Seit einiger Zeit wirbt Skoda für sein erstes vollelektrisches Auto auf Basis des Modularen Elektrifizierungsbaukastens (MEB), den Enyaq iV. Und noch bevor das batterieelektrische SUV auf dem Markt ist, hat man in Mladá Boleslav schon mehr als 5000 Bestellungen auf dem Tisch. Allem Anschein nach haben die Tschechen hier wieder mit voller Wucht den Nerv der Kundschaft getroffen. Bereits die Optik stimmt, offenbar sogar mehr als die des baugleichen VW ID.4. Ja, der Enyaq sieht mehr nach SUV aus, ist gefälliger in den Proportionen und vielleicht auch ein wenig maskuliner.
Qualitativ hochwertig
Aber bevor wir uns hier in Mutmaßungen verlieren, ein Blick auf die Tatsachen. Eine ist zum Beispiel die, dass der Innenraum des Enyaq iV einen qualitativ sehr hochwertigen Eindruck macht. Nicht nur, dass die je nach Ausstattungslinie unterschiedlichen Materialien haptisch geradezu anregend sind, das Interieur ist nach Aussage der Designer "einer modernen Wohnwelt" nachempfunden. Dazu gehört selbstredend ein wuchtiges Zentraldisplay mit einer Bildschirmdiagonale von 33 Zentimetern - das größte, was bis dato in einem tschechischen Auto verbaut wurde. Dafür ist das digitale Cockpit mit 13 Zentimetern fast schon winzig, wirkt aber nicht so. Da es die klassische Instrumentenaufteilung der Verbrenner in Form von Tacho und Drehzahlmesser nicht mehr braucht, lassen sich die wichtigsten Fahrinformationen wie Geschwindigkeit, Reichweite und Akkustand ganz prima in das Zentrum des Displays projizieren. Rechts und links ist dann sogar noch Platz für Navigationsinformationen, Außentemperatur, Uhrzeit und aktive Assistenzsysteme.
Der Clou ist aber das optionale Head-up-Display, das seine Informationen erstmals mithilfe von Augmented-Reality-Einblendungen in der Frontscheibe anbietet. Vor allem die Navigationsinformationen werden auf diesem Weg noch besser ins Blickfeld des Fahrers gesetzt. Skoda hat hier darauf geachtet, die Infos betont unaufdringlich zu vermitteln. So werden zum Beispiel die Abbiegepfeile in unterschiedlichen Größen, mal in Bewegung, mal statisch präsentiert, aber immer so, dass es nie überfordert oder nervt, sondern bei der Wegfindung wirklich hilfreich ist. Hilfreich dürfte auch die Größe des Wagens sein. Auf einer Länge von 4,65 Metern und einer Breite von 1,62 Meter bietet der Enyaq das kompakte Format eines Octavia und die Innenraumgröße eines Kodiaq. Das ist natürlich vor allem dem Umstand geschuldet, dass der Stromer die Energiespender im Unterboden zwischen den Achsen trägt und der Elektromotor in die Hinterachse integriert wurde.
350 Kilometer mit dem kleinsten Akku
Das gilt allerdings so nur für die Einstiegsvariante. Die leistungsstärkeren Modelle des Enyaq werden auf einen zweiten E-Motor an der Vorderachse setzen und den Tschechen so zum Allrader machen. Letztlich ist der Enyaq in fünf verschiedenen Leistungsvarianten erhältlich und mit drei unterschiedlichen Batteriegrößen. Das Einstiegsmodell ist der Enyaq iV 50 mit einem 150 PS starken Heckmotor. Das maximale Drehmoment beträgt 220 Newtonmeter, während der Lithium-Ionen-Akku über einen Energiegehalt von 52 nutzbaren Kilowattstunden verfügt. Die maximale Reichweite beträgt nach Datenblatt mehr als 350 Kilometer. Für die erste Ausfahrt stand der iV 80 zur Verfügung mit einem 77 kW starken Akku und einer Reichweite von 536 Kilometern.
Wie weit die Reise am Ende geht, ist natürlich auch bei einem Enyaq von der Witterung, der Topografie und natürlich von der Fahrweise des Piloten abhängig. Wer die maximale Geschwindigkeit von 160 km/h auf langer Strecke ausprobieren will, muss schneller an die Dose, als ihm lieb sein dürfte. Wenn er eine Ladestation mit einer Leistung von 125 kW findet, dürfte der Stopp auf 38 Minuten zu beschränken sein, andernfalls wird es deutlich länger dauern. Nun muss aber gesagt werden, dass selbst der Enyaq iV 80 mit 204 Elektro-PS und einem maximalen Drehmoment von 310 Newtonmeter den Fahrer nicht wirklich zu sportlichen Orgien herausfordert. Der Antritt ist zügig, sorgt aber nicht für Herzrasen oder glühende Ohren. Ebenso wenig wie das Fahrprogramm Sport, das bei der Leistung kaum einen Unterschied zu Normal oder Comfort zu bieten hat.
Vegan oder Bioschnitzel?
