Advokat des Wahnsinns

  20 November 2020    Gelesen: 341
Advokat des Wahnsinns

Mit immer absurderen Auftritten versucht Donald Trumps Anwalt Rudy Giuliani zu beweisen, dass der Wahlsieg gestohlen wurde. Warum macht sich ein Mann, der einst ein amerikanischer Held war, zur Witzfigur?

Der Irrsinn der ganzen Aktion würde sich auch erschließen, wenn man Rudy Giuliani das Mikrofon abgedreht hätte und kein Wort von dem verstünde, was er sagt. Am Donnerstag steht der ehemalige New Yorker Bürgermeister in einem kleinen Pressesaal in Washington, vor ihm drängen sich die Reporter der Hauptstadtmedien.

Bevor der Anwalt ans Mikrofon tritt, umarmen sich noch schnell zwei Mitarbeiterinnen des Trump-Teams innig vor den laufenden Kameras; Giuliani selbst denkt gar nicht daran, eine Maske zu tragen. Es ist erst einen Tag her, da meldeten die Vereinigten Staaten den 250.000. Corona-Toten. Giuliani und seine Leute aber tun so, als gebe es die Pandemie nur in der Vorstellungswelt durchgeknallter Linker.

Wahrscheinlich ist die Fähigkeit, die Realität zu leugnen, genau das, was der Präsident an seinem Anwalt so schätzt. Donald Trump hat die Präsidentschaftswahl verloren, daran gibt es keinen Zweifel. Joe Biden führt mit einem Vorsprung von über fünf Millionen Stimmen, er hat die entscheidenden Swing States im Norden der USA zurückerobert, die Trump 2016 den Sieg eingetragen hatten. Inzwischen hat die halbe Welt Biden zum Sieg gratuliert, von Angela Merkel bis zum Papst.

Aber hinter Giuliani steht ein Schild, auf dem zu lesen ist: »Mehrere Wege zum Sieg« – darunter in rot jene Bundesstaaten, die Trump angeblich noch gewinnen kann. Im Laufe seiner Rede läuft dem schwitzenden Trump-Anwalt dunkle Farbe über die Schläfen, es handelt sich offenbar um Haarfärbemittel. Die Reaktionen in den sozialen Medien kann man sich ausmalen.

Was Giuliani erzählt, erinnert an den irakischen Informationsminister Mohammed Saeed al-Sahaf, der im Jahr 2003 kurz vor dem Sieg der amerikanischen Truppen im Irak erklärte: »Baghdad ist sicher. Die Ungläubigen begehen zu Hunderten Selbstmord vor den Toren der Stadt.« Denn was Giuliani vorträgt, ist ähnlich glaubwürdig wie die Worte von Saddam Husseins Chefpropagandisten, der als »Comical Ali« in die Geschichte einging. Der Anwalt des Präsidenten erklärt, es gebe massive Beweise dafür, dass bei der Wahl am 3. November geschummelt worden sei. Er behauptet, republikanische Kontrolleure seien systematisch davon abgehalten worden, ihre Arbeit zu tun. Er sagt: »Es geht hier nicht um einen einzelnen Fall von Wahlbetrug in einem Bundesstaat«. Vielmehr spreche alles dafür, dass es einen ausgeklügelten Plan gab, Trump den Sieg zu stehlen.

Das Problem ist nur: Auch an diesem Nachmittag bleibt Giuliani stichhaltige Beweise für seine Theorie schuldig. Donald Trump muss das nicht weiter kümmern. Die Strategie des Präsidenten ist einfach. Er arbeitet an dem Mythos, dass ihn eine skrupellose demokratische Partei um den Wahlsieg betrogen hat – und ihm treulose Republikaner anschließend auch noch das Messer in den Rücken rammten. Das hat zwar nichts mit der Realität zu tun. Aber das ist bedeutungslos, solange nur genügend US-Bürger die Lüge glauben. Und das scheint der Fall zu sein: Inzwischen sagen fast 70 Prozent der republikanischen Wähler, sie beschleiche die Sorge, die Wahl sei manipuliert worden.

