Im Kampf gegen das Coronavirus zeichnen sich weitere Fortschritte bei der Eindämmung der seit dem Herbst durch Deutschland laufenden Ansteckungswelle ab. In der ersten Februarwoche schwächt sich das Fallaufkommen weiter ab. Erstmals seit Oktober liegt die durchschnittliche Anzahl der pro Tag gemeldeten Infektionen wieder unter 10.000. Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz unterschreitet mittlerweile deutlich die 80er-Schwelle. Die Zahl der Regionen wächst, in denen die angestrebte Zielmarke eines Fallaufkommens von weniger als 50 Fällen aus sieben Tagen je 100.000 Einwohnern erreicht wird.
Kann die Öffentlichkeit mit einer baldigen Aufhebung der schärfsten Corona-Auflagen rechnen? Noch scheint die Gefahr durch das Virus und seine Mutationen nicht gebannt. Wenige Tage vor dem nächsten Bund-Länder-Treffen zur Überprüfung der geltenden Lockdown-Maßnahmen zeichnete der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, am Freitag ein ernüchterndes Bild der Lage. Die Situation sei "noch lange nicht unter Kontrolle", sagte er.
Wie aus den von ntv.de ausgewerteten Meldedaten der Bundesländer hervorgeht, ist die Gesamtzahl der seit Beginn der Coronavirus-Pandemie in Deutschland erfassten Infektionsfälle am Samstag auf insgesamt 2.285.998 laborbestätigte Ansteckungen gestiegen. Das sind 7269 Fälle mehr als Vortag und damit zum vierten Mal in dieser Woche lediglich im vierstelligen Bereich. Der aktuelle Tageszuwachs an neu erkannten Fällen bedeutet zudem den niedrigsten Sonntagswert seit 18. Oktober (damals 4034 neue Fälle) – also seit mehr als dreieinhalb Monaten.
Zwar ist beim jüngsten Wert der sogenannte Wochenendeffekt zu berücksichtigen - an Samstagen und Sonntagen haben weniger Arztpraxen geöffnet, weniger Menschen gehen zum Arzt, Labore und Gesundheitsämter arbeiten im eingeschränkten Betrieb - doch allgemein betrachtet entwickeln sich die Fallzahlen weiter rückläufig. Am Samstag waren 9635 neue Fälle hinzugekommen, am Freitag 11.585, am Donnerstag 13.043. Am Mittwoch waren es 12.574, am Dienstag sogar nur 6854 neue Fälle. Auch im Wochenvergleich wird deutlich, wie stark sich die Fallzahlen derzeit abschwächen. Der aktuelle Tageszuwachs an neuen Fällen liegt deutlich unter den Sonntagswerten von vor sieben Tagen (31.1.: 9473 neue Fälle) und vor 14 Tagen (24.1.: 10.810).
Im Verlauf der ersten Februarwoche stieg das tägliche Meldeaufkommen deutlich schwächer an als noch im Januar oder gar im Dezember - der positive Trend der vergangenen Wochen setzt sich bisher also fort. Das zeigen die Zahlen: In den zurückliegenden sieben Tagen (Kalenderwoche 5) haben die Bundesländer insgesamt 65.397 neue Coronavirus-Fälle gemeldet. Das ist der schwächste Wochenzuwachs seit Mitte Oktober (KW 41/2020: 39.182 Fälle). In der vierten Kalenderwoche 2021 hatte der Zuwachs noch 79.277 betragen.
Bei den Todesfällen ist ebenfalls ein Abwärtstrend erkennbar, der jedoch nur minimal ist und auf noch zu hohem Niveau stattfindet. Nachdem die Zahl der Pandemie-Toten im Lauf des Samstags um 492 angewachsen war, registrierten die Landesbehörden nun zum Wochenausklang einen Anstieg um 185 weitere Todesfälle. In Deutschland sind damit nach amtlicher Zählung seit Beginn der Pandemie 61.380 Menschen im Zusammenhang mit einer Coronavirus-Infektion gestorben.
