Eigentlich hätte Kronprinz Mohammed bin Salman am Wochenende den ganz großen Auftritt hinlegen wollen: prunkvolle Eröffnungsfeier, Händeschütteln mit den wichtigsten Regierungschefs der Welt. Denn Saudi-Arabien wird das G20-Treffen abhalten – als erstes arabisches Land überhaupt.
Die glanzvollen Bilder hätten all die Tabubrüche der vergangenen Jahre übertünchen sollen: die heimtückische Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi, die Misshandlung von Frauenrechtsaktivistinnen, das brutale Vorgehen im Jemen-Krieg. Doch Covid-19 macht dem Prinzen einen Strich durch die Rechnung.
Bundeskanzlerin Angela Merkel wird dem Gipfel fernbleiben, ebenso der französische Präsident Emmanuel Macron und der amerikanische Noch-Präsident Donald Trump. Der G20-Gipfel in Saudi-Arabiens wird wegen Corona nur per Videoschalte stattfinden. Eine Pandemie setzt durch, was Menschenrechtler vergeblich forderten: Keiner wird nach Riad kommen.
Große Entscheidungen werden vom diesjährigen G20-Gipfel keine erwartet. Für Donald Trump wird es der letzte große internationale Auftritt als Präsident. Eigentlich hätte es bei dem Treffen der 19 reichsten Länder der Welt und der EU um Klimaschutz und Migration gehen sollen. Nun, wegen Corona, werden Schuldenerleichterungen für ärmere Länder im Mittelpunkt stehen, deren Finanzen schon vor der Pandemie prekär waren.
Der saudische Kronprinz verfolgt mit der Ausrichtung des G20-Gipfels zwei Ziele:
Wirtschaftlich will er sein Reich als offen und attraktiv für Investoren darstellen. Die braucht er dringend, denn Covid-19 gefährdet seine Pläne. Um die ölabhängige Wirtschaft zukunftsfähig zu machen, wollte er Hunderte Milliarden investieren. Doch der Doppelschock durch Coronakrise und fallenden Ölpreis sorgt dafür, dass der Kronprinz Investitionen streichen lassen und die Steuer erhöhen musste.
Auch politisch will er sein Land als Schwergewicht etablieren. Denn auch wenn Saudi-Arabien als Juniorpartner der Vereinigten Arabischen Emirate im Nahen Osten und Nordafrika zunehmend mitmischt, hat es noch nicht die regionale Vorherrschaft, die Mohammed bin Salman sich erhofft.
So drohen die Saudis gerade wieder unverhohlen damit, eigene Atomwaffen zu entwickeln, sollte Iran seine Fähigkeiten weiter ausbauen – mit Chinas Hilfe hat Saudi-Arabien bereits heimlich angefangen, ein ziviles Atomprogramm aufzubauen. Doch die Drohungen kaschieren nur schlecht Saudi-Arabiens Schwäche: Nach wie vor fehlt es an einer echten Strategie gegen den Rivalen Iran. Vergangenes Jahr attackierte Teheran die saudi-arabische Ölproduktion und stellte Riad bloß. Aus Washington kam keine Hilfe.
Der Machtwechsel im Weißen Haus bedeutet für Mohammed bin Salman ein weiteres Problem. Trump sah über die saudi-arabischen Tabubrüche und erratischen Manöver hinweg, aber der künftige Präsident Joe Biden hat angekündigt, stärker auf die Zusammenarbeit mit Demokratien zu setzen. Bidens Wahl kommentierten manche saudi-arabischen Medien prompt mit der Schlagzeile: »Die Hunde kehren zurück ins Weiße Haus« – vorgeblich wegen Bidens Hunden Major und Champ, gleichzeitig jedoch im Nahen und Mittleren Osten eine schwerwiegende Beleidigung, die in Washington nicht unbemerkt geblieben sein dürfte. Kurz darauf verschwanden die saudi-arabischen Berichte wieder.
Der G20-Gipfel zeigt: Auch wenn sich außer Kanada die meisten Länder bislang mit deutlicher Kritik zurückhielten, ist Kronprinz Mohammed bin Salman international noch nicht wieder rehabilitiert. Eigentlich hätte im Rahmen des G20-Gipfels auch ein Treffen der Bürgermeister der großen Städte der Welt stattfinden sollten. Doch New York, Paris und London boykottierten, Berlin schwieg.
Ein vermeintlicher Reformer, der echte Reformer hinrichten lässt
Mohammed bin Salman bleibt gefangen in einem offensichtlichen Widerspruch, wie der Menschenrechtsausschuss des Bundestages gerade konstatierte, aus dem der Kronprinz keinen Ausweg zu finden scheint: Einerseits will er sich als Modernisierer darstellen und feiern lassen, andererseits lässt er die echten Reformerinnen und Reformer Saudi-Arabiens wegsperren, auspeitschen oder hinrichten.
So erinnert das von Saudi-Arabien organisierte Treffen die Welt wieder an das Schicksal von Loujain Alhathloul, 31, und ihrer Mitstreiterinnen: Die bekanntesten Frauenrechtlerinnen Saudi-Arabiens sind seit zwei Jahren inhaftiert. Ihre Verbrechen? Forderungen wie das Recht, Auto fahren zu dürfen, was der Kronprinz später selbst einführte. Loujain Alhathlouls Familie wird seit Wochen nicht mehr zu ihr gelassen oder über ihren Gesundheitszustand informiert; die Uno bezeichnete ihn zuletzt als besorgniserregend.
Bisher scheint das saudische Königshaus auf internationale Kritik weiter nur mit Dreistigkeit zu reagieren – wie 2018, als es seine Studierenden und Ärzte aus Kanada unter lautem Tamtam abziehen wollte, um dann wieder still und heimlich zurückzurudern. So bezeichnete Saudi-Arabiens Außenminister Adel al-Jubeir gerade das vorübergehende deutsche Waffenexportembargo gegen Saudi-Arabien als »falsch« und »unlogisch« und drohte damit, man werde woanders einkaufen. Das Getöse kommt zum jetzigen Zeitpunkt nicht überraschend: In den kommenden Wochen muss Berlin darüber entscheiden, ob das Embargo erneut verlängert wird.
spiegel
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