Die Frage ist, warum Giuliani bei diesem schmutzigen Spiel mitmacht. Er war einmal ein Mann, der einen Ruf zu verlieren hatte. Acht Jahre lang war Giuliani Bürgermeister New Yorks. Er hat die Kriminalität in der Stadt zurückgedrängt und es geschafft, den New Yorkern nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wieder Mut und Zuversicht zu geben. Der Mythos Giuliani wuchs aus den Trümmern des World Trade Center, er wurde zum berühmtesten Bürgermeister der Welt, zu »America's Mayor«. Das »Time«-Magazin nahm ihn auf den Titel; die britische Queen schlug ihm zum Ritter.

Nach seiner Zeit als Bürgermeister macht er seinen Ruhm zu Geld. 100.000 Dollar nahm er pro Rede, gleichzeitig gründete er eine Beratungsfirma. Bei der Wahl seiner Kunden war Giuliani nicht zimperlich. Er diente Purdue, dem Pharmakonzern, der viel Geld mit süchtig machenden Schmerzmitteln verdiente. Aber bald zog es Giuliani wieder zurück ins Rampenlicht. Im Jahr 2007 bewarb er sich um die republikanische Präsidentschaftskandidatur, aber das Projekt scheiterte kläglich. Joe Biden lästerte damals, Giuliani beherrsche im Grunde nur einen Satz: »Hauptwort – Verb – 9/11«. Tatsächlich hatte Giuliani damals seine Reaktion auf 9/11 mit Nachdruck ins Zentrum seiner Kampagne gedrängt. Gereicht hat das bei Weitem nicht.

Offiziell hat Giuliani keine Funktion im Weißen Haus
Trump war für Giuliani die Gelegenheit, noch einmal die große Bühne zu betreten. Schon im Wahlkampf verteidigte er seinen alten Kumpel aus New York, und zwar auch dann, wenn es allen anderen zuwider war. »Männer reden halt so«, sagte Giuliani im Fernsehen, als im Herbst 2016 eine Tonaufnahme veröffentlicht worden war, auf dem sich Trump brüstet, Frauen ungefragt in den Schritt zu fassen. Im Weißen Haus wird Giuliani für Trump zu einer Mischung aus Consigliere und Zuschläger. Offiziell hat er keine Funktion – aber das macht es umso leichter, die schmutzigen Jobs zu erledigen.

In der Ukraine-Affäre ist es Giuliani, der die völlig haltlose Behauptung in die Welt setzt, Joe Biden habe einen Generalstaatsanwalt in Kiew feuern lassen, um seinem Sohn Hunter einen Gefallen zu tun. Und kurz vor der Wahl am 3. November versorgt Giuliani ein New Yorker Boulevardblatt erneut mit schmutzigen Geschichten über den Sohn des Kandidaten, die kein seriöses Medium anfassen will.

Die Szene im "Borat"-Film ist peinlich – aber wenig überraschend
Aber der Unrat, den Giuliani verbreitet, färbt auch auf ihn selbst ab. Aus »America's Mayor« wird eine Witzfigur. Als der Komiker und Filmemacher Sacha Baron Cohen im Herbst seinen neuen »Borat«-Film veröffentlicht, in dem Giuliani erst von einer jungen Frau interviewt wird und sich dann von der – falschen – Reporterin ins Schlafzimmer locken lässt (»Shall we have a drink in the bedroom?«), ist der Spott zwar groß – aber niemand wundert sich über Giuliani. Denn das Bild des schmierigen Anwalts, der jungen Frauen den Po tätschelt, entspricht genau dem Bild, das die meisten Amerikaner schon von Giuliani im Kopf haben.

So gesehen hat dieser ohnehin nichts mehr zu verlieren. Der 76-Jährige kämpft mit Trump seinen letzten Kampf. Wie über dem Präsidenten schwebt auch über Giuliani die Gefahr, ins Gefängnis einzufahren, sollte Joe Biden die Macht in Washington übernehmen. Schon seit vielen Monaten sitzt Giuliani die New Yorker Staatsanwalt im Nacken, für die er selbst einmal gearbeitet hat.

Außerdem lässt sich Giuliani seine Loyalität zu Trump durchaus gut bezahlen: Angeblich will er dem Team des Präsidenten einen Satz berechnen, der so seriös ist wie seine Arbeit als Anwalt: 20.000 Dollar pro Tag.

spiegel


Tags:


Newsticker