Das moralische Imperativ der Pastorentochter Angela

  02 September 2020    Gelesen: 596
  Das moralische Imperativ der Pastorentochter Angela

Pastorentochter Angela hat einfach nicht anders gekonnt: Als christlich erzogene Zeitgenossin hat sie sich moralisch gezwungen gesehen, den notleidenden Menschen ihre Hand zu reichen. „Wir schaffen das“, erklärte sie am 31. August 2015 im Namen der ganzen Nation – mehr noch: im Namen von ganz Europa. Sie hätte wohl nur für sich sprechen sollen.

„Deutschland stilisierte die Migration zu einer moralischen Frage“, schrieb Erik Gujer, Chefredakteur der „Neuen Züricher Zeitung“.  „Der Rest Europas hingegen stellt die nationalen Interessen in den Vordergrund. Niemand hatte deshalb nur die geringste Lust, den Moralaposteln zu folgen.“

Da ist sicherlich einiges dran. Berechtigt ist insofern die Frage, warum der ikonische Satz „Wir schaffen das“ nicht aus Paris, London oder Rom kam. Hatte das etwa rein geografische Gründe? Und warum hatten die Millionen Flüchtlinge von Anfang an ausgerechnet Deutschland als ihr Ziel im Kopf? Warum haben sie "Merkel! Merkel!" gerufen?

Bereits zu Beginn der Flüchtlingskrise hatte der Historiker Heinrich-August Winkler auf den nicht ungefährlichen Hintergrund der großen Geste der deutschen Bundeskanzlerin hingewiesen: „Zur deutschen Verantwortung gehört, dass wir uns von der moralischen Selbstüberschätzung verabschieden, die vor allem sich besonders fortschrittlich dünkende Deutsche aller Welt vor Augen geführt haben“, schrieb er am 30. September 2015 in der „FAZ“. „Der Glaube, wir seien berufen, gegebenenfalls auch im Alleingang weltweit das Gute zu verwirklichen, ist ein Irrglaube, der nicht zu unserer Lebenslüge werden darf.“

Deutschlands „Willkommenskultur“ hat ihre Grenzen

Bald genug war zu sehen, dass sich bei weitem nicht alle Deutschen – und noch weniger Europäer - mit Merkels „Wir“ assoziieren, die „das“ schaffen sollten. Dem anfänglichen Applaus auf dem Münchener Bahnhof für die eintreffenden Flüchtlinge folgten Brandanschläge gegen Flüchtlingsheime. Bald genug stellte sich auch heraus, dass bei weitem nicht alle Geflüchteten mit der Idealvorstellung der altruistisch eingestellten Bundesbürger im Einklang stehen. Recht schnell – aber zu spät - muss auch die Bundeskanzlerin erkannt haben, dass die „Willkommenskultur“ ihrer Landsleute ihre Grenzen hat, von den wirtschaftlichen Kapazitäten des mächtigsten Landes Europas ganz zu schweigen.

Vordergründig geht es dabei nicht um den wirtschaftlichen Aspekt: Das Ausmaß von Akzeptanz und Toleranz, die eine solche Herausforderung voraussetzt und den die Deutschen als Gesellschaft in den zurückliegenden fünf Jahren an den Tag gelegt haben, ist wirklich beachtlich und im europäischen Vergleich wohl auch einmalig. Sicherlich hatten die Jahrzehnte der Vergangenheitsbewältigung eine spürbare Rolle gespielt – die ja in West- und in Ostdeutschland bekanntlich unterschiedlich verstanden und praktiziert wurde.

Wie die „humanitäre Verantwortung“ Deutschland spaltete

Liegt in dieser Unterschiedlichkeit auch eine Erklärung dafür, dass die Bürgerbewegung „Pegida“ ausgerechnet im ostdeutschen Dresden entstanden ist und dass die AfD in den „neuen Bundesländern“ besonders stark abschneidet? Fakt ist, dass Deutschland infolge der von Merkel postulierten „humanitären Verantwortung“ – nach dem mühevollen und schmerzhaften Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten – wieder eine schier irreparable Spaltung erlebt hat. „Die Wahrheit ist wohl, dass Deutschland in den harten Auseinandersetzungen darüber, ob es richtig oder falsch war, die Grenzen für die Geflüchteten offen zu lassen, auseinanderfiel. In einzelne Gruppen, in sich hart bekämpfende Echoräume, in sich unerbittlich gegenüberstehende Meinungsmacher“, schrieb die Wochenzeitung „Die Zeit“.

Apropos „Echoräume“ und „Meinungsmacher“: Der Konflikt hat sich überaus spürbar auf die Berichterstattung, in erster Linie auf die „etablierten“ Medien ausgewirkt. Einmal mehr mussten viele Bundesbürger feststellen, dass diese Medien alles andere als unparteiisch sind. „Große Teile der Journalisten haben ihre Berufsrolle verkannt und die aufklärerische Funktion ihrer Medien vernachlässigt“, hieß es bereits 2017 in einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung.

„Statt als neutrale Beobachter die Politik und deren Vollzugsorgane kritisch zu begleiten und nachzufragen, übernahm der Informationsjournalismus die Sicht, auch die Losungen der politischen Elite. Die Befunde belegen die große Entfremdung, die zwischen dem etablierten Journalismus und Teile der Bevölkerung entstanden ist.“

Ein ziemlich bedenklicher Prozess – eben auch in moralischer Hinsicht.

„Flüchtende“ vs. „Migranten“

Auch am Vokabular der jeweils Sprechenden bzw. Schreibenden erkennt man mittlerweile, wer Merkels Flüchtlingspolitik unterstützt oder zumindest akzeptiert und wer diese ablehnt. „Die Einstellung zur Flüchtlingsfrage wurde zum Lackmustest für die zivile Gesinnung – und zum spaltenden Faktor“, stellte die „Neue Züricher Zeitung“ kürzlich fest. „Wer Merkels Position die Treue hält, spricht mittlerweile von Flüchtenden oder Schutzsuchenden; wer seine Skepsis bestätigt sieht, eher von Migranten, legal oder illegal eingereisten.“

„Eines hat Angela Merkel geschafft: Sie hat mit ihrer Entscheidung unser Land verändert, das heute tiefer gespalten ist als je zuvor, ökonomisch, sozial, kulturell“, meinte die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht.

„Sie hat es geschafft, dass eine Partei wie die AfD Oppositionsführer werden konnte. Dass der Umgang miteinander ruppiger und intoleranter geworden ist.“

Bemerkenswert: Wagenknecht sprach in ihrem Standpunkt zum legendären Satz der Bundeskanzlerin nicht von einem "wir", sondern von Angela Merkel. Soll das heißen, dass nur Merkel und nicht „wir“ versagt haben? Jedenfalls belegen ziemlich alle bisherigen Umfragen zum Thema Flüchtlingspolitik, dass etwa die Hälfte der Deutschen das moralische Imperativ der Pastorentochter in dieser Frage wohl nicht teilt.

sputniknews


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