Man kann über Elon Musks Tesla sagen, was man will. Seine absurdesten automobilen Kreationen mischen die Stimmung in der Autoindustrie auf. In der Folge werden sowohl die Kunden als auch die Automanager nachdenklich, was über die Zeit entsprechende Reaktionen des Wettbewerbs nach sich zieht. Jüngst ist es der Cybertruck, der Schockwellen in der Branche auslöst - Tesla polarisiert, und das ist vermutlich die beste Werbung.
Ob die Produkte immer das halten, was die Tesla-Website verspricht, sei dahingestellt. Vor dem Cybertruck waren die ultrastarken Plaid-Modelle der Aufreger schlechthin, wenngleich auch andere Marken schon 1000-PS-Boliden auf die Räder gestellt haben. Aber eine 322 km/h schnelle elektrisch angetriebene Limousine mit 1020 PS für 109.990 Euro? Wo gibt es bitte so etwas? Offenbar auch bei Tesla nicht. Wer auf der Website surft und den Link "maximale Geschwindigkeit" anklickt, wird aufgeklärt, dass dieses Tempo nur mit einer kostenpflichtigen Hardware-Aufrüstung erreicht werde. Dann wandern beispielsweise auch Keramikbremsen an Bord. Der Spaß kostet derzeit ab 13.825 Euro Aufpreis. Aber da Tesla den Basispreis für den Plaid im Spätsommer ja von ehemals rund 130.000 Euro auf 109.990 Euro gesenkt hat, kann das bald schon wieder Makulatur sein. Und wer weiß, wie viel das Auto in einem Monat oder Mitte nächsten Jahres kostet.
Beim Preiskapitel sind die Schwaben verbindlicher. Mercedes-AMG verlangt für den stärksten GT mit vier Türen die stolze Summe von 208.006 Euro und 5 Cent. So viel Zeit muss sein. Warum überhaupt dieser Vergleich zweier auf den ersten Blick völlig unterschiedlicher Offerten? Ganz einfach, die beiden ähnlich großen Viertürer - der Mercedes misst 5,05 und der Tesla 5,02 Meter in der Länge - sind die jeweils stärksten Limousinen-Vertreter mit elektrischem und mit Verbrenner-Antrieb. Wenngleich der Benz kein reiner Verbrenner ist. Seinem doppelt turboaufgeladenen Vierliter-Achtzylinder stellen die Ingenieure noch eine E-Maschine mit 204 PS zur Seite. Ist aber egal, denn wichtig ist, dass der elegante Allradler bollert wie ein waschechter Achtzylinder - klar, solch ein Motor steckt ja schließlich unter seiner Haube mit den sanften Powerdomes.
Die beiden Power-Limousinen bieten Fabel-Fahrwerte
Bevor man sich den beiden eher unscheinbaren Limousinen nähert, wobei der Tesla noch viel unscheinbarer ist, sei noch eines klargestellt: Die Antriebsstränge gelangen langsam in Leistungssphären, in denen die maximale Power jedenfalls zu vertretbaren Kosten entweder nicht reproduzierbar (Tesla) oder aber nicht dauerhaft verfügbar ist wie beim Hybridstrang des Schwaben. Macht nichts, man braucht ja nicht ständig über 800 PS, und die 639 PS Verbrenner-Leistung des PHEV ist schließlich immer vorhanden. Und damit durchbricht der Mercedes ganz locker die 300-km/h-Schallmauer, erreicht laut Werk gar 316 Sachen.
Für den Sprint auf 100 km/h nennt Mercedes-AMG 2,9 Sekunden, während der Tesla binnen 2,1 Sekunden Landstraßen-Tempo erreichen soll. Für den Boost stehen dem 2,4-Tonner aus Affalterbach gerade mal 6,1 kWh zur Verfügung (rein elektrisch fährt der Benz nur wenige Kilometer) - die Stromspeichereinheit ist darauf ausgelegt, Energie schnell abgeben, aber auch fix wieder aufnehmen zu können durch Schubrekuperation. Oder durch externes Aufladen mit 3,7 Kilowatt binnen 90 Minuten.
Doch zurück zur ursprünglichen Frage - welcher der hier antretenden Kandidaten fährt emotionaler? Die Wucht des Tesla kommt geräuschlos quasi aus dem Hinterhalt. Ohne Vorwarnung - es müssen keine Gänge sortiert werden - schießt der Allradler mit seinen drei Maschinen (1424 Newtonmeter Drehmoment) los, sodass es den Passagieren die Falten aus dem Gesicht zieht. Ob er nun 2,1 oder 2,8 Sekunden bis 100 km/h benötigt, spielt dabei keine Rolle. Und es geht auf der unlimitierten Autobahn flugs weiter in Richtung 300 km/h und auch darüber notfalls.
Es gibt zwar noch keine Messwerte von Fachmagazinen, aber der Sprint von 0 auf 200 km/h dürfte sich irgendwo in der Größenordnung von sechs bis acht Sekunden abspielen. Der Mercedes braucht dafür knapp unter zehn Sekunden, wie das Fachmagazin "Sport Auto" erst jüngst feststellte. Allerdings degradiert der Plaid auch schnell. Wer in den Race-Modus wechselt, kann zwar den Tempomat nicht mehr nutzen, dafür aber die Temperaturen von Batterie und Motor sehr schön monitoren.
