Die Ostsee ist kein totes Meer

  23 September 2020    Gelesen: 687
  Die Ostsee ist kein totes Meer

Die Ostsee verbindet Deutschland mit Polen, Skandinavien und dem Baltikum. Wo es dem Meer gut geht und wo schlecht, wollen Forscher mit einem neuen Index zeigen. Ihnen geht es vor allem um das bislang weniger beachtete Zusammenspiel einzelner Faktoren.

Der Ostsee geht es nicht wirklich schlecht, gut aber auch nicht. Zu diesem Ergebnis kommen internationale Experten im Rahmen eines erstmals auf das Binnenmeer angewandten Indexes. Dabei erhält die Ostsee 76 von 100 Punkten, wie die Wissenschaftler des Stockholm Resilience Centre (SRC) mitteilten. Das entspreche in etwa einer 3+ im Schulzeugnis, sagte der deutsche Hauptautor der Untersuchung, Thorsten Blenckner. Bei dem Projekt haben Blenckner und seine Mitstreiter den seit 2012 berechneten Ocean Health Index (OHI) kalifornischer Forscher zum ersten Mal auf die Ostsee angewandt. Mit dem Baltic Health Index (BHI) wollen sie ein umfassendes Bild vermitteln, wie es um den Zustand des Meeres bestellt ist. Gleichzeitig soll besser zu erkennen sein, welche Auswirkungen das Verstellen einer Stellschraube für andere Teilaspekte des Meeres hat.

"Oft wird diskutiert, dass wir Nährstoffe reduzieren oder weniger fischen müssen. Man stellt aber oft keine Verbindung zwischen den einzelnen Komponenten her", erklärte Blenckner. Dabei könne es enorm wichtig sein, sich etwa anzuschauen, welche Vorteile ein Schutzgebiet für die Artenvielfalt oder eine Veränderung der Nährstoffe für die Fischerei habe. "Dieser Index gibt das Gesamtbild, wie man das gesamte System - in diesem Fall die Ostsee - managen und messen soll." Ein zentrales Ziel ist, aus Hunderttausenden Daten berechnen zu können, wie sich der Zustand über die Jahre verändert - und wie man frühzeitig zum Positiven steuern kann.

Derzeit schneidet die Ostsee recht gut beim küstennahen Fischbestand sowie bei den Lebensgrundlagen und wirtschaftlichen Bedingungen der Anrainer ab. Schlechter sieht es bei der Verunreinigung mit Schadstoffen, den Schutzgebieten, der Eutrophierung sowie Biodiversität und Kohlenstoffsenken aus. Nachbesserungsbedarf sieht Blenckner vor allem bei neuen Giftstoffen. Während die Situation bei alten Schadstoffen wie etwa Dioxin langsam besser werde, würden neuere teils noch gar nicht gemessen. Dazu zählten unter anderem Substanzen, die bestimmte Jacken atmungsaktiver machten, aber eben auch sehr giftig seien. "Das ist ein klares Gefahrenpotenzial", sagte Blenckner.

Schutzgebiete ohne Schutz

Ein zweites Problemfeld seien die Schutzgebiete, die zwar ausgewiesen seien, aber oft über keinen Managementplan verfügten. "Ich kann also mit meinem Boot in dieses Gebiet hineinfahren und es wird nicht richtig kontrolliert. Das gilt auch für Deutschland." Wie in der gesamten Region gebe es lokal teils sehr deutliche Unterschiede. Trotz der in der Untersuchung betonten regionalen Unterschiede lasse sich ein eindeutiges Fazit für die Ostsee erkennen, sagte der Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack: Die ausgewiesenen Schutzgebiete bestünden nur auf dem Papier, die Anrainer müssten dringend mehr für den Meeresschutz tun. "Nur mit echten Schutzgebieten, in denen sich die Meeresnatur selber überlassen bleibt, bekommt die Ostsee eine Chance, ihre historische Krise zu überwinden", so Maack.

Beim Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock wurde der Index mit Lob aufgenommen. Aus ihm ließen sich viele verschiedene Aspekte ableiten, zudem könne er helfen, Maßnahmen zur Verbesserung der Lage gezielter anzugehen, sagte Institutsleiter Christopher Zimmermann. Zugleich zeige der Index, "dass wir noch ein gutes Stück zurückzulegen haben auf dem Weg zum guten Umweltzustand der Ostsee, aber auch, dass die Ostsee alles andere als ein totes Meer ist". Zur Kritik am Management der Schutzgebiete schränkte Zimmermann ein: "In fast allen Ländern sind erhebliche Anstrengungen im Gange, um Schutzgebiete sinnvoll zu managen, die intensive, aber unvermeidbare Abstimmung mit den verschiedenen Nutzern und Anrainern benötigt aber Zeit." In den nächsten beiden Jahren dürften die Abstimmungen abgeschlossen sein.

Zu viele Nährstoffe aus der Landwirtschaft

Die Ostsee hat insgesamt etwa die 1,2-fache Fläche Deutschlands und erstreckt sich von den deutschen und polnischen Küsten bis hinauf in den Norden von Schweden und Finnland, außerdem begrenzen sie Dänemark im Westen und das Baltikum im Südosten. Der östlichste Teil des Meeres zieht sich bis ins russische St. Petersburg. Die Europäische Umweltagentur EEA hatte im Dezember festgestellt, dass es in nahezu der gesamten Ostsee weiter eine zu hohe Belastung durch Nährstoffe gibt. 99 Prozent der analysierten Bereiche des Meeres leiden demnach unter Eutrophierung. Darunter versteht man die oft vom Menschen verursachte und mit negativen Folgen verbundene Anreicherung von Nährstoffen wie zum Beispiel Stickstoff in Gewässern.

Nichtsdestotrotz sehe man in dieser Hinsicht eine klare Verbesserung, sagte Blenckner. "Da wird wirklich etwas getan, in die Ostsee kommen deutlich verminderte Nährstoffe hinein." Dabei helfen demnach vielfältige Maßnahmen, etwa die Ausbesserung der Kläranlage von St. Petersburg oder das Besprühen von Agrarflächen in Finnland mit Gips, um den Phosphor im Boden zu halten. Effekte sehe man aber erst nach langer Zeit, so Blenckner. "Die Ostsee ist ja eine Art Badewanne. Um das Wasser in der zentralen Ostsee auszutauschen, dauert es 30 Jahre."

Der Umweltstiftung WWF Deutschland gehen die Maßnahmen zur Eindämmung des Nährstoffeintrags nicht weit genug. "Trotz aller Anstrengungen im Bereich Kläranlagen bleibt der Eintrag aus der Überdüngung der Felder weiter ein wesentlicher Treiber von Algenwachstum und Todeszonen in der Ostsee", erklärte der Leiter des WWF-Ostseebüros, Jochen Lamp. Schon auf den Äckern im Binnenland müsse der Rückhalt der Nährstoffe ansetzen.

Quelle: ntv.de, Steffen Trumpf, dpa


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