Ein Start-up spaltet Hollywood

  05 April 2016    Gelesen: 789
Ein Start-up spaltet Hollywood
Filme kommen zuerst ins Kino. So war es immer. Eine Firma will sie nun jedoch zeitgleich den Zuschauern auf der heimischen Couch servieren. Dafür gibt es viel Kritik - aber auch Unterstützung von Branchengrößen wie Steven Spielberg.
Vielleicht sollten die Leute aus dem Filmgeschäft mal bei ihren Kollegen aus der Musikindustrie anrufen, um über Sean Parker zu diskutieren. Oder, vielleicht sollten sie es besser lassen, denn sie würden nichts Gutes hören. Sean Parker war einst Mitbegründer von Napster, jener Musiktauschbörse, die bis zu ihrem Verbot für die massenweise illegale Verbreitung von Musik verantwortlich war. Nachdem er die Musikindustrie herausgefordert hatte, stieg er bei Spotify ein, einem Vorreiter jener Streamingdienste, die den Musikgenuss revolutioniert haben. Zwischendurch hatte er als früher Unterstützer von Facebook noch großen Anteil an dessen Erfolg.

Nun nimmt sich Sean Parker also Hollywood vor, zusammen mit Prem Akkaraju. Beide stehen hinter dem Start-up The Screening Room, das eine Kontroverse in der Filmmetropole ausgelöst hat. Das Konzept klingt einfach, hat aber sehr viel Sprengkraft: Filme, die im Kino starten, sollen für 50 Dollar, also etwa 45 Euro, zeitgleich auch im heimischen Wohnzimmer gezeigt werden. Möglich sein soll dies durch eine Set-Top-Box, die weitere 150 Dollar kosten würde und Piraterie unmöglich machen soll - so berichtet es das Fachblatt "Variety".

Die Zukunft des Kinos? Oder sein Untergang? Kinobesitzer laufen Sturm gegen die Idee. Deren nationale Vereinigung in den USA stellte den Kinoketten zwar frei, sich dem Projekt anzuschließen, machte aber gleichzeitig seine Ablehnung unmissverständlich klar: "Der exklusive Kinostart macht aus neuen Filmen Ereignisse", heißt es in einem Statement. Und nichts könne Kinofans besser unterhalten, als ein toller Film in einem modernen Kino.

Der Piraterie Tür und Tor öffnen?

Die Sorgen, die aus der Reaktion sprechen, sind nicht unbegründet. Zwar will das Start-up die Kinos angemessen entschädigen: Immerhin 20 Prozent der 50 Dollar Leihgebühr sollen Kinobesitzer einstreichen, heißt es. Doch großen Ketten geht es gar nicht so sehr um die Einnahmen aus Kartenverkäufen, geschweige denn um den sozialen Aspekt des Kinoerlebnisses. Wegbrechen würde ihnen vor allem das Geld, das Süßigkeiten und Getränke in die Kassen spülen. Angesichts magerer Gewinnanteile bei den Tickets spielen diese Einnahmen eine wesentlich wichtigere Rolle.

Auch die Verbreitung illegaler Filme im Netz ist eine große Sorge von Kinobetreibern. Würde Screening Room die Gefahr der Piraterie nicht noch erhöhen? Interessanterweise wird von manchen Kritikern explizit auf Parkers Vergangenheit hingewiesen, in der er sich wenig um Urheberrechte geschert haben soll. Von der Hand zu weisen sind die Einwände jedenfalls nicht: Ein Film, der zu Hause im Fernsehen läuft, kann abgefilmt werden. Schon wird spekuliert, dass neue Kinofilme via Periscope in Echtzeit ins Netz gebracht werden könnten. Und wäre es nicht möglich, dass jemand die Technik nutzt, um ein illegales Kino in einem Hinterzimmer einzurichten. Wie solche Szenarien verhindert werden sollen, hat das Start-up noch nicht dargelegt.

Wer glaubt, Kinobetreiber und auch Studios würden deshalb eine geschlossene Front gegen das Start-up bilden, irrt jedoch. Ausgerechnet die größte US-Kinokette AMC, eine Tochter der chinesischen Wanda-Gruppe, soll Interesse an einem Deal mit Screening Room bekundet haben. Auch mehrere Filmkonzerne wie Universal, 20th Century Fox und Sony sollen das Angebot genau prüfen, heißt es, während Disney - immerhin ein Filmgigant - wohl schon abgesagt hat.

Spielberg auf der einen, Cameron auf der anderen Seite

Doch nicht nur auf der Seite der Industrie gibt es Vorbehalte. Auch unter Künstlern ist ein Streit um Screening Room entbrannt. Keine geringeren als Steven Spielberg, Martin Scorsese, "Herr der Ringe"-Regisseur Peter Jackson und J. J. Abrams, der gerade erst "Star Wars" ins Kino brachte, unterstützen das Start-up. Einige von ihnen sollen auch finanziell daran beteiligt sein. Sie verweisen darauf, dass die Idee neue Zielgruppen erreichen könne - was Kritiker bezweifeln. Ein gern genanntes Beispiel sind die gestressten Eltern, die es einfach nicht ins Kino schaffen, erst recht nicht gemeinsam. Bei Screening Room hätten sie 48 Stunden Zeit, einen brandneuen Film auf der eigenen Couch zu sehen.