Einige Volllastbeschleunigungen hintereinander strapazieren die Antriebseinheit arg, was mit Leistungsreduktion verbunden ist. So weist Tesla auf seiner Website auch vorsorglich darauf hin, dass die Höchstgeschwindigkeit nicht während der gesamten Fahrt verfügbar sei. Einem etwaigen Porsche 911 Turbo S die Rücklichter zeigen, klappt also nur in seltenen Fällen. Und das dürfte auch für den nur geringfügig langsameren GT 63 gelten.
Im Stil unterscheiden sich Mercedes und Tesla eklatant
Fakt jedoch ist: Der 2,3 Tonnen schwere Plaid schafft Emotionalität durch unfassbare Beschleunigung, auch wenn das Potenzial nicht immer voll abrufbar ist. Und im niedrigeren Geschwindigkeitsbereich sowieso. Es gibt kaum ein performantes Auto, das man nach dem Plaid-Erlebnis nicht als langsam empfindet. Der GT 63 schlägt natürlich zurück. Erstens mit ebenfalls geballter Performance. Und zweitens mit dem V8-Bollern, das dich mitten ins Herz trifft.
Man muss die vielen Modi natürlich beherrschen, welcher macht nun am glücklichsten? Ich konfiguriere mir einfach etwas Individuelles. Ich brauche das Fahrwerk mit Luftfederung und adaptiver Steuerung nicht brutal hart, möchte den Verbrenner aber schön präsent haben. Schließlich ist es eine Ohrenweide, mit dem GT unterwegs zu sein. Klar, spontane Leistungsanforderung geht immer mit einer Gedenksekunde einher, weil sein drahtiger Neunstufenautomat mit Lamellenkupplung (bei den AMG-Versionen entfällt der Wandler) erst einmal den richtigen Gang einlegen muss. Alternative: Man wählt die richtige Übersetzung vor dem kleinen Sprintwettbewerb einfach manuell.
Beide Offerten sind neben ihrer unfassbaren Performance übrigens feine Tourer mit exquisiten Langstreckenqualitäten und hinreichend kommoden Luftfahrwerken. Der große Mercedes bietet feine Sportsessel mit bequemem Touch. Es muss nicht immer S-Klasse sein für die große Tour. Auch der Tesla kann Langstrecke mit den üblichen Gepflogenheiten, die beim elektrisch angetriebenen Fahrzeug so Thema sind. Wer schnell unterwegs ist, landet häufig am Supercharger. Das Laden gelingt beim Model S nicht ganz so rasant wie seine Beschleunigung, aber es geht schon zügig. Ist der Akku gut temperiert, sattelt man bei niedrigem State of Charge auch mal knapp 150 Kilometer drauf binnen zehn Minuten. Das ist okay.
Der Verbrenner fasst schneller Energie nach
Schön ist, dass das Tesla-Navi intuitiv und schnell bedienbar ist; die Supercharger-Stopps werden einfach in die Route integriert. Mit solchen Themen müssen sich GT-63-Fahrer nicht herumschlagen. Innerhalb von maximal fünf Minuten sind 73 Liter Super Plus nachgefüllt - interessanterweise darf der Hybrid aus einem sieben Liter größeren Tank schlürfen als die reinen Verbrenner. Recht so. Am Thema Infotainment merkt man, dass der viertürige GT schon eine Weile auf dem Markt ist. Statt Hyper- oder zumindest Superscreen (Mercedes-Jargon) gibt es den altbewährten Widescreen mit zwei Displayeinheiten, auf dem aber schon genug angezeigt werden kann. Wenn der betörende Achtzylinder bollert, tritt der Rest sowieso in den Hintergrund. Bleibt die Frage: welchen nehmen?
In eine gut sortierte Sammlung gehören natürlich beide. Der Mercedes-AMG, weil er einen klassischen V8 mit moderner Elektrotechnik kombiniert und damit geballte Leistung und Drehmoment (1470 Newtonmeter) bei überschaubarem Energiekonsum ermöglicht. Der Hightech-Achtzylinder an sich arbeitet aber schon effizient und absolviert moderate Runden mit zweistelligen Verbrauchswerten. Und nicht zu vergessen: Sein betörender V8-Sound berührt die Fans.
Der Tesla ist vor allem als Plaid eine Ausnahmeerscheinung und verdient einen Platz in der Garage von Autoenthusiasten. Aber die Konkurrenz schläft nicht. Sowohl ein ultrastarker Lucid Air ist im Anmarsch nächstes Jahr als auch kräftige Modelle von Lotus und Polestar mit elektrischem Antrieb. Nicht zuletzt befindet sich ja auch der Porsche Taycan bereits in der Mitte seiner Lebenszeit. Kaum zu glauben, dass die Zuffenhausener ihre lautlose Limousine nicht erstarken lassen. Es bleibt also weiterhin spannend.
Quelle: ntv.de
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