Diese Frage treibt vor allem werdende Eltern um, wenn ihr Kind per Kaiserschnitt, auch Sectio genannt, zur Welt kommen soll oder muss. In einigen Ländern wie Großbritannien helfen sie daher nach: Sie platzieren einen Tupfer in der Scheide der Mutter und reiben damit das Baby ein. "Vaginal seeding" wird das Verfahren genannt, das Säen von Vaginalkeimen.
"Die Idee ist gut und wichtig"
Was wenig appetitlich und nach verzweifelten Optimierungsversuchen überbesorgter werdender Eltern klingt, ist bereits Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Denn bekannt ist, dass die mikrobiotische Zusammensetzung der Mundschleimhaut und des Darms natürlich geborener Babys auch Wochen nach der Geburt noch der Vaginalflora der Mutter ähnelt.
Bei Sectio-Kindern hingegen überwiegen Hautbakterien. In zahlreichen Studien belegt ist außerdem, dass Kaiserschnitt-Babys im späteren Leben ein höheres Risiko haben für Allergien, Asthma, Diabetes Typ I und andere Autoimmunkrankheiten.
Die Frage ist nur: Gibt es zwischen diesen beiden Beobachtungen einen kausalen Zusammenhang?
Nach einer Antwort suchen Forscher weltweit - auch in Deutschland: "Die Idee ist gut und wichtig", sagt Frank Louwen, Leiter der Geburtshilfe und Pränatalmedizin am Universitätsklinikum Frankfurt. An seiner Klinik soll noch in diesem Jahr eine Langzeitstudie mit einer Kontrollgruppe zu dem Thema starten. "Wir müssen herausfinden, ob die Vaginalflora der Mutter einen dauerhaften Einfluss auf die Gesundheit des Kindes hat."
Dass "vaginal seeding" die Keimzusammensetzung beim Kind kurzfristig beeinflusst, haben Biologen und Ärzte kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift "Nature Medicine" publiziert. Nachdem die Forscher vier Babys kurz nach der Kaiserschnitt-Geburt mit Vaginalsekret eingerieben hatten, ähnelte die Bakterienbesiedelung der Kinder vier Wochen später der Zusammensetzung in der Vaginalflora der Mutter - so wie bei natürlich Geborenen.
Fragen von besorgten Eltern
Das Thema ist auch deshalb relevant, weil in Deutschland mittlerweile fast jedes dritte Kind per Kaiserschnitt zur Welt kommt. "Wenn sich Krankheiten wie Asthma und Allergien, unter denen Kaiserschnitt-Kinder häufiger leiden, durch einen so einfach Handgriff reduzieren ließen, wäre das natürlich ein großer Erfolg", sagt Louwen, der auch im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist. "Aber so weit sind wir noch nicht." Das Interesse vonseiten der Eltern sei aber auch hierzulande schon groß. "Auf jeder zweiten Informationsveranstaltung für die Geburt stellt eine Schwangere die Frage nach den Geburtskeimen", so Louwen.
Vor der Anwendung der Methode muss aber nicht nur geklärt werden, ob sie wirkt, sondern vor allem, ob sie sicher ist. Kinderärzte aus Großbritannien zeigen sich jetzt im "British Medical Journal" diesbezüglich besorgt. "Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir noch nicht, ob das Verfahren sicher ist", schreiben die Pädiater vom Imperial College in London. "Neugeborene könnten schwere Infektionen davontragen."
Als gefährliche Erreger zählen die Autoren Streptokokken, Herpesviren und Chlamydien auf, die sich möglichweise in der Vaginalflora der Mutter befinden, ohne dass diese davon wisse. Sie berichten von einer Frau, die ihr Kind mit ihrem Vaginalsekret einreiben wollte, obwohl sie Genitalherpes hatte. "Wir haben unser Personal angewiesen, die Prozedur nicht durchzuführen", so die Autoren. "Ohne Nachweis eines Vorteils können wir kein Risiko in Kauf nehmen, auch wenn es klein erscheint."
Frank Louwen ordnet die Problematik anders ein: "Im Einzelfall kann eine Gefahr für das Kind entstehen, nicht aber allgemein. Das würde ja bedeuten, dass kein Kind mehr auf natürlichem Weg zur Welt kommen dürfte." In Deutschland unterscheidet sich die Mutterschaftsvorsorge zudem von der in Großbritannien. Hierzulande können sich Frauen auf bestimmte Bakterien wie etwa Streptokokken der Gruppe B problemlos testen lassen. Bei einem Verdacht auf eine Infektion trägt die Kasse die Kosten, ansonsten ist es eine Wahlleistung, die die Schwangere selbst zahlen muss. Dass eine Frau diese Erreger unwissend in sich trage, komme daher seltener vor, so Louwen.
Trotzdem will auch der Gynäkologe werdenden Eltern noch nicht zu der Prozedur raten: "Ich bin dafür, zunächst in Studien zu prüfen, ob das Verfahren überhaupt etwas bringt."
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Quelle : SPIEGEL.DE
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