Insofern ist es auch beim Enyaq mit Heck- und Frontmotor und großem Akku eher angesagt, im Verkehr mitzuschwimmen, die Ruhe im Wagen zu genießen und dem unaufgeregten und zurückhaltenden Lebensgefühl Raum zu geben, so wie es schon immer die Art der Tschechen und ihrer Autos war. Da gibt es keinen unnötigen Sound, der das Gefühl erzeugen soll, Captain Kirk von der "Enterprise" zu sein, und auch keine Pseudo-Motorengeräusche, die verprellte V8-Fans an Zeiten erinnern, denen zunehmend der Garaus gemacht wird. Wer Enyaq fährt, arrangiert sich gefälligst mit allen Umständen der E-Mobilität und erfreut sich an einer präzisen Lenkung, an einem guten, mitunter etwas polterigen Abrollkomfort und an einem ausgefeilten Sitzkomfort auf einem Gestühl, das entweder mit Bezügen aus recycelten PET-Flaschen oder mit Leder bezogen ist, das mit Olivenöl gegerbt wurde. Wie sagte Jens Kosina, Leiter der Modellreihe Enyaq: "Wer es vegan möchte, der nimmt die PET-Bezüge, wer lieber das Bioschnitzel mag, der bekommt es in Form der mit Olivenöl gegerbten Ledersitze."
Die Wahl hat der Käufer natürlich auch bei Reichweite und Leistung. Die stärkste Batterievariante im iV 80 mit 204 PS, die nach Kosinas Aussagen momentan die am meisten nachgefragte ist, bringt die Fuhre wie schon erwähnt über 520 Kilometer weit und beschleunigt sich in 8,5 Sekunden auf Landstraßentempo. Wer es sportlich über die kurze Distanz mit häufigen Ladestopps mag, der wählt den kommenden RS iV mit einer Spurtzeit von 6,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h, einer Höchstgeschwindigkeit von Tempo 180 und einem maximalen Drehmoment von 460 Newtonmetern. Wer etwas nüchterner an die Sache geht, kann sich bei der Konfiguration eines Enyaq iV virtuell beraten lassen. In absehbarer Zeit wird es nämlich einen Rechner geben, der nach den typischen Fahreingaben des Nutzers das ideale Fahrzeug aussucht. Kosina verspricht, dass die Berechnung der Reichweite zum Beispiel mit Daten von 300 Nutzern hinterlegt ist, die dann ein sehr reales Bild abseits aller NEFZ- oder WLTP-Messverfahren liefern soll.
Genießen, was man bekommt
So kann der Autor zum Beispiel beisteuern, dass er nach einer Stunde und 22 Minuten Fahrzeit im Enyaq iV 80 exakt 74 Kilometer zurückgelegt hat und dabei im Schnitt 22,8 kWh verbrauchte. Ein Wert, der über den kombinierten Werksangaben von 16,0 kWh/100 km lag. Rekuperiert wurden 1,1 kWh pro Stunde. Dafür war über zwei Drittel der Strecke die stärkste Rekuperationsstufe drei eingestellt, die in jeder Rollphase vermehrt Energie in den Akku zurückführt. Verglichen mit anderen Elektroautos ist die Stufe drei übrigens nicht so stark, dass sie den Wagen zum Stehen bringen könnte. Hier muss immer noch die Bremse zu Hilfe genommen werden. Was jetzt aber kein Manko ist. Ebenso wenig wie der Wendekreis von lediglich 9,3 Metern, der aber ausschließlich dem Hecktriebler vorbehalten ist, weil er keinen hinderlichen Motor an der Front hat. Kurz zum Vergleich: Mit diesem Wert unterbietet der Enyaq iV 50 einen Skoda Kodiaq beim Kreiseln um 2,3 Meter.
Was am Ende alle Modelle eint, ist das Platzangebot für die Fahrgäste, ein Gepäckabteil mit 585 Litern Volumen und die skodatypischen Simply-Clever-Lösungen, die nach Kosina für den Enyaq ganz neu gedacht werden mussten. So gibt es zum Beispiel einen Kabelreiniger, mit dem sich das Ladekabel nach der Verwendung an der Ladesäule einfach säubern lässt, bevor es im Gepäckraum in einer eigenen Tasche verschwindet.
Eine spezielle Schutzkappe deckt während des Ladevorgangs die Ladedose des Enyaq ab. Natürlich sind auch die bekannten Ideen wie der Regenschirm in den Türen, der Eiskratzer oder der Tickethalter an der Windschutzscheibe im Enyaq zu finden. Ebenso die kabellose Verbindung des Smartphones mit der Multimediaeinheit oder die Vielzahl an Assistenzsystemen.
Bleibt noch der Blick auf den Preis, der selbstredend immer davon abhängt, wie viel Begehrliches in der reichlich gefüllten Optionsliste in den Enyaq iV gebucht wird. In der Basisausstattung mit kleinem Akku, und die ist mit 18-Zoll-Stahlfelgen kein Hingucker, geht es bei 33.800 Euro los. Wer es mit großem Akku und der Sportline-Ausstattung richtig krachen lassen will, startet bei 48.000 Euro. Natürlich muss hier jeweils noch der Umweltbonus abgezogen werden. Die allerletzte Entscheidung, ob der Skoda Enyaq iV ein praktikables Fahrzeug ist, wird aber nicht der Preis ergeben, sondern die Nutzung, die Zeit und vor allem die Lademöglichkeiten eines jeden Einzelnen.
Quelle: ntv.de
Tags: