Mittelmäßiger Vertrag, mieser Zeitpunkt

  31 Dezember 2020    Gelesen: 328
Mittelmäßiger Vertrag, mieser Zeitpunkt

Seit 2013 haben die EU und China über ein Investitionsabkommen verhandelt. Nun sind sich Brüssel und Peking einig – doch die künftige US-Regierung ist verstimmt.

Sieben Jahre lang haben sie über dieses Abkommen verhandelt. Man kann verstehen, dass Europäer wie Chinesen es am Ende eilig hatten. Grotesk waren die Widersprüche, die der Vertrag nun lösen soll: Während chinesische Firmen in Europa seit Jahren in praktisch allen Branchen investieren, ja Flughäfen und Stromversorger kaufen konnten, blieben Europäern in China viele Sektoren versperrt. Und doch bleibt ein schaler Nachgeschmack, wenn sich Brüssel und Peking nun auf ein umfassendes Investitionsschutzabkommen einigen.

Am Mittwoch haben Chinas Staatschef Xi Jinping, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Übereinkunft in einer Videokonferenz besiegelt.

Für Europa liegen die Vorteile des Abkommens auf der Hand: Europäische Unternehmen sollen in China künftig ebenso guten Marktzugang erhalten wie chinesische in Europa. Der Wettbewerb soll fairer und ein »level playing field« etabliert werden, wie das aus den Brexit-Verhandlungen bekannte Schlagwort lautet. Außerdem sollen für Unternehmen beider Seiten nachhaltigere Umwelt- und Sozialstandards gelten.

Chinas wirtschaftliche Vorteile sind nicht auf Anhieb so offensichtlich, dafür wiegen sie politisch umso schwerer: Peking bekommt ein bedeutendes Wirtschaftsabkommen mit der EU – und das drei Wochen, bevor der designierte US-Präsident Joe Biden sein Amt antritt. Es ist vor allem dieser Zeitpunkt, der das Abkommen so umstritten macht. Ursprünglich sollte der Vertrag im September verkündet werden, auf einem EU-China-Gipfel, zu dem die deutsche Ratspräsidentschaft nach Leipzig geladen hatte. Doch dieser Gipfel wurde wegen der Coronakrise zu einer Videokonferenz herabgestuft; außerdem stockten die Gespräche damals, wie schon so oft zuvor. Erst kurz vor Weihnachten kam plötzlich Bewegung in die Verhandlungen. China machte nun Zugeständnisse, auf die Europa lange vergeblich gedrängt hatte. Peking wollte die Sache noch vor dem Ende des Jahres abschließen, ebenso die am 31. Dezember endende deutsche Ratspräsidentschaft.

Die neue US-Regierung sieht diese Eile kritisch. Vergangene Woche twitterte Jake Sullivan, der nationale Sicherheitsberater des designierten Präsidenten: »Die Biden-Harris-Regierung würde frühzeitige Konsultationen mit unseren europäischen Partnern zu unseren gemeinsamen Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Praktiken Chinas begrüßen.«

Am Dienstag ergänzte Joe Biden, dass die Position viel stärker sei, »wenn wir Koalitionen gleich gesinnter Partner und Alliierter bilden«.

Die Bedenken aus den USA haben offenbar weder Brüssel noch Berlin beeindruckt, was einen Schatten auf die künftige wirtschaftspolitische Zusammenarbeit mit Washington wirft. Die nach Bidens Wahlsieg beschworene europäisch-amerikanische Geschlossenheit gegenüber China muss Peking zunächst jedenfalls nicht fürchten.

Unterstützer des China-Abkommens wie Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in Peking, halten dagegen: »Ich sehe keine Relevanz für die USA. Sie haben ihren Phase-1-Vertrag (mit dem die USA und China im Januar ihren Handelskrieg entschärften, Anmerkung der Redaktion) ohne Konsultation mit der EU abgeschlossen.« Der EU-China-Deal verschlechtere die Position amerikanischer Unternehmen nicht – im Gegensatz zum US-China-Vertrag, der »viele Handelspartner Chinas getroffen« habe. Das Investitionsschutzabkommen mit China sei nicht als Affront gegen die neue, sondern eher als Folge der eigennützigen Handelspolitik der scheidenden US-Regierung zu verstehen, sagt ein europäischer Diplomat.

spiegel


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