschefs beschlossen dort wie erwartet ein erstes 500-Milliarden-Euro-Paket mit Kredithilfen und die Gründung eines sogenannten „Recovery Funds“ für die wirtschaftliche Erholung. Merkel lobte danach den „Geist der Zusammenarbeit“ der 27 Staaten. Allerdings sind bei dem geplanten Fonds weiter alle Details offen, und nicht nur Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erwartet noch harte Verhandlungen.
Die Lösung durch sogenannte Corona-Bonds ist nun auch nach Meinung Flassbecks zunächst überflüssig. Denn die Lage habe sich entspannt, weil auch der Zins in Italien gesunken sei, erklärt Flassbeck. „Der Spread (die Differenz zwischen zwei Zinssätzen - Anm. d. Red.) zwischen Deutschland und Italien ist zwar noch vorhanden, aber ist nicht mehr so hoch, dass Italien keine Mittel aufnehmen könnte. Und nach allem, was man sieht, wird die Europäische Zentralbank (EZB) verhindern, dass dieser Spread noch einmal ansteigt“, sagt der Ökonom.
Die beschlossenen Ankäufe der Staatsanleihen von kriselnden EU-Mitgliedsstaaten durch die EZB seien seiner Ansicht nach von Anfang an das einfachste Mittel gewesen. „Nur diese Hilfe ist umstritten und es ist nicht klar, ob die EZB es weiterhin tut, weil sie sich dazu nie fest verpflichtet hat. Und sie hat sich dazu nicht verpflichtet, weil im Maastricht Vertrag immer noch steht, man darf den Staaten gar keine Hilfe leisten.“
„Maastricht Vertrag ändern“
Das juristische Argument führte auch Merz angesichts der Debatte um die Corona-Bonds an: Diese würden nicht den vertraglichen Bestimmungen des EU-Vertrages entsprechen – „auch nicht dem, was in Deutschland das Bundesverfassungsgericht mehrfach entschieden hat“, verteidigte sich Merz. „Man kann darüber diskutieren, ob man sie haben will oder nicht. Wenn wir heute der Meinung wären, wir sollten sie haben, dann muss dazu der EU-Vertrag geändert werden. Das ist ein jahrelanger Prozess“, so der Christdemokrat.
„Das mag Jahre dauern, aber das liegt vor allem an Deutschland, dass es Jahre dauert“, bemängelt der ehemalige Staatssekretär. „Wenn die drei kritischen Länder – Österreich, Niederlande und Deutschland – begreifen würden, was da auf dem Spiel steht, nämlich, dass das ganze Gebilde auseinanderfällt, dann würden sie sehr schnell handeln. Aber sie stellen sich stur, weil sie einfach noch nicht genug Druck von den Südländern bekommen haben.“
Flassbeck vermutet aber einen Sinneswandel nach der Krise, was sich bereits jetzt andeuten soll. Er fordert: Der Maastricht Vertrag müsse schnell geändert werden. Das sei das einzig Vernünftige.
„Der Maastricht Vertrag muss so angepasst werden, dass dieser Artikel über das Verbot der Finanzierung von Staaten gestrichen wird. Die EZB finanziert ja jetzt schon die Staaten indirekt über den Kapitalmarkt. Aber die Bank of England hat beispielsweise klar gesagt, sie finanziert den Staat in dieser Krise direkt. Die amerikanische Zentralbank (FED) macht es auch indirekt über die Kapitalmärkte. Alle Zentralbanken finanzieren die Staaten in dieser Notlage. Und da ist es völlig lächerlich, dass in Europa solche Verrenkungen gemacht werden.“
Es müsse in Europa klar sein, dass die EZB für jeden einzelnen Mitgliedsstaat da ist: „Sie ist die Zentralbank eines jeden einzelnen Staates und nicht ein darüber schwebendes Gebilde, das mit den einzelnen Staaten eigentlich nichts zu tun hat“, betont der Wirtschaftsforscher.
EU-Kommission gefragt
Nach dem EU-Gipfel werden unter Hochdruck Wege gesucht, weitere Billionensummen für den Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft nach der Corona-Krise aufzubringen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz sagte zwar am Freitag, nach der Zustimmung der Staats- und Regierungschefs zu einem ersten 500-Milliarden-Euro-Paket habe man die notwendige Zeit, eine Lösung zu entwickeln. Nicht nur Italien mahnt aber zur Eile, um das Geld rasch verfügbar zu haben.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und die anderen EU-Staats- und Regierungschefs haben am Donnerstag ein bereits verabredetes Paket mit Kredithilfen im Umfang von bis zu 540 Milliarden Euro gebilligt und zusätzlich die Gründung eines Wiederaufbaufonds vereinbart, über den noch einmal 1000 Milliarden Euro oder mehr verteilt werden sollen.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen soll nun nach dem EU-Gipfel ein konsensfähiges Modell ausarbeiten. Ihr Vizepräsident Valdis Dombrovskis sagte am Freitag in einer Veranstaltung der Agentur „Bloomberg“, die zusätzliche Summe werde eher bei 1,5 als bei einer Billion Euro liegen. Die EU-Kommission plane derzeit, ihre Vorschläge am 6. Mai vorzustellen.
sputniknews
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