Auch hier gilt der sogenannte Wochenendeffekt zu berücksichtigen, doch das Niveau der Todesfälle scheint sich in einem Wendezeitraum zu befinden: Der aktuelle Sonntagswert liegt deutlich unter den Niveaus von vor einer Woche (30.1.: 267 Corona-Tote) und vor 14 Tagen (24.1.: 260). Zugleich markiert der heutige Wert den niedrigsten Tageszuwachs seit 13. Dezember (damals 181 neu registrierte Todesfälle). Beim Vergleich der Gesamtwochendaten erhärtet sich die Annahme eines zarten Abwärtstrends: Im Verlauf der ersten Februarwoche (KW 5) stieg die Zahl der gemeldeten Todesfälle um 4401 an. In der Vorwoche bis 31. Januar waren noch 4997 weitere Tote im Zusammenhang mit dem Coronavirus registriert worden.
Insgesamt befindet sich Deutschland in einer besonders heiklen Phase: Je weiter sich die Fallzahlen abschwächen, desto stärker schwindet die Bereitschaft der Öffentlichkeit, die Beschlüsse zur Pandemie-Abwehr weiter in vollem Umfang mitzutragen. Im Interview mit ntv und RTL gestand Bundeskanzlerin Angela Merkel ein, wie sehr sie diese Fragen beschäftigen.
Immer wieder müsse sie in dieser Pandemie "auch harte Entscheidungen treffen, und wie gerne würde ich auch was Gutes verkünden. Aber es hat ja keinen Sinn, wir dürfen ja auch keine falschen Hoffnungen wecken". Sie selbst "kenne sehr schwere Schicksale" durch den Lockdown, sagte sie auf Nachfrage: "Ich kenne auch die Nervenanspannung, wenn Familien auf sich zurückgeworfen sind."
Große Sorgen bereitet den Experten jedoch die Aussicht auf eine weitere Verbreitung der neuen Coronavirus-Varianten. "Sars-Cov-2 ist insgesamt gefährlicher worden", sagte RKI-Chef Wieler. "Das Virus ist noch nicht müde, es hat gerade erst einen Boost erhalten."
Im Blickfeld stehen derzeit vor allem die neuen Virus-Mutationen. Noch würden die drei gefährlichsten Virus-Varianten das Infektionsgeschehen in Deutschland nicht dominieren, erklärte Wieler. Der Anteil der Variante B.1.1.7, die zuerst in Großbritannien entdeckt wurde, liegt den Erkenntnissen des RKI zufolge, in Deutschland derzeit noch bei etwas weniger als sechs Prozent.
Die Virus-Variante ist aber bereits weit verbreitet. In 13 der 16 Bundesländer sei B.1.1.7 bereits nachgewiesen worden. Die Entwicklungen in Ländern wie Irland oder Portugal deuten darauf hin, dass sich die neuen Varianten rasch ausbreiten könnten. "Wir müssen damit rechnen, dass sich der Anteil weiter erhöht." Dadurch werde die Pandemiebekämpfung erschwert.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bemühte sich bei dem gemeinsamen Auftritt vor der Bundespressekonferenz auch um zuversichtliche Töne. Erstmals seit drei Monaten gebe es wieder weniger als 200.000 akut Infizierte. Diese rechnerisch ermittelte Kennziffer war am Donnerstag erstmals seit Anfang November wieder unter diese Marke gesunken. "Wir sind auf dem Weg raus aus der Pandemie", sagte Spahn unter anderem auch mit Blick auf die langsam steigenden Impfquoten. "Diesen Weg gehen wir entschlossen, aber vorsichtig."
Spahn machte deutlich, dass man bei Lockerungen der Einschränkungen den Blick zunächst auf Schulen und Kindergärten richten werde. Bislang sind die bundesweit vereinbarten Lockdown-Maßnahmen bis Mitte Februar befristet. In der kommenden Woche wollen die Regierenden der Länder mit der Bundesregierung erneut beraten.
Für den kommenden Mittwoch, wenn Kanzlerin Merkel erneut mit den Länderchefs zusammentrifft und über eine mögliche Verlängerung des Lockdowns berät, erwartet sie ein hartes Ringen um den besten Kompromiss. Das Treffen werde "wieder viele Stunden dauern, weil wir uns die Entscheidung nicht leicht machen". Beim Ziel einer bundesweiten Sieben-Tage-Inzidenz von 50 sei Deutschland "leider noch nicht". Merkel sagte allerdings: "Aber wir kommen jeden Tag diesem Ziel ein Stückchen näher."
