Friedensnobelpreisträger im Kriegsmodus

  13 November 2020    Gelesen: 298
Friedensnobelpreisträger im Kriegsmodus

Äthiopiens Premierminister Abiy Ahmed führt einen Bürgerkrieg im Norden des Landes. Er könnte die ganze Region ins Chaos stürzen.

Nur ein Jahr war Abiy Ahmed im Amt - und schon wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Im April 2018 zum Ministerpräsidenten Äthiopiens gewählt, hatte er zügig mit dem autoritären Regime seiner Vorgänger aufgeräumt: Er ließ politische Gefangene frei, besetzte sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen, förderte die Pressefreiheit und vor allem bemühte er sich um Versöhnung im seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt mit dem Nachbarland Eritrea – ein afrikanischer Musterpolitiker, soweit.

Doch seit einer Woche ist der Friedensnobelpreisträger im Kriegsmodus: Vor die Kameras tritt er in militärisch anmutender Jacke: "Rote Linien" seien überschritten, das Land müsse "gerettet" werden, sagt er.

In der Hauptstadt Addis Abeba wurden mehr als 160 Angehörige der Volksgruppe der Tigray verhaftet, Menschenrechtsgruppen berichten von mindestens vier Journalisten, die festgenommen worden sein sollen. Über die nördliche Provinz Tigray hat er den Ausnahmezustand verhängt, das Internet und viele Telefonverbindungen sind abgeschaltet. Die Luftwaffe bombardiert Stellungen lokaler Truppen nahe der Provinzhauptstadt Mekele. Rebellen schlagen zurück, es soll hunderte Tote gegeben haben, Tausende sind auf der Flucht.

In der Hauptstadt Addis Abeba wurden mehr als 160 Angehörige der Volksgruppe der Tigray verhaftet, Menschenrechtsgruppen berichten von mindestens vier Journalisten, die festgenommen worden sein sollen. Über die nördliche Provinz Tigray hat er den Ausnahmezustand verhängt, das Internet und viele Telefonverbindungen sind abgeschaltet. Die Luftwaffe bombardiert Stellungen lokaler Truppen nahe der Provinzhauptstadt Mekele. Rebellen schlagen zurück, es soll hunderte Tote gegeben haben, Tausende sind auf der Flucht.Äthiopien, mit 110 Millionen Einwohnern der Staat Afrikas mit der zweitgrößten Bevölkerung aus mehr als 80 ethnischen Gruppen, könnte in einem langen Bürgerkrieg abrutschen. Die Vereinten Nationen und die Afrikanische Union mahnen Verhandlungen an, denn die Stabilität am Horn von Afrika steht auf dem Spiel. "Äthiopien ist der Ankerstaat in der Region, ein Vermittler, Polizist und Friedensstifter", sagt Cameron Hudson vom US-Thinktank "Atlantic Council".

Spannungen zwischen dem Volk der Tigray und Regierung von Abiy Ahmed gibt es schon lange: Bei Amtsantritt hatte der Premier ein politisches System mit schweren Konstruktionsfehlern übernommen. Äthiopien ist entlang ethnischer Trennlinien in neun Territorien eingeteilt, Tigray im Norden ist eines davon. Parteien aus diesen Territorien waren in einer Regierungskoalition zusammengeschlossen. Ein Effekt: Die Tigray, die sich beim Sturz des kommunistischen Diktators Mengistu Haile Mariam 1991 hervorgetan hatten, hielten überproportional viel politischen Einfluss, obwohl sie nur knapp sechs Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.

Abiy, dessen Mutter der Volksgruppe der Amhara und dessen Vater dem Stamm der Oromo angehörte, hatte seit Amtsantritt versucht, die Politik von ethnischen Prinzipien zu lösen und dazu eine neue Regierungskoalition gegründet. Der mochte sich aber die Vertretung der Tigray, die "Tigray People's Liberation Front" (TPLF) nicht anschließen, und sie wollte ihren Machtverlust in der Hauptstadt nicht hinnehmen. Als Abiy im Frühjahr wegen des Coronavirus' Wahlen vertagte, warf sie ihm diktatorische Anwandlungen vor und veranstaltete im September auf eigene Faust in der Provinz einen Urnengang. Die TPLF erhielt dabei mehr als 98 Prozent der Stimmen. So gestärkt stellte sie die Legitimität nationaler Behörden in Tigray in Frage.

Die Eskalation nahm ihren Lauf: Vergangene Woche entmachtete Abiy per Parlamentsbeschluss die lokale Regierung in der aufmüpfigen Nordprovinz. Angeblich überfiel die TPLF daraufhin einen Stützpunkt der Armee, sie nahm dabei Überläufer und schwere Artillerie mit.

Tigray berichten von Übergriffen im ganzen Land
Der Friedensnobelpreisträger müht sich, den Waffengang als leicht beherrschbares Scharmützel abzutun, das bald beendet ist. Doch nicht nur Experten, wie Anette Weber von der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik, glauben, dass es mit einem militärischen Sieg der Zentralmacht noch lange kein Frieden hergestellt ist.

Abiy muss mit den Tigray einen Ausgleich suchen, sonst könnten ethnischen Konflikte im ganzen Land aufflammen. Vorvergangene Woche soll es bereits zu einem Gemetzel an Amhara gekommen sein, wer die Täter waren ist nicht klar. Tigray berichten seit Beginn der Kämpfe im Norden von Übergriffen im ganzen Land.

Ein zersplitterndes Äthiopien könnte die ohnehin von Dürre, Hunger, Terror und Heuschrecken heimgesuchte Region noch weiter destabilisieren:

Im Osten liegt das kriegsverheerte Somalia. 600 Soldaten zog Addis Abeba für die Kämpfe in Tigray von dort ab. Die Terrormiliz "Al-Shabab", die bis nach Kenia Anschläge verübt, könnte ihre Abwesenheit nützen.

Im Südsudan konnte gerade erst der Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Machtcliquen beigelegt werden.
Im Sudan rebellierte vergangenes Jahr die Bevölkerung gegen die Jahrzehnte alte Diktatur. Jetzt versucht dort ein fragiles Herrschaftsgebilde aus Opposition und halbwegs liberalen Kräften des alten Regimes den Transit in die Demokratie ins Werk zu setzen.

Für beide Länder wären Ströme von Flüchtlingen, oder gar versprengte Kämpfer, die die Grenze queren, eine schwere Belastung. Am Horn von Afrika, so drückt es Cameron Hudson aus, droht ein "Kataklysmus".

spiegel


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