Auf der anderen Seite haben sich der Regisseur James Cameron und Jon Landau, der Produzent seiner Erfolge "Titanic" und "Avatar", klar gegen das Projekt ausgesprochen. Es sei unerlässlich, dass Filme exklusiv im Kino starteten, sagte Landau im Namen beider dem Portal "Deadline". Andere Filmemacher wie Christopher Nolan, der hinter der "Dark Knight"-Trilogie und "Interstellar" steht, sowie "Independence Day"-Regisseur Roland Emmerich haben sich den beiden angeschlossen. Sie bringen nicht nur finanzielle Gründe ins Spiel, oder die Gefahr der Piraterie, sondern auch kreative: Genau wie die Kinobetreiber verweisen sie auf die Einzigartigkeit des Kinoerlebnisses.

Tatsächlich entfalten Action- oder Science-Fiction-Filme nur auf der großen Leinwand mit entsprechender Soundanlage ihre ganze Wucht. Doch es geht hier ja nicht nur um die "Avengers" oder den neuesten "James Bond"-Film, die von Zuschauerrekord zu Zuschauerrekord eilen. Es geht hier auch um Dramen mit Meryl Streep, um eine Komödie von Judd Apatow, um Zeichentrickfilme und Romanzen. Klar, auch sie entfalten im Kino eine besondere Magie, sind aber nicht so stark von modernster Technik abhängig. Solche kleineren Produktionen kämpfen erbittert um Anteile. Gegen die hochgezüchteten Blockbuster, die so viel Geld für Marketing ausgeben wie für die eigentliche Produktion, haben sie oft keine Chance. Etliche kleine Filme gehen unter, weil mittlerweile nur noch das erste Wochenende darüber entscheidet, ob ein Film zum Hit wird oder floppt. Und da hat der oft die besten Karten, der den größten Rummel erzeugt.

Neue Sehgewohnheiten sind längst etabliert

Die Konzentration auf Blockbuster ist nicht neu, sie hat das Kino bereits ärmer gemacht und vielen Programmkinos das Genick gebrochen. Doch die Industrie steht vor noch größeren Herausforderungen. Nicht nur, weil Filme teils nur Stunden nach dem Kinostart im Netz auftauchen. Auch das Fernsehen mit seinen umjubelten Serien ist zur ernsten Konkurrenz geworden. Internetkonzerne wie Netflix, Amazon und Youtube haben einen Fuß im TV- und Kinogeschäft. Sie arbeiten zunehmend mit renommierten Hollywood-Künstlern zusammen, deren Werke sie dann auf ihren Plattformen anbieten. Der Wirbel, den neue Staffeln von "Game of Thrones" oder "House of Cards" auslösen, lässt sich durchaus mit jenem von Blockbustern vergleichen.

Längst haben sich die Sehgewohnheiten der Zuschauer verändert. Wäre es also nicht höchste Zeit, dass sich die Filmindustrie dem anpasst und neue Möglichkeiten des Filmgenusses bietet? Das Zeitfenster, in dem Filme exklusiv im Kino laufen, ist in den vergangenen Jahren ohnehin schon kleiner geworden. Nun könnte es weiter schrumpfen oder ganz verschwinden. Ohne Frage würde dies Verlierer hervorbringen. Das sind weniger die großen Multiplexe oder die allgegenwärtigen Blockbuster, sondern die kleinen Lichtspielhäuser um die Ecke und Independent-Produktionen. Das wäre ein großer Verlust für die kulturelle Vielfalt. Doch es gäbe auch Gewinner: Nicht nur Menschen, die kaum Zeit für einen Kinobesuch haben, sondern auch jene, die nicht das Glück haben, in einer Großstadt zu leben. Wer kleine Filmperlen sehen will, muss mancherorts bereits lange Wege in Kauf nehmen.

Die Filmindustrie mag darüber diskutieren, ob The Screening Room der Totengräber des Kinos ist oder ihm neue Chancen eröffnet. Fest steht, dass die Entwicklung neuer Technologien nicht aufzuhalten ist. Noch ist Screening Room aber nicht ausgereift, dazu fehlt es noch an Details und an Partnern in der Industrie. Noch ist unklar, ob das Start-up überhaupt in die Gänge kommt. Doch dass selbst Branchengrößen sich für das Konzept stark machen, zeigt, wie ernst die Sache genommen wird. Noch haben Studios, Kinoketten und Filmemacher die Chance, den Rahmen zu definieren, in dem eine neue Entwicklung stattfindet. Noch können sie bestimmen, welche Art Kino wird in Zukunft erleben werden. Wenn sie aber jetzt nicht reagieren und neue Konzepte entwickeln, werden sie überrollt.

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