Habeck schwächelt, Baerbock punktet

  15 September 2020    Gelesen: 756
Habeck schwächelt, Baerbock punktet

Baerbock oder Habeck? Wer wird Kanzlerkandidat der Grünen? Es wird Zeit, die Karten im Machtpoker offenzulegen. Denn die Trümpfe wechseln gerade auf erstaunliche Weise.

Grünen-Chef Robert Habeck schien zu Jahresbeginn gefühlt schon auf dem Weg ins Kanzleramt. In der K-Frage der Grünen hatte er alle Trümpfe in der Hand. Umfragen sahen ihn bis in den Sommer als möglichen Kanzlerkandidaten klar vor seiner Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock. Er wirkte wie der Erfahrene neben der Streberin; er verfügte - anders als sie - bereits über Regierungserfahrung. Zudem hatte er ihr zwölf Jahre Altersvorsprung und jede Menge Charisma voraus. Er kam wie eine Mischung aus George Clooney und Heinrich Böll auf die Bühne der deutschen Politik und faszinierte emotional, wo sie nur sachlich überzeugen wollte.

Doch nun kippt die Stimmung bei den Grünen. Ein Selbstläufer wird die Kandidatur nicht mehr. Habeck verliert Sympathie- und Kompetenzpunkte in den Umfragen, seine politisch-mediale Präsenz schwächelt mächtig, Baerbock hingegen kann punkten. Die "Berliner Zeitung" sieht sie bereits als Kanzlerkandidatin. Auch der "Tagesspiegel" wähnt sie plötzlich "im Vorteil". Viele Grüne glaubten, Baerbock sei "die bessere Kanzlerkandidatin". Im Deutschlandfunk ist zu hören: "Eigentlich kann es nur Annalena werden". Selbst in Österreich beobachtet "Der Standard" erstaunt: "Annalena Baerbock gilt als wahrer Kopf der deutschen Ökopartei".

Der Stimmungswechsel zugunsten von Baerbock hat zwei Ursachen. Zum einen rührt er daher, dass sie in aller Regel gut vorbereitet und sachkundig auftritt, wo er schon mal schwadroniert und peinliche Wissenslücken offenbart. Sie wirkt diszipliniert professionell, während er zuweilen Opfer seines spielerischen Naturells oder seiner philosophischen Abgehobenheit wird. Habeck kann politische Gegner wie ein knisternder Kamin zu schierer Asche nieder schwadronieren, er kann sich aber auch selber dabei verbrennen. Das passiert Annalena Baerbock nicht. Habeck weiß - wie die Öffentlichkeit erstaunt beobachten konnte - weder wie die Pendlerpauschale noch wie das Bafin genau funktioniert, Baerbock sehr wohl. Habeck wünscht sich schon mal, dass Bayern oder Thüringen endlich richtige Demokratien werden, Baerbock weiß, dass sie es bereits sind. Kurzum: Habeck schrumpft zusehends in die Rolle des smarten Blenders, Baerbock hingegen gewinnt die Statur einer zupackenden Kompetenzträgerin. Just diese Qualität wird in der Corona-Krise verstärkt geschätzt.

Der zweite Grund für den Stimmungswechsel zugunsten Baerbocks liegt in der veränderten Konstellation der deutschen Politik. Die politischen Lager formieren sich mit Blick auf das Wahljahr 2021 - und überall übernehmen wieder Männer das Ruder. Die SPD hat Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten ausgerufen. In der Union wird auf Angela Merkel ebenfalls ein Mann folgen - Markus Söder, Armin Laschet oder Friedrich Merz. Zusammen mit Christian Linder von der FDP formiert sich also ein reiner Männerclub der Spitzenkandidaten. Damit würde Robert Habeck nur einer mehr von der gleichen Sorte "alter, weißer Männer" (wie man bei Grünen gerne lästert) wirken, sachlich schlechter präpariert zumal. Baerbock hingegen wäre plötzlich ein weibliches Alleinstellungsmerkmal für die Grünen - nicht nur genderseitig, auch generationell.

Hinzu kommt, dass Baerbock über gute Kontakte in die SPD verfügt, sich mit ihr die machtpolitischen Optionen Ampel-Koalition und Rot-Rot-Grün eher verbinden als mit Habeck. "Habeck wirkt wie der schwarz-grüne Jamaika-Teddybär von gestern, während sie wie die links-innovative Machtwillige von morgen daherkommt", analysiert ein Präsidiumsmitglied der SPD, wo man sich mit Habeck bessere Chancen ausrechnet als mit ihr.

Bei der nun anstehenden Personaldebatte der Grünen wird auch deutlich, dass Habecks scheinbarer Vorteil der Regierungserfahrung in Wahrheit ein Nachteil ist. Denn regiert hat Habeck bislang nur im kleinen Schleswig-Holstein - er hat das Bundesland politisch nie verlassen. Die Berliner Politik kennt er darum nicht wirklich. Er hatte noch nie ein Bundestagsmandat, sie hingegen ist seit 2013 schon mitten im Berliner Betrieb verankert.

Und so spricht manches Argument plötzlich mehr für sie als für ihn. Auch der Rückhalt in der eigenen Partei. Ein Indiz dafür gab schon der Grünen-Parteitag im November 2019, als sich beide zur Wiederwahl stellten: Er bekam 90,4 Prozent Zustimmung, sie aber mit 97,1 Prozent deutlich mehr.

Quelle: ntv.de


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