Merkels vierter Präsident

  08 November 2020    Gelesen: 499
Merkels vierter Präsident

"Unsere transatlantische Freundschaft ist unersetzlich": Angela Merkel gratulierte Joe Biden – dem vierten US-Präsidenten während ihrer Amtszeit als Kanzlerin.

Aus diplomatischer Räson konnte Angela Merkel nie sagen, was sie von Donald Trump hielt. Aber ihr Mienenspiel sprach Bände: Leichtes Augenverdrehen, kaum wahrnehmbares Kopfschütteln und hochgezogene Brauen begleiteten Merkels Zusammenkünfte mit dem noch amtierenden US-Präsidenten.

Mit der Wahl von Joe Biden dürften nun Jahre der Entfremdung zwischen Berlin und Washington enden. Denn Biden gilt als das, was Trump nie war: ein Transatlantiker alter Schule und verlässlicher Verhandlungspartner. Über Jahrzehnte hinweg pflegte Biden als Außenexperte im US-Senat und als Vizepräsident enge Kontakte zur deutschen Politik, bei der Münchner Sicherheitskonferenz war er Stammgast.

Sie freue sich auf die "künftige Zusammenarbeit mit Präsident Biden", schrieb Merkel am Wochenende. "Unsere transatlantische Freundschaft ist unersetzlich." Merkel gratulierte auch explizit Kamala Harris, der "gewählten ersten Vizepräsidentin des Landes".

Die Freude über die neuen Partner dürfte echt sein. Die nüchterne Pfarrerstochter Merkel und der prahlerische Immobilienkaufmann Trump – das ging nie gut. Trumps Präsidentschaft brachte die deutsche Außenpolitik in Not. Es fehlte ihr schlicht über vier Jahre hinweg der Verhandlungspartner auf US-Seite.

Wie es um die Gesprächskultur zuletzt bestellt war, illustrierte im Sommer eine Geschichte des US-Investigativjournalisten Carl Bernstein für den Sender CNN. Trump habe die Kanzlerin in einem Telefonat als "dumm" beschimpft und ihr vorgeworfen, "in der Hand der Russen zu sein". Merkel soll daraufhin sachlich und ruhig geblieben sein. Die Bundesregierung hat Bernsteins Darstellung nie dementiert.

Trump war bereits der dritte US-Präsident während Merkels Kanzlerschaft. Wenn es nun um einen Neustart der Beziehungen unter einem Präsidenten Biden geht, kann die Langzeit-Regierungschefin auf einen gewissen Erfahrungsschatz zurückblicken. Bereits nach ihrer Wahl zur Kanzlerin 2005 hatte sich Merkel sofort an die Reparatur des Verhältnisses zur US-Regierung unter George W. Bush gemacht, das am Streit um den Irakkrieg unter ihrem Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) Schaden genommen hatte.

"Engste Freundin auf der Weltbühne"
Bush, der in seinen Reden gern den Wert der Freiheit beschwor, lud sie auf seine Prärie-Ranch nach Texas ein. "Ich war fasziniert davon, wie Angela ihr Aufwachsen im kommunistischen Ostdeutschland beschrieb", erinnerte sich Bush später in seiner Autobiografie. "Angela war vertrauenswürdig, engagiert, warmherzig. Sie wurde eine meiner engsten Freundinnen auf der Weltbühne."

Eine Art politische Freundschaft baute Merkel schnell auch zu Barack Obama auf. Den Hype um Obama im Wahlkampf 2008, die "Obamania", betrachtete Merkel zwar zunächst mit spöttischer Distanz. Sie fand aber schnell Zugang zu dem neuen Präsidenten. Obamas Spitzenberater Ben Rhodes schildert in seinen Memoiren ein emotionales Abschiedstreffen der beiden 2016 in Berlin – da hatte Trump bereits die Wahl gewonnen. Merkel stehe nun "ganz allein" auf der Weltbühne, habe Obama besorgt gesagt.

Die Wahl des unberechenbaren Trump soll einer der Gründe gewesen sein, weswegen Merkel bei der Bundestagswahl 2017 noch einmal antrat. Trumps Abwahl dürfte sie nun in ihrem Vorhaben bestätigen, sich 2021 ganz aus der aktiven Politik zurückzuziehen.

spiegel


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