Nach einem jahrelangen Auswahlverfahren steht die künftige Bewaffnung der deutschen Soldaten praktisch fest. Die Thüringer Waffenschmiede C.G. Haenel soll das neue Sturmgewehr liefern. Das ist eine Überraschung. C.G. Haenel war als Außenseiter in das Bieterverfahren gestartet.
Die Spitzen des Verteidigungsministeriums informierten am Montag die Obleute des Verteidigungsausschusses über das Ergebnis von Tests und Prüfserien, die unter Führung des Beschaffungsamtes (BAAINBw) liefen. Die Waffe von Haenel habe sich in den Tests als technisch etwas besser erwiesen, zugleich auch im Angebot "wirtschaftlicher", hieß es am Montag.
Am Dienstag teilte das Verteidigungsministerium mit, die Entscheidung der Vergabestelle sei "vorbehaltlich der parlamentarischen Billigung". Dafür würden derzeit Unterlagen vorbereitet. Ziel sei es, dass sich das Parlament Ende 2020 mit dem Thema befasse.
Das Verteidigungsministerium hatte den Nachfolger für das G36 des Herstellers Heckler & Koch 2017 ausgeschrieben. Bei dem Großauftrag geht es um 120.000 Sturmgewehre. Die erste Ausschreibung war auf eine Viertelmilliarde Euro ausgelegt – über die Jahre dürfte zu dieser Summer noch etwas hinzukommen. Haenel hat eine Version des MK556 (Kaliber 5,56mm) angeboten. Die Waffe ist in der halbautomatischen Version als CR223 unter anderem bei der Polizei in Sachsen im Einsatz.
Verbitterte Nachricht an Entscheidungsträger in Berlin
Bei Heckler & Koch aus Oberndorf ist der Frust nach der Entscheidung groß. Mehrheitsgesellschafter Andreas Heeschen verschickte nach SPIEGEL-Informationen noch am Montagabend eine regelrecht verbitterte Mitteilung an führende Mitarbeiter und politische Entscheidungsträger in Berlin. Die kurze Nachricht deutet an, dass HK die Entscheidung für den Konkurrenten Haenel vor Gericht anzweifeln wird.
So beschreibt Heeschen zerknirscht, dass "das Bundesministerium der Verteidigung Heckler und Koch nach rund 60 Jahren den Zuschlag für die Lieferung des zukünftigen Sturmgewehres der Bundeswehr verweigern wird". Als Mehrheitseigentümer, schreibt Heeschen weiter, "bedauere ich diese Entwicklung zutiefst".
Grundsätzlich könnte Heckler & Koch die Auswahlentscheidung vor der Vergabekammer des Bundes noch anzweifeln. In den nächsten zwei Wochen muss der Hersteller laut der gesetzlichen Frist entscheiden, ob er diesen Schritt geht. Mit einer Prüfung der Ausschreibung vor der Vergabekammer könnte Heckler & Koch den Prozess zumindest massiv verzögern. In der Regel dauern die Verfahren vor der Kammer recht lange, das Ministerium kennt das schon aus anderen großen Rüstungsprojekten.
Auch die Opposition will sich die Auswahl von Haenel genau ansehen. "Natürlich werden wir uns im Haushaltsausschuss sehr genau anschauen, wie diese Entscheidung zustande gekommen ist", sagte Verteidigungspolitiker Tobias Lindner (Grüne) dem SPIEGEL. Er erwarte, dass das Ministerium alle Kriterien der Auswahlentscheidung transparent macht.
Heckler & Koch hatte den Vergabeprozess kritisiert
Heckler & Koch ist Hersteller des aktuellen Sturmgewehrs G36. Über dieses hatte es in den vergangenen Jahren Streit gegeben, der sich um die Treffgenauigkeit unter Extrembedingungen drehte - dem hochintensiven Feuerkampf mit langen Schussfolgen oder auch unter extremen klimatischen Bedingungen. Die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen verkündete 2015, "dass das G36, so wie es heute konstruiert ist, keine Zukunft in der Bundeswehr hat".
Im vergangenen Jahr hatte Heckler & Koch mitten im laufenden Vergabeprozess das Ministerium kritisiert und in einem Schreiben an von der Leyen eine Festlegung auf ein größeres Kaliber gefordert. Bemängelt wurde dabei auch, es gebe keine faire und sachkundige Auswahl für das G36-Nachfolgemodell.
Das Zusammenspiel von Gewicht, Lauflänge, Munition und Treffleistung ist bei Waffen technisch komplex. Das Kaliber der Munition bedingt Durchschlagskraft, aber begrenzt auch, wie viel Schuss am Mann mitgeführt werden können - des Gewichts wegen.
Waffenschmiede Haenel gehört einer Holding aus den Vereinigten Arabischen Emiraten
Nur ist in der Ausschreibung kein Kaliber der Waffe festgelegt, allerdings ein Gewicht. Die Bundeswehr forderte in der Ausschreibung zudem ein Gewehr, das für alle Klimazonen geeignet ist. Verlangt wurde außerdem ausreichend Feuerkraft, um den Feind vorübergehend niederhalten zu können, also in die Deckung zu zwingen.
Haenel liefert der Bundeswehr bereits ein Scharfschützengewehr. Das Unternehmen gehört zur Merkel Gruppe, die Teil der Tawazun Holding (Vereinigte Arabische Emirate) ist. Dass das heutige Unternehmen von arabischem Geld abhängig sein könnte, störte bei der Entscheidung offenkundig nicht. Im Jahr 2008 hatte C.G. Haenel den Betrieb als Neugründung wieder aufgenommen. Der einstige Gründer und Namensgeber Carl Gottlieb Haenel hatte von 1840 an die industrielle Waffenfertigung in Suhl etabliert.
Ein dritter Bieter - Sig Sauer aus Eckernförde - hatte sich noch aus der laufenden Ausschreibung zurückgezogen. Sig Sauer beklagte dabei eine Ungleichbehandlung und machte dies auch am beschränkten Zugang zu Testmunition fest, über die Heckler & Koch wegen anderer Lieferbeziehungen verfüge und daraus Vorteil ziehen könne.
spiegel
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