Grund zur Entwarnung oder Anlass für rasche Lockerungen bestehen nicht. Das RKI warnt dringend vor einem Nachlassen der Bemühungen. Die "anhaltende Viruszirkulation in der Bevölkerung" erfordere weiterhin die "konsequente Umsetzung kontaktreduzierender Maßnahmen und Schutzmaßnahmen" sowie "massive Anstrengungen zur Eindämmung von Ausbrüchen und Infektionsketten", appellieren die Experten in der Anfang Februar überarbeiteten Risikoeinschätzung.
Zugleich kann das RKI jedoch ermutigende Signale von der Laborfront vermelden: In der letzten Januarwoche ist der Anteil der positiven Virus-Befunde an der Gesamtzahl der durchgeführten Coronatests gesunken, obwohl insgesamt wieder etwas mehr Proben genommen wurden. Die Viruslast scheint also nachzugeben, bei der Auswertung der Tests ergeben sich weniger Treffer. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt jedoch weiterhin als "sehr hoch" ein. Auffällig ist zudem, dass die trotz steigender Testkapazitäten die Zahl der durchgeführten Tests stagniert. In der zurückliegenden Kalenderwoche wurden bislang 1.116.314 Tests gemeldet - bei einer realen Testkapazität von 2.207.810.
Der große Impfgipfel mit der Bundeskanzlerin, Vertreten der Landespolitik und der EU-Kommission sowie den Abgesandten der Impfstoffhersteller hatte zu Wochenbeginn (1. Februar) keine grundlegend neuen Erkenntnisse erbracht. Kanzlerin Merkel bekräftigte im Anschluss an die Videokonferenz das Ziel, allen Bundesbürgern bis zum Ende des Sommers ein Impfangebot machen zu können. Nach massivem Ärger über organisatorische Probleme wollen sich Bund und Länder künftig enger über die erwarteten Liefermengen abstimmen.
Ein "nationaler Impfplan" soll Planungsgrundlagen für die Vergabe der Impftermine schaffen und Auskunft über die anstehenden Mengen an Impfstoff geben. Um die Anzahl der voraussichtlich verfügbaren Impfdosen besser abschätzen zu können, sollen künftig auch Faktoren wie Liefermengen, Art des Impfstoffs und etwaige Alterseinschränkungen "modelliert" werden. Es gebe "gute Gründe", so Merkel, warum das Impfen in Deutschland langsamer als in anderen Staaten vorankomme. Mit Blick auf Staaten mit höheren Impfquoten räumte sie am Tag danach ein: "Das wurmt einen natürlich."
Trotz sinkender Infektionszahlen zeigte sich Merkel ansonsten betont zurückhaltend bei der Frage nach etwaigen Lockerungen der seit 2. November beziehungsweise 16. Dezember geltenden Corona-Auflagen. Bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz, die für den 10. Februar angesetzt ist, erhoffen sich Bund und Länder mehr Klarheit über die Verbreitung der Corona-Mutationen, wie die Kanzlerin sagte.
Dies werde bei der Frage von Lockerungsschritten eine Rolle spielen. Merkel verwies in diesem Zusammenhang auf den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen in Portugal, wo im Lockdown die britische Variante des Coronavirus die Oberhand gewonnen habe. "Das wollen wir nicht", betonte die Kanzlerin.
Aufgrund der anhaltenden Knappheit der verfügbaren Impfdosen steht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gesondert in der Kritik. Spahn hatte die Öffentlichkeit daher bereits im Vorfeld des Impfgipfels auf weitere "harte Wochen" eingestellt. Es gebe Fortschritte in der Impfkampagne und er erwarte, dass die Bewohner von Alten- und Pflegeheime im Februar geimpft werden könnten. Auch sei weiterhin sein Ziel, dass im Sommer allen Menschen in Deutschland ein Impfangebot gemacht werden könnte.
Zugleich räumte Spahn Anlaufschwierigkeiten bei der Massenimpfung ein. "Der Start der Impfkampagne war schwierig", sagte er. "Es gibt weniger Impfstoff als wie aus den europäischen Bestellungen erwartet hatten." Insgesamt sei es jedoch ein großer Schritt, dass schon weniger als ein Jahr nach Beginn des Ausbruchs überhaupt wirksame Impfstoffe gegen Covid-19 zur Verfügung stünden.
n-tv
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